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WIEN/ Theater an der Wien: HAMBURG-BALLETT-GASTSPIEL – DIE MÖWE / John Neumeier

Ein Seelenbad auf Tschechows Spuren

09.05.2018 | Ballett/Performance

Gastspiel von John Neumeiers HAMBURG BALLETT im Theater an der Wien

8.5.2018: „DIE MÖWE“ – ein Seelenbad auf Tschechows Spuren
 
John Neumeier = Hamburg Ballett. „Die Möwe“ vertanzt = ein so richtig echter Anton Tschechow? Oder doch nicht? In seiner choreographischen Version aus dem Jahr 2002 von Tschechows tragischer Komödie „Die Möwe“ gleitet Neumeier sehr intellektuell und sensibel der literarischen Vorlage entlang. Doch dabei in die Welt des Balletts übersetzt: Irina Arkadina ist hier eine gealterte Primaballerina, deren Liebhaber Trigorin ist ein erfolgreicher Choreograph, ihr Sohn Kostja versagt mit seinen modernen Tanzschöpfung und die von ihm umworbene Nina scheitert in ihrer Tänzerkarriere. Neumeier entwickelt ein theatralisches Konstrukt, setzt auf seine hinterfragende Art und elegant stilisierend auf getanzte Psychologie. Die Musikcollage mit überwiegend Kompositionen von Dmitri Schostakowitsch (u.a. die Sinfonie Nr. 15 oder die düstere c-moll Kammersinfonie für Streicher, gespielt vom Wiener Kammerorchester unter Markus Lehtinen) gibt ihm starke Rückendeckung, fordert aber auch zu allzu ausgedehnten Sequenzen heraus. Überbordende wie sich wiederholende Charakterzeichnungen verwirren im Auf und Ab der unerfüllten Liebesbeziehungen, und ein zu viel an bemühter Sinndeutung in den kleine Psychodramen kann auch ermüden.
 
Teil zwei gibt sich anfangs schon unterhaltsamer. Groteske Elemente wie eine schmissige Revueszene (aus Schostakowitschs Operette „Moskau Tscherjomuschki“) oder die „Der Tod der Möwe“-Parodie auf das zaristische klassische Ballett bieten brillant gestaltete Höhepunkte. Ein perfektes Ensemble, von Alina Cojocaru als Nina und Artem Ovcharenko (Kostja) dominiert – grandios von ihnen empfunden: Ninas Abschied – , vermag in seinen Bann zu ziehen. Neumeier ist jedenfalls ein Erfolgsgarant für das Wiener Publikum, welches an zwei Abend positiv traumatisiert in dieses ästhetische, sehr erbauliche Seelenbad eintauchen durfte.
 
Meinhard Rüdenauer

 

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