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WIEN/ Theater an der Wien: GIULIO CESARE IN EGITTO

20.12.2021 | Oper in Österreich

     GIULIO CESARE IN EGITTO 19.12.2021 (Premiere am 17.12.)                     
Großer Erfolg für Keith Warner und sein Team im zweiten Anlauf!

Giulio Cesare in Egitto | Programm | Theater an der Wien
Foto: Monika Rittershaus

Ich bin in der glücklichen Lage, meine Eindrücke über diese Aufführung unvoreingenommen mitzuteilen, da ich jene Aufführung in der Regie von Christoph Loy aus dem Jahre 2007 nicht gesehen hatte und sich ein Vergleich von daher als obsolet erweist. Für Händels Dramma per musica in drei Akten bearbeitete Nicola Francesco Haym (1678-1729) einen bereits häufig vertonten Text von Giacomo Francesco Bussani (1640-80) gleichen Titels. Hayms Bearbeitung bestand hauptsächlich in der starken Kürzung der Rezitative und der Hinzufügung neuer Arientexte. Die komplexe, vielschichtige und vielgestaltige Handlung ist – kurzgefasst – die Folgende: Cäsar hat den besiegten Pompeo bis nach Ägypten verfolgt, wo ihn dessen Gattin Cornelia um Gnade bittet. Tolomeo lässt Cäsar das Haupt des Pompeo überbringen. Cornelia und ihr Sohn Sesto schwören daraufhin Rache. Ihnen schließt sich Kleopatra an, die den Thron Ägyptens für sich allein haben und daher ihren Bruder Tolomeo beseitigen möchte. Tolomeo nimmt seine Schwester gefangen. Cäsar aber befreit Kleopatra. Sesto tötet Tolomeo. Cäsar macht daraufhin Kleopatra zur Alleinregentin Ägyptens und kehrt wieder nach Rom zurück.

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Foto: Monika Rittershaus

Dem britischen Opernregisseur Keith Warner gelang es, die komplexe Handlung durch allerlei theatralische Finessen aufzupeppen. Nicht immer neu, aber zugegebener Maßen äußerst wirkungsvoll, etwa die dreimalige Verkleidung Cäsars in den Imperator, dann in eine Art Kaiser Franz Josef mit rot-weiß-roter Schärpe und schließlich in einen GI. Diese dreifache Verwandlung durchläuft aber auch Kleopatra als einfache Dienerin, dann als kokette Fiemme fatale und schließlich als Domina mit Peitsche. Der erste Akt soll bei Warner im Ambiente eines renovierungsbedürftigen Kinos à la Grauman’s Egytian Theatre in Hollywood spielen. Dafür kreierte Ausstatter Ashley Martin-Davis im Hintergrund der Bühne eine goldgerahmte Leinwand in einem Lichtspieltheater, womit die Ebene Theater auf dem Theater wieder einmal als Reflexion des Geschehens herhalten muss, und so sieht man auch die Protagonisten Cäsar und Kleopatra in einem schwarzweißen Stummfilm, sie in der Wüste, er im Hafen von Alexandria im Wasser und auch das Begräbnis des Pompejus in Bildern aus der Monarchiezeit. Der Zweikampf zwischen Tolomeo und Cäsar wird als Tennismatch ausgetragen. Tolomeo verliert. Im dritten Akt tritt Kleopatra dann in ihrem schwermütigen Lamento „Piangerò la sorte mia“ (Ich beweine mein Schicksal) in ihren vergangenen Gestalten als Spiegelbild entgegen, bis diese (aus der Erinnerung) wieder verschwinden. Und schließlich tritt sie nach der Ermordung ihres Bruders endlich auch im berühmten goldenen Liz-Taylor-Gewand mit den berühmten Flügelärmeln gleich einem Phönix auf. Die Szene mit dem goldenen Vogel erinnert natürlich an Rimski-Korsakows Oper „Der goldene Hahn“ und der tote Achillo in der Badewanne verweist auf den von Nero befohlenen Tod Senecas. Abgesehen von den verschiedenen Gewändern von Kleopatra und Cäsar sind die übrigen Darsteller allesamt heutig gewandet. Der enthauptete Pompeo darf in Gestalt des finnischen Tänzer-Choreografen Joni Österlund sowohl auf der Leinwand als auch auf der Bühne die elegante Choreografie der aus Zimbabwe stammenden Mandy Demetriou ausführen.

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Foto: Monika RittershausMonika Rittershaus

Die abwechslungsreiche und spannende Lichtregie lag in den Händen von Mark Jonathan. Der Concentus Musicus Wien wurde auf historischen Instrumenten spielend von dem versierten Barockspezialisten Ivor Bolten äußerst einfühlsam geleitet. Das Violinsolo spielte Julia Rubanova vom Balkon auf der Bühne. Neben zwei obligaten Blockflöten, einer Traversflöte, zwei Fagotten, zwei Oboen und vier Hörnern und Streichern verwendete Händel noch eine Viola da Gamba, eine Harfe, eine Theorbe und als Basso continuo abwechselnd das vom Dirigenten selbst gespielte Cembalo und ein Violoncello. In musikalischer Hinsicht überstrahlen die acht Arien von Kleopatra durch ihren Glanz beinahe die gesamte Oper. Sie zeigen auch die innere Entwicklung des zunächst jugendlich unbekümmerten Mädchens hin zur reifen Frau auf. Louise Alder war die äußerst attraktive Kleopatra, die alle Koloraturen mit Leichtigkeit stemmte, und die Vielgestaltigkeit dieser Figur lustvoll vorführte. In der Titelrolle brillierte Countertenor Bejun Mehta. Händel hat ihm ebenfalls acht Arien in die Kehle geschrieben. Vier zeigen ihn als großmütigen soldatischen Herrscher, die übrigen vier als gefühlvolle und leidende Alltagsperson. Alle Koloraturen sitzen bei diesem Ausnahmekünstler perfekt. Sämtliche Intervallsprünge perlen aus seiner Kehle hervor und erfüllen den Raum mit einer Leichtigkeit, die seinesgleichen sucht. In dem berühmten Recitativo accompagnato „Alma del gran Pompeo“ (Seele des großen Pompeo) im ersten Akt, in welchem er über die Endlichkeit des Lebens sinniert sowie im Recitativo accompagnato ed Aria im dritten Akt „Dall’ondoso periglio / Aure, deh, per pietà spirate“ (aus der wellenförmigen Gefahr, dem Dunstkreis, erlöse aus Mitleid), wo Cäsar die Götter um Rückgabe seiner Geliebten bittet, erreicht Händels Musik ihre größte Tiefe. Der französische Countertenor Christophe Dumaux, langhaarig und so richtiggehend unsympathisch gab den bösartigen Tolomeo, Kleopatras Bruder, als Mitregent ebenso wie sie für den ägyptischen Königsthron bestimmt. In seinem unberechenbaren Gehaben wirkt er wie ein von dunklen Trieben geleiteter Unhold. Die ständigen Intervallsprünge in seinen drei Arien kennzeichnen seinen launischen Charakter, was auch sein Horrortrip im Video Design von David Haneke veranschaulicht. Der britische Bassbariton Simon Bailey gab den prahlerischen Opportunisten Achilla. Auch er hat drei Arien zu singen, bei denen sein pöbelhaftes Wesen durch die fehlenden Harmoniestimmen angedeutet wird. Mezzosopran Patricia Bardon verkörperte als Cornelia, der Witwe des Pompeo, die tragische Figur dieser Oper. Ihre schlichte graue Kleidung unterstrich auch ihr Leiden. Ihr Sohn Sesto wurde von dem sympathischen britischen Countertenor Jake Arditti ausdrucksstark in Spiel und Gesang vollendet interpretiert. Im Theater an der Wien durfte er bereits als David im Oratorium Saul mit einem abgeschlagenen Haupt auftreten. Damals war es jenes von Goliath, hier jenes seines Vaters Pompeo. Er hat darin also bereits einige Übung! Von seinen fünf Arien sind vier von Rachegedanken beflügelt und stehen folgerichtig in Moll, während seine Arie „Cara speme, questo core tu cominci a lusingar“ (Liebe Hoffnung, diesem Kern fängst du an zu schmeicheln) im ersten Akt als einzige hoffnungsvoll erklingt und in Dur steht. Er wird von Folterknechten auch ausgiebig ausgepeitscht. Nach Bejun Mehta gab er die zweitstärkste Leistung dieses Abends. Der in der Ukraine geborene Konstantin Derri rundete als vierter Countertenor das Ensemble mit der eher kleinen Rolle des Nireno ab. Nach der Pause blieben die meisten Sitze besetzt, ein Zeichen dafür, dass diese Produktion bei dem überwiegenden Teil des Publikums wohl ihren Anklang gefunden hatte. Als weiteres Indiz für den Erfolg dieser Produktion können auch die Bravorufe nach vielen Arien während der Aufführung und am Ende beim Schlussapplaus der Mitwirkenden herhalten. Knappe zehn Minuten dauerte der Applaus, dem ich mich gerne aus Überzeugung anschloss.

Harald Lacina, 20.12.

 

 

 

 

 

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