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WIEN/ Theater an der Wien: EURYANTHE von Carl-Maria von Weber

18.12.2018 | Oper

 


Jaquelyn Wagner. Foto: Youtube

WIEN/ Theater an der Wien: „EURYANTHE“

 Eine musikalische Wiederentdeckung  (3. Aufführung/Prem.: 12.12.2018)

17.12. 2018. (Karl Masek)

 Die Uraufführung der vorletzten Oper des Carl Maria von Weber fand am 25. Oktober 1823 im Theater am Kärntnertor in Wien statt. Der Komponist hatte auch die musikalische Leitung.  Gustav Mahler dirigierte dieses Werk immerhin 9x an der Wiener Hofoper. In der Sängerbesetzung Stars wie Leo Slezak,  Anna Bahr-Mildenburg und Richard Mayr. Die vorerst letzte Wiener  szenische Aufführung des Werkes – sieht man von einer konzertanten Readers-Digest-Kurzfassung wie etwa vom Konservatorium der Stadt Wien Anfang der 70er Jahre im Konzerthaus oder einer konzertanten Wiedergabe vor langer Zeit im Musikverein  ab – gab es am 15.10. 1937 in einer Lothar Wallerstein-Inszenierung in Bühnenbildern von Clemens Holzmeister; Dirigent: Bruno Walter. In den Hauptrollen: Maria Reining (Euryanthe), Karl Friedrich (Adolar), Alexander Svéd (Lysiart), Kerstin Thorborg (Eglantine) und Herbert Alsen (König). Und es war die zweite und zugleich letzte Aufführung in der Premiere vom 23.9. 1937. Erfolge sahen auch damals anders aus  …

Die Hauptschuld an der angeblichen Unspielbarkeit des Werkes gab man dem viel geschmähten Libretto von Helmina von Chézy. Etliche Male musste die Hobbydichterin das Libretto umschreiben, bevor sich Weber ans Komponieren machte. Wobei auch er selbst noch ändernd in den Text eingriff. Es ging ihm, der dennoch an seiner Librettistin festhielt, …“um großräumige musikalische Zusammenhänge und gleichzeitig um einen Ausdrucksrealismus, der selbst die enorme Wirkung des  ‚Freischütz‘  noch in den Schatten stellen sollte…“, wie der deutsche Musikwissenschaftler Bernhard Rzehulka in einem kenntnisreichen Kommentar schrieb. Verworren blieben Text und Handlung, grottenschlecht seien die Reime, so urteilen viele bis heute.

Also gut: Adolars Romanze beispielsweise,… „Sie, die Reine, Eine, Meine/Keusch wie Schnee, wie Rosen mild/Unter blüh’nden Mandelbäumen/Schwebt um mich ihr süßes Bild…“ mag selbst für Menschen des 19.Jhs unfreiwillig komisch geklungen haben. Aber auch Richard Wagners Text, etwa. im Lohengrin: “… ein golden Horn zur Hüften/Gelehnet auf sein Schwert/So trat er aus den Lüften/zu mir, der Recke wert…“ scheint mir auch nicht gerade Literaturnobelpreis-verdächtig zu sein! Oder die Wagner’schen Wortschöpfungen („Vergeh‘, frevelnder Gauch…“) in seiner  „Ring“-Tetralogie, die heute auch nicht in Zweifel gezogen, höchstens milde belächelt werden. Hier gilt‘s der Musik!

Worüber man ebenfalls einig war: Die durchkomponierte, musikalisch weit in die Zukunft weisende Oper des Carl Maria von Weber war erklärtes Vorbild Richard Wagners für seinen „Lohengrin“. Und nun bestaunt man eine musikalische Wiederentdeckung. Dafür ist der Intendant des TAW, Roland Geyer, verantwortlich, der in dieser Saison einen „Weber-Kreis“ offeriert. Freischütz und Oberon kommen auf den Spielplan – und sogar  das Frühwerk „Peter Schmoll“ kommt als Rarität konzertant im Jänner 2019!  Dann braucht es auch einen Dramaturgen (diesfalls ist das Klaus Bertisch), der nicht nur an die Musik, sondern auch an die Geschichte glaubt. Demnach sind alle vier Hauptfiguren in einem unentrinnbaren Kosmos von Liebe, Angst und Schuld miteinander verstrickt“.

Von den Gedanken im Vorfeld zur konkreten Umsetzung des Jahres 2018. Die Ingredienzien für eine deutsche, romantische Oper sind in aller Klischeehaftigkeit glasklar: Zwei Paare. Der „gute“, aber von Kriegserlebnissen traumatisierte Tenor Adolar liebt den Sopran Euryanthe (samt ausuferndem Hindernis-Parcour mit Zweifeln, Enttäuschung, Eifersucht, Rachegedanken,…), der „böse“ Gegenspieler und Bariton Lysiart wäre auch in Euryanthe verliebt, hat bei der Treuen, Reinen, Standhaften aber schlechte Karten, schlägt daher (wie einst Alfonso in Mozarts „Cosi“) eine Wette über die Treue der Frauen vor. Schließlich der „böse“ Mezzosopran Eglantine, die ihrerseits Adolar (auch sie hat die „falschen Karten“) liebt. Also: Die vier finden aus den emotionalen Verstrickungen einen mehr als dreistündigen Abend lang nicht heraus. Weil Euryanthe sozusagen von den Toten erwacht, gibt’s dann schlussendlich ein romantisches Lieto fine. Vorher allerdings  der Umstand, dass Euryanthe einen gegebenen Schwur bricht und  den Selbstmord von Adolars Schwester Emma ausplaudert! Wofür sie schließlich alle verachten! Was Adolar augenblicklich an Euryanthes Treue zweifeln lässt. Und die gemeinsame Intrige der beiden „Bösen“, die nur die Lust an der Intrige vereint, bricht sich Bahn.  Und auch sonst allerlei Zutaten der romantischen Oper. Mordgedanken, ausbrechender Wahnsinn, Geistererscheinungen. Die Oper dauert gut 3 Stunden.

Nicht ganz von der Hand zu weisen der Gedanke, Weber hätte vermutlich besser daran getan, (wie später „Richard der Große“) das Libretto selbst zu schreiben. In der Live-Situation setzt sich nämlich das Gefühl fest, der Text der Helmina von Chézy sei eher eine holprige Übersetzung aus einem anderssprachigen Original, was man sogar bestimmten, seltsam umständlich klingenden musikalischen Sequenzen anzuhören meint. Freilich, der geniale Weber befreit sich immer wieder musikalisch davon und es gibt eine farbenprächtige, teils hochdramatische, teils berückend verinnerlichte und seelische Abgründe auslotende Musik zu bestaunen.

Dirigent Constantin Trinks macht den Abend jedenfalls musikalisch zum Ereignis. Das ORF Radiosymphonieorchester Wien beweist einmal mehr große, polystilistische Kompetenz. Nach der Avantgarde bei „Wien Modern“ ist das Orchester auch in der romantischen deutschen Oper schier unverzichtbar geworden. Trinks gelingt eine klangprächtige Wiedergabe und beglaubigt, dass diese „Große Oper“ Webers (ohne gesprochene Dialoge und „durchkomponiert“) eine Orchesteroper im Vorfeld Richard Wagners ist. Klangsatt wird musiziert, viele anspruchsvolle Soli werden bravourös gemeistert. Wobei sich der Solofagottist in der großen Arie Euryanthes mit meisterhafter Phrasierungskunst und „Melancholie pur“ besonders auszeichnet.

Diskussionswürdig bleibt allemal, wie man dieses Stück, das in mythischem Mittelalter verortet ist, szenisch umsetzt. Das ist zugegebenermaßen schwierig. Christof Loy, einer der „Psychoanalytiker“ unter den Regisseuren, entschloss sich augenscheinlich, die Seelenlage der handelnden Personen in einer strindberghaft anmutenden Beziehungshölle bloßzulegen. Dazu benötigt er bekanntermaßen nur einen „Bühnenraum“. Dieser wird ihm dienstbeflissen von Johannes Leiacker hingestellt. Jede Menge Déjá-vu! Ein kahler Raum (warum eigentlich schräg?), wie ein Saal in einem Sanatorium, klinisches Weiß. Ein Bett (im 1. und 3. Akt), ein Klavier (im 1. Akt – aha die „Klaviatur“ der psychischen Befindlichkeiten, der Obsessionen, des Wahnsinns!). Im Mittelakt bleibt die Bühne völlig leer. Man wird der ewig gleichen Einheitsbühnenbilder längst überdrüssig! Ich unterstelle einmal: Über den „Psycho-Zugang“ hinaus hat sich Loy um anderes Werkimmanentes gedrückt. In diesem Bühnenambiente könnte man nämlich fast jedes Stück spielen. Thomas Bernhard rauf und runter fällt mir augenblicklich ein (ein Bügeltisch, und die Frau Zittel aus dem „Heldenplatz“ wird gleich zum Monolog ansetzen!).

Warum Kostüme auch immer wieder aus den 50er Jahren sein müssen (sie wurden von Judith Weihrauch verantwortet), erschließt sich mir auch nicht, selbst wenn man das derzeit noch so oft, fast leitmotivisch, wiederholt. Ja und die Nacktszene, die Lysiart zugemutet wird: Sie erhellt nicht die Dringlichkeit einer Verführungsszene. Mit derlei provozieren zu wollen, ist als Aufreger längst passé.

In diesem Strindberg-Kammerspiel haben es die Sänger/innen alles andere als leicht. Die Rolle des Adolar verlangt einen Tenor, der lyrischen Schmelz, Höhensicherheit und Kraft für dramatische Steigerungen vereinigt. Norman Reinhardt schwächelt jedenfalls am besprochenen Abend bedenklich, die Stimme klingt verspannt, steif, der Tenor verengt sich in der Höhe, befindet sich einige Male am Rand des Kippens, wenn Pianokantilenen verlangt werden. Erst mit der dramatischen Zuspitzung singt er sich einigermaßen frei. Die Stimmverfassung korrespondiert jedenfalls mit der selbstquälerischen Art des Depressiven, der lange Zeit passiv auf dem Boden oder im Bett kauern muss. Jaquelyn Wagner war das Idealbild der romantischen Jugendlich-Dramatischen. Ein in der Höhe aufblühender lyrischer Sopran mit unforcierten Spitzentönen, ganz ohne Schärfe, und auch in der Bühnenerscheinung (hier mit stimmigen Kostümen!) ganz die Lichtgestalt in der romantischen Oper. Sie wäre auch sicher eine ideale „Freischütz“-Agathe, und eben auch eine wunderbare „Tannhäuser“-Elisabeth oder „Lohengrin“-Elsa.  Stefan Cerny ist mit resonanzkräftigem Bass ein milder König Ludwig VI., der nach dem Regiewillen allerdings eher wirkt wie der Chefarzt auf Visite. Das böse Paar hat natürlich mehr Möglichkeiten, sich auch szenisch effektvoll zu präsentieren. Das nützt Theresa Kronthaler exzessiv, spielt das  Kippen in den Wahnsinn mit packender Bühnenpräsenz aus. Mitunter wird die Grenze zur Outrage erreicht. Bei der stimmlichen Umsetzung: für das Wagner‘sche Ortrud-Vorbild geht bei Kronthaler (sie darf ein böses, rotes Kostüm tragen) Ausdruck vor Stimmschönheit. Gleiches gilt für Andrew Foster-Williams. Markant und durchschlagskräftig ist sein Bariton. Er singt auch mit vorbildlicher Textverständlichkeit, natürlich bleibt auch er nicht frei von szenischen Übertreibungen – ein Opfer der Regie.

Der Arnold Schoenberg Chor musste (auch hier wieder Leitmotivik, Homokis Gamsbart-„Lohengrin“ lässt grüßen!) im Trachten-Outfit seine Chöre schmettern – und tat das rein musikalisch mit Schönheit und Geschmack (Einstudierung: Roger Díaz Cajamarca, Viktor Mitrevski).

Also: Eine musikalische Wiederentdeckung auf alle Fälle,  am Beginn des Weber-Zyklus am Theater an der Wien. Ob es je ein Repertoire-Stück wird?

Dirigent, Chor und  Orchester wurden am Ende bejubelt, brausende Zustimmung und Bravi für Jaquelyn Wagner, Theresa Kronthaler und Stefan Cerny. Deutlich gedämpfter war die Zustimmung bei den beiden anderen Männern. Foster-Williams bekam – von ein, zwei Besuchern abgesondert – hartnäckige Buhrufe, die er zuerst mit ironischen Kusshändchen, schließlich mit verärgertem Achselzucken quittierte. Buhrufe tragen kein Mascherl. Die Gesangsleistung kann wohl nicht gemeint gewesen sein. Ich tippe, da hat jemand die Nacktszene nicht goutiert. Aber da wäre wohl der Regisseur die richtigere Adresse gewesen. Nur, der war in der 3. Aufführung nicht mehr da. Dass dann der Sänger zum Blitzableiter wird, finde ich nicht richtig!

Karl Masek

 

 

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