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WIEN/ Theater an der Wien: „ELIAS“ – Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium als Karton- und Schwarz-Weiß-Theater

2. Aufführung der Neuinszenierung

19.02.2019 | Oper

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Foto: Werner Kmetitsch/Theater an der Wien

WIEN / Theater an der Wien: „ELIAS“ –

Felix Mendelssohn Bartholdys  Oratorium als Karton- und Schwarz-Weiß-Theater  (2. Aufführung der Neuinszenierung)

18.2. 2019 – Karl Masek)

Calixto Bieito hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten sein Image als Skandal-Regisseur redlich erarbeitet und mit gewalttätiger Zuspitzung bzw. einem bewusst sexualisierten Inszenierungszugang durchaus absichtsvoll vorangetrieben. Liest man aktuelle Interviews mit dem Katalanen, bekommt man mittlerweile das Gefühl, dieses Klischee werde ihm langsam lästig.

In letzter Zeit nähert sich der Absolvent einer Jesuitenschule mehr und mehr sakralen Werken, Oratorien. Diese seien nach seiner Meinung näher am Puls der Zeit als etwa Opern des 18. Jhts. Religiöse Rituale zu erkunden, sei spannend, gerade auch für einen bekennenden Atheisten und Ablehner kirchlicher Institutionen. Zusätzlich sei der Tiefenblick in die „Komponistenseele“ Mendelssohn Bartholdys lohnend, der Konflikt zwischen der jüdischen Herkunft und der christlichen Sozialisation – übrigens ganz ähnlich wie später bei Gustav Mahler …

Wieder einmal: Über die Ideen des Regisseurs zum Werk, seine Inszenierungsphilosophie, seine gescheiten und plausiblen Gedanken zur Verbindung eines  Oratoriums des 19. Jhts mit der Gegenwart erfährt man bei der Lektüre des Programmhefts ungleich mehr als man dann auf der Bühne sieht. Erstaunlich, wie wenig Bildmächtigkeit diese Szene ausstrahlt, enttäuschend wie sich fast alles auf ein Schwarz-Weiß-Theater reduziert. Ja, man hat schon verstanden: Schwarz-Weiß-Botschaften heutiger Führungsfiguren in Politik und Religion finden in den Bühnenbildern ihren Niederschlag.

Verblüffend, zugleich beklagenswert allerdings, wie wenig Kreativität viele heutige Bühnengestalter (gerade auch angeblich Prominente an so genannten „Großen Häusern“!) entwickeln. So wie diesmal Rebecca Ringst (Bühne). Da beherrscht ein Gewirr aus Gittergestängen die Bühne, die obsessiv-einfallslos von der Senkrechten in die Waagrechte (und zurück) fahren. Geradezu armselig die ewig gleiche Videoprojektion des Raben – gefühlt eine gute halbe Stunde in Permanenz fürs Finale (Video: Sarah Derendinger). Bei Mendelssohn ist z.B. im Chor Nr. 34 die Rede von Stürmen, Erdbeben und Feuer. Nichts davon findet auch bildliche Entsprechung. Seltsam hilflos Bieitos Personenführung der Massen, wenn  beim Regenwunder entfesselte Begeisterung ausbrechen sollte. Da beschränkt sich das Vokabular auf in die Luft geworfene Kleidungsstücke. Und wenn der Chor in kollektives Händeringen und Fäusteballen ausbricht: Ach, du meine Güte, das ist doch Theater aus der Mottenkiste! Aus ungezählten Produktionen wissen wir, wie spielfreudig, darstellerisch kompetent und auf der Höhe der Zeit  der Arnold Schoenberg Chor wäre! (Zur musikalischen Würdigung komme ich noch)

„Obadjah“ zieht mit höchster Anstrengung ein kirchenartiges Gebilde (entfernt an Romanik erinnernd) auf die Bühne. Maximilian Schmitt lässt dann auch einen Abend lang mit angestrengter Stimme Überdruck spüren. Sein schön timbrierter Tenor kommt an diesem Abend nur wenig zur Geltung. Das Volk Israel demoliert dieses Gebilde. Es ist aus Karton, der geräuschvoll (natürlich in die Musik hinein!) in seine Bestandteile zerrissen wird. Man wird unwillkürlich erinnert an einen in die Jahre gekommenen österreichischen Freistilringer, der als eine Art Weltmeister im Telefonbuchzerreißen eine zweifelhafte Alterskarriere gemacht hat. Die Bühne bleibt für den Rest des Abends mit den Karton-Bestandteilen zugemüllt. Manches wird von den Religions-Fanatikern als „Handwaffe“ benützt. Andere wiederum schnetzeln die Trümmer „auf ganz klein“…

Und die Kostüme (Ingo Krügler)?  Sehr heutig, natürlich! Eine „Stagione Schneiderei“ mit dem kuriosen Namen  Der fesche Ferdl  hat laut Programmheft die Kostüme hergestellt. Da stellt sich eher der Eindruck ein, der „Fesche Ferdl“ konnte für das Theater an der Wien sämtliche Ladenhüter der letzten zwanzig, dreißig Jahre loswerden…

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Foto: Werner Kmetitsch/Theater an der Wien

Dieses Karton- und Schwarz-Weiß-Theater verlockt mit Fortdauer des Abends zu einem „Ohren auf – Augen zu“. Aktivposten der immer wieder phänomenale Arnold Schoenberg Chor. Er beglaubigt im Kollektiv alttestamentarisches Pathos und die Manipulierbarkeit der Masse, aber auch die Hilfeschreie der hungernden und dürstenden Menge mit machtvollem Gesang und verstörenden Steigerungen. In der Herausschälung der einzelnen Charaktere zeigt sich natürlich die Stärke des Psychologen Bieito. Auch dies setzt der Edelchor schlussendlich exemplarisch um. Großer Jubel für eine grandiose Abendleistung und eine perfekte musikalische Einstudierung (Erwin Ortner und Roger Dìaz Cajamarca).

Auf der musikalischen Haben-Seite des Abends natürlich Christian Gerhaher . Sein „Elias“ hat zwar rein äußerlich so gar nichts „Prophetisches“. Aber er ist in jeder Faser der Charismatiker, der Massen mitreißen kann – und behaftet mit Glaubensfanatismus, Fehlern, Ängsten, Selbst- und Glaubenszweifeln, Depressionen mit dem Gefühl, ein Versager zu sein und unnütz gelebt zu haben (Berührend seine große Arie „Es ist genug“). Er besticht durch perfekte Wortbehandlung und dementsprechende Deutlichkeit. Auch wenn ich bestimmte Manierismen seines Gesanges (Leises bis fast zur Unhörbarkeit, dramatische Steigerungen ansatzlos und mir immer wieder zu „stoßweise“) nicht uneingeschränkt teile (aber das ist Geschmackssache!), gebe ich zu: Eine Rolleninterpretation, die derzeit kaum Konkurrenz haben dürfte. So wie sein machtvoller Bariton. Jubel für ihn.

Maria Bengtsson (die Witwe),  Kai Rüütel (Der Engel), Ann-Beth Solvang (Die Königin), Michael J. Scott (Ahab): Sie alle sind in den Ensembles und Arien (z.B. „Höre, Israel“!) von einnehmender Qualität. Carolina Lippo muss einen Abend lang als „Seraph“ die „Irre vom Dienst“ spielen, was auf die Dauer ziemlich nervig wird. Erst spät kann sie sich auch stimmlich profilieren.

Musikalisches Fundament ist einmal mehr das ORF Radio-Symphonieorchester. Es entwickelt immer mehr ein individuelles Timbre, überzeugt mit kompakter Tongebung, beste Anpassung an die akustischen Gegebenheiten des relativ intimen Theater an der Wien. Der finnische Dirigent Jukka-Pekka Saraste ist der gefeierte Debütant im Haus am Naschmarkt. Er macht Mendelssohns Stil zwischen Bach und, ja, Richard Wagner, deutlich. Vieles klingt „protestantisch“ durchpulst. Besser kann man Mendelssohn kaum spielen. Das „musikalische Fundament“ wurde vom Publikum dieser 2. Vorstellung gebührend akklamiert.

Ob diese szenische Fassung nötig war?  Nächste Werkbegegnung vielleicht doch wieder konzertant.

Karl Masek

 

 

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