TadW Christian Kolonovits (25.2.1952*) EL JUEZ 5.7.2016 (Premiere am 2.7.2016) –
José Carreras. Copyright: Herwig Prammer
Ein Fest für José („Josep“) Carreras und für Christian Kolonovits mit 15 minütigen Standing ovations. Uraufgeführt wurde die Oper 2014 in Bilbao und noch im gleichen Jahr bei den Tiroler Festspielen in Erl gezeigt. 2015 folgte ein Gastspiel in St. Petersburg und nun ist „El juez – los niños perdidos“ (Der Richter / Die verlorenen Kinder) endlich für zwei Aufführungen auch in Wien und ebenda, im innovativsten Opernhaus der Stadt, dem Theater an der Wien, zu sehen gewesen.
Die Oper behandelt ein dunkles Kapitel der spanischen Geschichte zur Zeit der Diktatur von General Francisco Franco (1892-1975). Während seiner Schreckensherrschaft wurden zwischen 1939 und 1975 rund 30.000 Kinder ihren politisch linksstehenden Eltern weggenommen und unter falschen Identitäten und Namen in Klöstern und anderen Einrichtungen „umerzogen“. Bis zum heutigen Tag weigert sich die römisch katholische Kirche Spaniens, die wahre Identität dieser „verlorenen Kinder“ preiszugeben.
Zum Inhalt: Alberto García, ein Liedermacher, erfährt am Totenbett seiner Mutter von der Existenz eines verlorenen Bruders und macht sich auf die Suche nach ihm. In seinem neuesten Lied „Der Seidenschal“ erzählt er wie das Kind seiner Mutter von einer Nonne grausam entrissen und in ein Kloster entführt wurde. García wird bei seiner Suche von der Fernsehjournalistin Paula unterstützt. Das mediale Aufsehen entfacht ein Feuer der Bewegung und Menschen mit ähnlichem Schicksal fordern die Öffnung der kirchlichen Archive. Dr: Felix Morales, der Vizepräsident des Geheimdienstes der „Sauberen Hände“, zwingt den Richter Federico Ribas diese Einsichtnahme per Dekret zu untersagen. Hin und hergerissen unterzeichnet der Richter, der selbst in einem solchen Kloster aufgewachsen ist, das Dekret. Ein Treffen von García und Ribas verläuft ergebnislos, ebenso eine Unterredung zwischen der Äbtissin, der „schwarzen Elster“, und Ribas, den sie als kleinen Jungen den Händen seiner Mutter entrissen hatte. Sie gibt die Identität des verzweifelten Ribas, ihres „Lieblingskindes“, nicht preis. Das Geschehen eskaliert durch das teuflische Intrigenspiel von Morales, der – welch Zynismus – schon auf Grund seines Namens eigentlich ein Sittenwächter der Moral sein sollte. García, der die Tochter des Richters entführt hatte, wird von einer Kugel Morales‘ tödlich getroffen, erfährt aber noch, was der Richter bereits weiß, dass jener sein verschollener Bruder ist.
Die österreichische Librettistin, Dramaturgin und Regisseurin Angelika Messner (1969*) verfasste das vieraktige Libretto der Oper, welches von Adan Kovacsics ins Spanische übertragen wurde. Nach dem pannonischen Musical „Coming Home“ (2004), dem 60er-Jahre Musical „Csaterberg“ (2006) und der Pop-Oper für Kinder und Erwachsene „Antonia und der Reißteufel“ (2009), ist „El Juez“ ihr viertes Libretto für Christian Kolonovits.
José Carreras. Copyright: Herwig Prammer
Der Komponist wiederum hat José Carreras die Rolle des Richters Federico Ribas auf den Leib, oder besser gesagt, in die Kehle geschrieben. Opernkitsch mag ja legitim sein, um so beim Zuhörer eine katharsis zu bewirken und so bedient sich der Komponist in seiner an Puccini, Menotti und Bernstein orientierten Musiksprache auch spanischer Tänze wie Bolero, Fandango und Flamenco. Ein kurzes musikalisches Zitat aus Thomas Adès „The Tempest“, erinnert an die halsbrecherischen Koloraturen des Luftgeistes Ariel, den bei Kolonovits eine aufgebrachte Nonne im ersten Bild zum Besten geben darf. Die Oper ist völlig tonal komponiert, womit wohl ein Erfolg des Werkes beim breiten Publikum miteingeplant ist. Bisweilen driftet die Musik allerdings auch in das Genre der Filmmusik ab, was jedoch bei den kurzen sinfonischen Zwischenspielen auch durchaus legitim sein mag. Hier kann jedoch dem Dirigenten David Giménez, dem Neffen von José Carreras, der Vorwurf nicht erspart werden, dass unter seiner Stabführung das ORF Radio-Symphonieorchester Wien über große Strecken hinweg viel zu laut spielte. Das hatte – naturgemäß – zur Folge, dass alle Sänger forcieren, um nicht zu sagen – brüllen – mussten.
Mit seinem Bühnenbild, einem vergitterten Kubus, dessen Wände sich hochziehen lassen bzw. seitlichen Öffnungen, die bald als Türen, bald als typische hohe spanische Fensterläden geöffnet werden können, gelingt es Daniel Bianco nur schwer, die im Libretto angeführten unterschiedlichen Spielorte optisch klar einzufangen.
Emilio Sagi, Direktor des Teatro Arriaga in Bilbao, verstand es zwar den exzellent von Erwin Ortner einstudierten Arnold-Schoenberg Chor, Bilder vermisster Kinder und andere Tafeln, auf denen Parolen zu lesen warn, trotzig und anklagend vor sich herhaltend, im Raum zu bewegen. Bei den Solisten ging er aber viel zu statisch vor, etwa beim Liebeslied zwischen dem Liedermacher Alberto García und der Journalistin Paula, die einander nicht einmal in die Augen sahen. Aus den eher in düsteren Farben gehaltenen Kostümen von Pepa Ojanguren stechen die moderneren, bunteren von Paula und Alberto als Zeichen der unzufriedenen, unangepassten jungen Generation heraus. Für die sensible Beleuchtung sorgte Eduardo Bravo. Während der sinfonischen Zwischenspiele werden historisierende Filmaufnahmen jener verschwundenen und zum Herzerbarmen singenden Kinder gezeigt.
Für José Carreras bedeutet die Rolle des Richters Federico Ribas zugleich den Abschied von der Bühne. Gemeinsam mit dem Komponisten konnte man sich auf das „g“ als höchste Note einigen. Darstellerisch vermochte er ja, abgesehen von stereotypen Handbewegungen, nie Überwältigendes zu bieten. Und auch stimmlich gedachte man mit Wehmut früherer glanzvoller Tage im Haus am Ring. Aber er machte seine Sache, trotz des viel zu laut spielenden Orchesters, mit exzellenter Technik dennoch famos. Und als ein spanischer Richter in jenen Zeiten erlaubt man ihm auch, eher würdevoll und statutarisch auf der Bühne zu stehen, als sich in gekünstelten Emotionsausbrüchen völlig unglaubwürdig zu verheddern.
Als Liedermacher Alberto García überzeugte Tenor José Luis Sola, wenn schon nicht stimmlich, dann doch darstellerisch. Eine satte, angenehm timbrierte Mittellage verhinderte aber dennoch, wohl auf Grund des lauten Orchesters, respektable gesangliche Leistungen in der Höhe. Gleiches gilt für seine Partnerin Sabina Puértolas als Journalistin Paula, bei der es in der Höhe auch hörbar eng wurde. Die dunklen Charaktere wiederum waren exzellent stimmlich wie darstellerisch besetzt. Allen voran Carlo Colombara mit seinem dämonisch dunklen Bass als Morales. Und auch die verzweifelte Äbtissin von Ana Ibarra wartete mit einem eindringlichen Mezzosopran auf. Durchaus auf hohem Niveau wurden auch die kleineren Rollen von der Mezzosopranistin Maria José Suárez und der Sopranistin Itziar de Unda als erste und zweite Nonne, Manel Esteve als Kameramann mit gefälligem Bariton in der Kehle, Milagros Martín als alte Frau mit markantem Mezzo sowie die beiden Tenöre Julian Henao Gonzalez und Thomas David Birch, der Bariton Ben Connor und Bassist Stefan Cerny als vier Männer der sauberen Hände, Entourage von Dr. Morales.
Und auch vier Solisten des Arnold Schoenberg Chores haben zum großen Erfolg dieses Abends beigetragen und müssen daher genannt werden: Birgit Völker und Generose Sehr als erste und zweite Frau, sowie Katja Scheibenpflug und Marcell Attila Krokovay als alte Frau und alter Mann. Den stummen Part der Tochter des Richters übernahm noch Lana Matic.
Am Ende dieses samt Pause dreistündigen Abends, der nur selten „Längen“ aufwies, gab es verdiente Standing Ovations für José Carreras. Der Komponist und seine Librettistin traten ebenfalls vor den Vorhang und nahmen den Applaus dankbar entgegen. Ich hatte den Eindruck, dass José Carreras an diesem Abend wirklich gerührt war, weil ihm so viele dankbare wie anerkennende Emotionen aus dem Publikum entgegen schlugen.
Harald Lacina