Theater an der Wien: „Das Paradies und die Peri“ 15.11.2024
Foto: Harald Lacina
Mit großem Bedauern musste das Publikum zur Kenntnis nehmen, dass die geplante szenische Aufführung von Robert Schumanns Das Paradies und die Peri durch Regisseur Christof Loy in der laufenden Spielzeit in geplanter Form nicht stattfinden kann. Also wich man auf eine konzertante Aufführung aus. Das Paradies und die Peri, op. 50, ist ein weltliches Oratorium von Robert Schumann (1810-56). Das am 4. Dezember 1843 (zwischen Mendelssohns Paulus und Elias) uraufgeführte Werk ist zu dramatisch und mit zu viel Handlung für ein Oratorium versehen, jedoch deutlich zu episch für eine Oper. Hinzu kommen Schumanns lyrischer Ton und seine Vorliebe für orientalische Sujets, die auf uns heute eher befremdlich wirken. Da Schumann eine literarisch-musikalische Doppelbegabung besaß, verstand er sich selbst als Tondichter. Das Libretto des Oratoriums basiert auf dem Kunstmärchen Lalla Rookh (persisch für Tulpenwange), 1817, von Thomas Moore (1779-1852), welches von Schumann und seinem Jugendfreund Emil Flechsig (1808-78) neu übersetzt und bearbeitet wurde, wobei Schumann die Erzählung Moores bereits als Kind gekannt haben könnte, da 1822 eine deutsche Übersetzung von Friedrich de la Motte Fouqué erschienen war, die sich in der Bibliothek seines Vaters befand. Die Peri (persisch پری) ist eine Fee aus der persischen Mythologie, der das Paradies auf Grund ihrer unreinen Herkunft als Tochter eines gefallenen Engels und einer Sterblichen verschlossen bleibt. Ihre ersten beiden Opfergaben – der letzte Blutstropfen eines tapferen, jungen Freiheitskämpfers gegen einen Tyrannen in Indien und der letzte Seufzer einer in den Armen ihres von der Pest dahingerafften Geliebten sterbenden Jungfrau in Ägypten – werden von dem himmlischen Wächter nicht anerkannt. Erst durch die Tränen eines reuigen Verbrechers beim Anblick eines betenden Knaben im Libanon, der ihn an die Unschuld der eigenen Kindheit erinnert, erreicht die Peri schließlich ihr Ziel. Sie muss erkennen, dass weder Heldenmut noch aufopferungsvolle Liebe genügen, um Eingang ins Paradies zu finden. Erst das Mitleid öffnet der Peri die Pforten des Paradieses. In den Kunstmärchen von Thomas Moore vermischen sich romantischer Erlösungsgedanke und Orientalismus. Schumanns dramatische Musik ist besonders farbenreich und gipfelt in der rauschhaften Apotheose der erlösten Peri. Der Aufbau des Oratoriums ist dreiteilig mit insgesamt 26 Nummern. Das Orchester setzt sich aus 2 Flöten und Piccolo, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotten, 4 Hörnern, 2 Trompeten, 3 Posaunen (Alt, Tenor, Bass), 1 Ophicleide (ein Klapphorn mit nach oben gerichtetem Schalltrichter), Pauken, Triangel, Großer Trommel, Harfe und Streichern, zusammen. Schumanns überkonfessionelles Oratorium ist durchkomponiert. Die Soli von Sopran, Mezzo, Alt, Tenor, Bariton und Bass treten auch drei- bis sechsstimmig und mit Chor auf. 5 der 12 Chöre sind rollengebunden, nämlich der Chor der Inder, der Eroberer, der Engel, der Nilgenien und der Houris (d.s. die Paradiesesjungfrauen im Koran). Die Solostimmen bekleiden folgende Rollen: Engel, Jüngling, Jungfrau, Mann, Tyrann Gazna und für die in 9 Nummern auftretende Peri. Im 20. Jhd. wurde das Werk zweimal durch Umgestaltung und Uminterpretation des Textes und einzelner Nummern 1914 als Musik zur „Totenfeier unserer Heldenscharen“ missbraucht. In diesem Sinn wurde das Oratorium später auch auf Grund eines Aufrufs der Reichsmusikkammer dergestalt überarbeitet, dass das Thema der Reue an den Beginn und das des Opfertodes zur Erzielung einer heldischen Wirkung an das Ende versetzt wurde. In dieser Fassung wurde das Oratorium am 3. Juni 1943 in Schumanns Geburtsstadt Zwickau bei den offiziellen Schumann-Feierlichkeiten im Pestalozzisaal aufgeführt. Diese Instrumentalisierung des Werkes zu Propagandazwecken führte dann nach dem 2. Weltkrieg zu einer allgemeinen Distanzierung von dem Werk…
Foto: Harald Lacina
Die litauische Dirigentin Giedrė Šlekytė ließ Schumanns überschäumende musikalischen Einfälle gemeinsam mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien und dem von Erwin Ortner besteinstudiertem Arnold Schoenberg Chor aus dem Vollen erklingen. Pest und Tod in Ägypten werden durch fahle Flötenklänge intoniert, während zarte Geigentremoli uns flatternde Engelsflügel erahnen lassen. Elsa Dreisig singt die Peri (Sopran I) brillant mit strahlendem, höhensicherem Sopran und unterstreicht damit ihre unendliche Sehnsucht nach Erlösung. Am Ende überstrahlt sie mit dem „hohen C“ den Chor und das Orchester. Auch Sarah Defrise als Jungfrau (Sopran II) begeisterte mit einem stimmlich frischen, heiteren Gesang. Der Mezzosopran von Sophie Rennert als Engel klang stets leidenschaftlich und ergriff durch seine Wärme die Seelen des Publikums. Werner Güra erledigte seine weitgehend rezitativischen Aufgaben als Erzähler (Tenor I) gänzlich gattungstreu und souverän. Er erzählte den Text mit seinen endlosen Strophen mit deutlicher Diktion und starkem musikalischem Ausdruck vor allem in den tieferen Lagen. Der US-Amerikaner Cameron Becker sang den Jüngling (Tenor II) besonders gefühlsvoll und betont lyrisch. Daniel Schmutzhard sang die Bariton-Partie des Mannes mit vollem stimmlichem Einsatz und Levente Páll ließ den persischen Tyrannen Gazna mit mächtigem, markantem Bass mit wenigen Worten gebieterisch über sein Volk herrschen und verlieh im Gegensatz dazu dem Bass-Solo des reuigen alten Mannes im dritten Teil einen wunderbaren wehmütigen Ausdruck. Der Abend endete mit frenetischem Applaus für alle Beteiligten und zahlreichen Bravorufen. Mit Elsa Dreisig war an diesem Abend zweifellos ein neuer Liebling des Publikums geboren!
Harald Lacina, 16.11.2024