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WIEN/ Theater an der Wien: CAPRICCIO

26.04.2016 | Oper

Theater an der Wien: CAPRICCIO am 25.4.2016

Capriccio_6004(c)Herwig Prammer
Copyright: Herwig Prammer/ Theater an der Wien

Um es gleich vorweg zu nehmen. „Capriccio“ gehört nicht zu meinen Lieblingsopern. Mag auch Clemens Krauss in Personalunion mit dem Komponisten maßgeblich am Zustandekommen dieses Konversationsstückes beteiligt gewesen sein, so könnte man diese Oper überspitzt im Sinne von Thomas Bernhard als „viel gelehrtes Geschwätz, aber auf höchstem Niveau“ charakterisieren. Ich weiß, mit dieser Äußerung bin  ich jetzt bei vielen Strauss Jüngern und Jüngerinnen unten durch, aber ich frage mich schon: wie kommt man in den Jahren zwischen 1937 und 1942, dem Jahr der Uraufführung der Oper, also schon mitten im 2. Weltkrieg dazu, eine solche (anachronistische) Oper zu verfassen? Hatte denn nicht Richard Straus noch unmittelbar vor Ausbruch des Krieges ein so gewaltiges Werk wie den „Friedenstag“ komponiert, der sich leider auf die heimischen Bühnen noch immer nicht verirrt hat, da man hierzulande anlässlich des 150. Geburtstages von Richard Strauss im Jahr 2014 lieber mit einer halbszenischen „Feuersnot“ vorlieb nahm.

Kommen wir zurück zu Capriccio. Wunderbare Musik, zweifellos, schöne, klare Linien, ideal für die Sängerin der Gräfin, aber auch für ihren großen Gegenspieler, den Theaterpraktiker La Roche. Die Entourage der Gräfin, der Dichter Olivier und der Musiker Flamand, fungiert mehr oder weniger als selbstverliebte eitle Stichwortbringer und hat ihr Vorbild wohl in der Figur des Komponisten in „Ariadne auf Naxos“. Und Strauss wartet in dieser Oper nicht nur mit musikalischen Reminiszenzen an seine früheren Opern auf, sondern flicht auch kurze musikalische Zitate jener Komponisten geschickt ein, die kn der Oper namentlich genannt werden: Rameau, Lully, Gluck und Piccinni. Es entsteht dadurch eine Art musikalisches Potpourri, aber natürlich immer „auf allerhöchstem Niveau“…

Ich teile nun nicht unbedingt die Ansicht, dass ein Regisseur oder eine Regisseurin unbedingt den Intentionen des Komponisten bei der Umsetzung einer Oper folgen muss, denn das hieße beispielsweise die Rheintöchter auf einem Podest, welches hinauf- und hinabgekurbelt werden kann, gleichsam schwimmend zu zeigen. Die Oper spielt nun in einem Gartensaal eines Rokokoschlosses in der Nähe von Paris um das Jahr 1775, zu jener Zeit also, da Christoph Willibald Freiherr von Gluck an der Pariser Oper tätig war.

Will das Publikum des 21. Jhd. eine solche historisierende Verortung. tatsächlich sehen? Ich meine jedenfalls, dass das Gros des an lebendigem Theater interessierten Publikums mit einer historischen Aufführungspraxis (die es im Übrigen gar nicht gibt) nichts anfängt. Man bräuchte ja dann auch keine Regie mehr, da im Textbuch zumeist alle szenischen Anweisungen sowie die Reihenfolge der Auftritte und von welcher Seite beschrieben sind. Man könnte also die Intention des Textdichters 1 zu 1 auf die Bühne stellen und würde damit das Werk zu einem musealen Ausstellungsstück verdammen.
Da lobe ich mir die Regisseurin Tatjana Gürbaca, deren Regiestil natürlich von ihren Lehrern Ruth Berghaus und Peter Konwitschny beeinflusst ist. Eine große weiße Treppe beherrscht die Bühne. Das Personal liegt zunächst wie tot auf den Stufen verstreut (eine Reminiszenz an die Zeit der Uraufführung mitten  im Krieg!). Diese „Toten“ werden dann wieder zum Leben erweckt, wobei blutgetränkte Einschusslöcher auf den Kostümen gleichsam ihren  „untoten“ Charakter versinnbildlichen. Auf der Bühne von Henrik Ahr befinden sich auch drei Cembali und ein Kranz mit Trauerschleifen. Die Rampe zum Orchestergraben hin hat eine Vertiefung und soll wohl einen Schützengraben darstellen. Die Gräfin und ihr Bruder sind einander in dieser Inszenierung zärtlich zugetan und man denkt sofort an Siegmund und Sieglinde. Die Gräfin ihrerseits liebt aber auch das unverbindliche, aber doch sehr erotische Techtelmechtel mit Flamand, der wie Mozart aussah, und Olivier, der an Hugo von Hofmannsthal erinnerte,  und wird auch – für einen kurzen Augenblick – beim Anblick der Tänzerin schwach, deren Kleid sie inbrünstig an sich presst. In ihrem Benehmen trägt sie unverkennbare die Züge der Marquise Isabelle de Merteuil im französischen Briefroman „Les Liaisons dangereuses“ von  Pierre-Ambroises-François Choderlos de Laclos, besser gesagt von Glenn Close, die diese Rolle im gleichnamigen Film von 1988 verkörpert hatte. Und auch die angedeutete Schändung einer Tänzerin, deren Leichnam (auf der Bühne natürlich eine Puppe) von den lüsternen Männern in Stücke gerissen wird, vermag die Gräfin nicht zu erschüttern. Sie scheint von diesen Ereignissen um sie wie abgehoben.

Trotz dieser aufgeheizt erotischen Stimmung verharren alle Beteiligten aber im Wesentlichen in jenem strengen Sittenkorsett, das 1775 vorgeherrscht haben mag. Das Finale der Oper mit seinem endlosen, aber unzweifelhaft grandiosem prächtigem Abgesang der Gräfin wird nach mehr als zwei pausenlosen Stunden nur durch den Auf- und Abgang von Dichter und Musiker unterbrochen. Und dann erscheint die tote Tänzerin wieder auf der obersten Treppenstufe und winkt die Gräfin zu sich.

Die Schwedin Maria Bengtson bot als Gräfin mit ihrem höhensicheren Sopran und wunderschönen schwebenden Piani eine beeindruckende Leistung und reihte sich damit in die Reihe der großen Interpretinnen dieser Rolle ein. Der aus dem ladinischen La Val in Südtirol stammende Andrè Schuen bot als Bruder der Gräfin einen sonoren, wohlklingenden Bariton auf. Daniel Behle als Flamand und Daniel Schmutzhard als Olivier boten köstliche Charakterstudien im Streit um die Vorherrschaft von Wort und Musik. Besonders wortdeutlich agierte der große Gegenspieler der Gräfin, der Theaterdirektor La Roche, der von Lars Woldt mit beeindruckender Bühnenpräsenz dargeboten wurde. Sehr gut konnte das italienische Sängerpaar Elena Galitskaya und Jörg Schneider die leeren Gesten und verlogenen Gefühle der italienischen Oper (jener Zeit um 1775!) parodieren. Erik Årman konnte der Figur des Souffleurs Monsieur Taupe offenbar nicht viel abgewinnen, zauberte dafür aber einen goldenen Minipanzer aus dem Zylinder und sang sonst sehr trocken. Tanja Ariane Baumgartner versprühte als Schauspielerin Clairon etwas zu wenig Sexappeal. Haushofmeister Christoph Seidl lud mit seinem prächtigen Bass zum Souper. Der Chor der acht Diener war in den Kehlen von Angelo Pollak, Max von Lütgendorff, Thomas David Birch, Juan Sebastián Acosta, Marcell Attila Krokovay, Richard Helm, Florian Köfler und Stefan Dolinar bestens aufgehoben. Agnes Guk musste als Tänzerin eine Schändung über sich ergehen lassen. In Kostümen dem Barock entlehnt (Kostüme: Barbara Drosihn) spielten noch drei Musiker, Rémy Ballot (Violine), Jörgen Fog (Violoncello) und Johannes Maria Bogner (Cembalo) auf der Bühne mit.

Bertrand de Billy hatte die Leitung des Orchesters der Wiener Symphoniker über, die für meinen Geschmack mit einem schwelgerischen, herrlichen Strauss, mit ironischem Ausklang im schier endlosen Abschied der Gräfin, aufwarteten. Für die gefühlvolle, sensible Beleuchtung sorgte noch Stefan Bolliger. Der Applaus verteilte sich nach zweieinhalb Stunden gleichmäßig auf alle Mitwirkenden. Bravorufe gab es für Lars Woldt und Maria Bengtsson. Und das völlig verdient!           

Harald Lacina

 

 

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