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WIEN / Theater an der Wien: ATTILA

07.07.2013 | Oper

WIEN / Theater an der Wien:
ATTILA von Giuseppe Verdi
Premiere: 7. Juli 2013

Ein schöner Mord. Ein schöner Skandal. Das Theater an der Wien beendete Wiens Opernsaison mit Karacho. Peter Konwitschny kam und lieferte, wofür man ihn engagiert hatte – Destruktion unter dem Mäntelchen hoch intellektuell aufgeplusterter Interpretation. Man kann davon ausgehen, dass der Großteil des Publikums darauf hereinfällt. Und ein paar Buh-Rufer – jene, die das richtige Gefühl haben, die Würde eines Werks sei verletzt worden (das gibt es, die Würde nämlich, nur die Menschen, die dergleichen erkennen, werden zunehmen weniger) – diese Buh-Rufer sind natürlich hoch willkommen. Denn sie machen aus einem faden Erfolg einen spannenden Skandal.

Man weiß ja: Je mehr Wirbel, umso mehr wird in den Medien geschrieben. Umso mehr wird darüber geredet. Umso mehr Leute bilden sich ein, das müssen sie gesehen haben. Wetten, dass der Run auf die letzten Karten (so es welche gibt) sofort einsetzt und dass man sich lange für Stehplätze wird anstellen müssen? Aber angesichts solcher Selbstverständlichkeiten wettet natürlich niemand dagegen…

Ein schöner Mord, so schön, als man ihn nur verlangen tun kann, wie’s in „Woyzck“ heißt, wird hier an Verdis „Attila“ begangen. Dabei hat es der arme Peter Konwitschny nicht leicht. Wenn man ein Markenzeichen ist, besteht die Gefahr der Abnutzung. Man muss also die Dosis „Konwitschny“ immer erhöhen – man erinnert sich an die Enttäuschung, als ihm zum „Totenhaus“ so absolut nichts Exzentrisches eingefallen ist. So geht das nicht. Also mit voller Wucht auf Verdis Oper, die zwar zu Hunnen und Römern schielt, aber eine Geschichte von immerwährender Gewalt erzählt. (Das wird übrigens durchaus klar, wenn man die Sache belässt, wo sie ist – aber das wäre wohl nicht Herausforderung genug. Für wen? Egal.) Bei Konwitschny erfahren wir nun, dass der gewalttätige Mensch sein Leben lang gewalttätig bleibt, vom Kindergarten bis zum Rollstuhl. Aha.

Kindergarten zuerst, in einer Ausstattung von Johannes Leiacker, die von einer zerfetzten Wand umschlossen wird und dann alles an Gerümpel herbeischafft, was Konwitschny zu seinem Inszenierungsglück braucht. Die Kinder mit ihrem Spielzeug (noch Kochlöffel als Waffen), den Trittrollern und Wägelchen, und vor allem dem Fetzenkarneval, in dem sie sich bewegen. Und herumkollern! Und auf einander eindreschen! Und zur Musik so schön zusätzlichen Lärm machen, indem man auf Blech trommelt! Ist das lustig! Attila ist da in kurzen Hosen und Indianer-Gesichtsbemalung ein lächerlicher Capo dieser Schar. Und wenn Odabella auftaucht, mit Zöpfchen und weißer Gitarre (damit sie diese scheinbar zupfen kann, wenn Verdi ihr Harfenmusik gegeben hat), die singt nicht, die keift – das couragierte Mädel gegen die blöden Buben: Die gehen dann auch gleich in Deckung. Lebensecht.

Nicht fragen, worum es geht und wovon es handeln soll, selbstverständlich ist von dem Werk nichts geblieben – aber Ezio (einst römischer Feldherr, der dem Hunnenkönig zumindest Italien abhandeln will, Verdis Verbeugung vor dem Risorgimento – warum hat man Attila eigentlich nicht zum Kaiser Franz Joseph gemacht, der war doch der Bösewicht, der Italien okkupiert hat?) – kurz, dieser Ezio gehört auch zur Bubenpartie, ist aber eher den Skinheads verwandt, er trägt eine wirklich schöne Stachelfrisur. Ein Dodel wankt herein, das soll der Liebhaber sein. Lassen wir es…

So geht es ohne weitere Einfälle bis zum 4.Bild. Wenn bei Verdi der Papst Leo auftaucht, kommen bei Konwitschny die Erwachsenen und sagen gewissermaßen: Schluss mit dem Blödsinn. Spielsachen werden eingesammelt, Fetzen ausgezogen und gegen Jacketts eingetauscht. Pause.

Das war der erste Teil mit dem tiefen Titel „Kindlich verspielt“. Der zweite ist im Programmheft „Ausgewachsen infantil“ benannt, und jetzt sind sie erwachsen: Ezio ist fett geworden, sitzt hinterm Schreibtisch mit normaler Frisur und intrigiert. Der Chor ist immer noch so lustig und hopsig wie in Kinderzeiten, wenn er die Einladung zum Bankett bringt. Da geht es dann allerdings schon wüst zu – es wird zwanghaft russisches Roulette gespielt, immer wieder fällt einer oder eine tot um. Wenn dann alle durcheinander singen und man ohnedies nichts verstehen kann (wann kann man es je? Aber bitte!), wird die wunderbare Ironie auf die Spitze getrieben: Jetzt kommen Sprechblasen vom Himmel, die lapidar sagen, was die einzelnen Figuren fühlen. Nichts Gutes, wie man sich vorstellen kann.

Plötzlich sind überall Rollstühle, und wenn man Lust hat, könnte man bewundern, wie Konwitschny die Situation immer weiter hochpeitscht und ein schönes Chaos entfesselt, Chor-Ringelrei in Rollstühlen mit kess gestrampelten Beinchen – aber Handwerk ist Handwerk, und dass er das kann, dafür wird ein Regisseur bezahlt, das muss man eigentlich nicht extra erwähnen.

Den letzten Akt stellt er unter das Motto „Immer noch nichts gelernt“ – und jetzt sind alle sehr alt. Dem Liebhaber Foresto darf man, während er eine Arie singt, dabei zusehen, wie er sich alt macht, mit Gesichtsschminke, weißer Zottelperücke, Schlafrock, Rollator. Enzio kommt im Rollstuhl. Odabella sitzt auch in einem drin, mit Brille und Parkinson. Attila, der blind ist, mit dem Stock vor sich hintschlurft und – wie lustig in diesem tragischen Moment – alle Leute verwechselt (er singt den einen an und tastet am anderen herum), fällt am Ende zwar tatsächlich, wie vorgesehen, tot um: Aber Odabella hat mit ihrem Messer nur in der Luft gefuchtelt. Trotzdem hat sie damit gleich alle drei Männer umgeworfen. Vorhang. Ende.

Von „Attila“ ist hier also weiter nicht die Rede. Leider ist es auch auf der anderen Ebene, jener der Musik, kein wirklich hochwertiger Abend, der ein bisschen an den Komponisten erinnerte, um den es gehen sollte. Da hat das Theater an der Wien mit einer Ausnahme in den Hauptrollen zu kurz gegriffen. Nur George Petean, der bekanntlich mit Verdi-Rollen auch die Staatsoper „schafft“, war ein Ezio, der aus dem Vollen baritonaler Mittel schöpfen konnte. Wie sehr er sich auf die Anforderungen der Regie einließ – das hatte er mit allen Sängern des Abends gemeinsam. Es handelt sich bei ihnen um erwachsene Menschen, von denen man annehmen kann, dass sie freiwillig tun, was man ihnen abverlangt. Insofern muss man darüber nicht diskutieren.

Der russische Bass Dmitry Belosselsky hatte als Attila einen schwachen Beginn, ließ dazwischen in den Arien hören, dass das eine Qualitätsstimme sein kann, blieb aber über die Länge des Abends unter den Anforderungen der Rolle. Noch schlimmer stand es um Nikolai Schukoff. Der mag, nach seiner Biographie im Programmheft, in der ganzen Welt noch so viel Wagner singen, sein Verdi-Auftritt hier war kläglich – eine ganz flache, wie tonlose Stimme ohne Klang, ohne Timbre, die gelegentlich in die Höhe gestemmt wird, und das für eine dramatische Tenorrolle, die so viele Schönheiten aufweist. Stefan Cerny als „Papst“ (hier eher Oberlehrer, im schwarzen Anzug, aber politisch unkorrekt rauchend!) war mit seinem schwarzen Bass von der Rolle her so gering gefragt wie Andrew Owens in einer Nebenpartie mit seinem Tenor.

Die Odabella ist eine von Verdis berühmten Hoch-Hochdramatischen, ähnlich der Abigail, und dafür hat das Theater an der Wien die farbige Südamerikanerin Lucrezia Garcia engagiert – hübsches Gesicht, als Darstellerin viel Humor, allerdings ein gewaltiger Umfang. Dem entspricht auch eine gewaltige Röhre, die allerdings noch ohne Disziplin und weitere Kunstfertigkeit geführt wird. Das Wunder der Pretty Yende hat sich nicht wiederholt.

Natürlich verklärt man die Vergangenheit, aber man weiß doch noch, wie einem beim „Attila“ des Giuseppe Sinopoli der Mund offen blieb angesichts der Wunder, die aus dem Orchesterraum der Staatsoper kamen. Das passiert beim ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Riccardo Frizza sicher nicht, das ist sauberes Repertoire – mit einem Arnold Schoenberg Chor, der ausgezeichnet singt und diesmal schier Übermenschliches zu leisten hat, bei der Herabwürdigung und Verblödelung eines Werks tatkräftig mitzuwirken.

Das Randalieren des Publikum begann schon im zweiten Teil, als Ezio seine Arie vor dem Vorhang sang, immer wieder von Schüssen zu Boden gestreckt wurde, umfiel, wieder aufstand, weiter sang, wieder umfiel… bis dann die Buhrufe einsetzten. Freilich, dem Herren, der empört etwas von „Steuerverschwendung“ schrie, wurde nicht minder laut ein lapidares, gut wienerisches „Halt die Pappen“ entgegen gesetzt. Ein paar Schreiduelle gab es. Am Ende dann Applaus für die Sänger (nur ein heftiges und wahrlich nicht unverdientes Buh für Nikolai Schukoff) und den Dirigenten – und dann der tobende Hexenkessel, als Peter Konwitschny und sein Team erschienen. Konwitschny wirkte dabei durchaus vergnügt – dergleichen steigert den Marktwert doch noch um ein paar Punkte, so unwichtig die Erregung letztlich sein mag.

Jedenfalls hat der Abend, der nur für Konwitschny-Fans einsichtig gewesen sein mag, für die anderen eine ganz elementare Frage nicht beantwortet: Warum muss zu dem, was er da inszeniert, Verdi gesungen werden?

Renate Wagner

 

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