WIEN: Una Noche en Buenos Aires – 5. und 6. Oktober 2015/ Theater Akzent
(Renate Publig)
Beide Aufführungen waren ausverkauft – und die Temperaturen passten schon mal, als sich im Theater Akzent der Vorhang zur „Nacht in Buenos Aires“ hob und das Publikum für drei Stunden in die Welt des Tangos entführt wurde.
Eine echte Entdeckung war das erste Stück des Abends, „Mateo“ von Martín Palmeri, 1999 uraufgeführt, nun zum ersten Mal in Österreich zu hören. Es geht um die Auseinandersetzung zwischen den Generationen, zwischen Tradition und Fortschritt. Miquele, ein italienischer Einwanderer, kann seine Familie nicht mehr allein durch das Kutschenfahren erhalten, den Plänen seines Sohnes Carlos, in die Automobilwelt umzusteigen, verwehrt er sich jedoch. Da nimmt er lieber zwielichtige Aufträge an. Titelheld Mateo ist Miqueles Pferd, das bei einer der krummen Touren den Unfall nicht überlebt, auch die Kutsche ist nur noch Schrott. Carlos gelingt es, eine Anstellung als Chauffeur zu bekommen, Miquele muss für seine dunklen Machenschaften ins Gefängnis.
„María de Buenos Aires“ von Astor Piazzolla ist der „personifizierter Tango“. Eigentlich ein hochphilosophisches Werk – allein zu erklären, wer „El Duende“ ist, jener Geist, der María gleich zu Beginn des Werkes überkommt, würde einen Argentinier zu einem längeren Vortrag verleiten. „Irrwisch“ oder „Kobold“ meint das Wörterbuch, El Duende ist aber natürlich viel mehr, eben der Geist des Tangos. Und so stirbt zwar Marías Körper, ihr Geist geht jedoch nicht verloren, er lebt weiter in einem Mädchen, das wieder María ist – oder auch nicht. Was als Inhaltsangabe verwirrend klingt, wird jedoch absolut nachfühlbar, sobald man sich auf die Musik einlässt. Denn – der „Geist des Tango“ stirbt natürlich nie.
Foto: Renate Publig
Pablo Boggiano, Dirigent und Organisator des Projektes, gelang es, ein sehr überzeugendes Ensemble an SängerInnen, TänzerInnen und InstrumentalIsten zusammenzustellen. Regisseur Matteo Mazzoni zeigt in intelligenten, stimmungsvollen Projektionen, mit welch sparsamen Mitteln man auskommt, um Geschichten eindrucksvoll zu erzählen. (Wie zeigt man einen Kutschenunfall und ein sterbendes Pferd auf der Bühne? Indem die man die Projektion quasi aus dem Rückfenster der Kutsche sieht, den Fahrbahnstreifen … und plötzlich kippt das Bild. Mehr braucht’s auch nicht, die Musik verdeutlicht ohnehin, dass „ etwas Schlimmes“ passiert ist.)
Ein ausgewogenes Ensemble an SängerInnen mit sauber geführten Stimmen bringt die Geschichten zum Leben, allen voran Lisandro Guinis mit warmtimbriertem, satten Bariton, der den Zuhörer in Mateo mit dem Kutscher Miquele mitfühlen lässt. Guinis übernimmt in María de Buenos Aires auch die männlichen Gesangsrollen und zeigt so seine stimmliche wie darstellerische Wandlungsfähigkeit.
In Mateo begeistert weiters Nathalie Peña-Comas mit klarer Sopranstimme, sie verleiht der Lucía den nötigen Esprit. Die beiden Tenöre Kirlianit Cortes und Raúl Iriarte verkörpern die Söhne Chichilo und Carlos, sie porträtieren eindrücklich die Figuren in ihrem Kampf gegen die Tradition. Iriarte glänzt in „María“ zusätzlich in der Sprechrolle „El Duende“, dem Tango-Geist.
Bariton Francesco Puma skizziert mit edler sonorer, metallisch-glänzender Stimme einen Bösewicht, dem man lieber nicht zum Feind haben möchte. Liliana Rugiero rundet das Ensemble als Mutter Carmen ab – und darf in „María“ als Titelfigur mit ihrem dunklen Mezzosopran glänzen. Eindrucksvoll porträtiert sie stimmlich wie darstellerisch den „personifizierten Tango“, man fühlt mit ihr, ist bewegt, wenn sie am Schluss wehmütig ihre Melodie summt, längst unter den Geistern vergraben.
Die TänzerInnen sorgen dafür, sich vollständig der Stimmung der Musik hinzugeben, hier sind Profis am Werk, die diesen Tanz so herrlich mühelos erscheinen lassen.
Und last, but not least, die Instrumentalisten unter der Leitung von Pablo Boggiano: Souverän lässt er sein bunt gemischtes Orchester aufspielen; Den Bandoneonisten Hugo Satorre holte Boggiano eigens aus Argentinien, welch vortreffliche Wahl. Satorre machte deutlich, wie unterschiedlich Tango klingen kann, von wehmütig über lasziv, von wütend bis einschmeichelnd, aber stets voller Energie. Evelyn Peña-Comas auf der Flöte sowie Felix Pöchhacker an der Gitarre, Christian Glöckler am Schlagzeug und Michael Publig am Klavier ließen sich mitreißen und bewiesen, dass man nicht notwendigerweise in Argentinien geboren sein muss, um Tango nicht nur zu spielen, sondern zu leben.
Ein Bravo an das gesamte Ensemble, ein Dank an Pablo Boggiano, der das Projekt auf die Beine gestellt hat.