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WIEN/ Tanzquartier Wien: Jefta van Dinther mit „REMACHINE“

28.01.2024 | Ballett/Performance

 

WIEN/ Tanzquartier Wien: Jefta van Dinther mit „REMACHINE“

Der schwedische Choreograf und Tänzer Jefta van Dinther taucht mit „REMACHINE“ tief ein in die mannigfaltigen Wechselwirkungen zwischen dem Innen und dem Außen der menschlichen Existenz. Er stellt den Menschen in seine von ihm selbst geschaffene Umwelt. Die Pole Selbstbestimmtheit und Ausgeliefertsein flankieren die Handlungs- und emotionalen Optionen seiner fünf PerformerInnen.

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Jefta van Dinther: „REMACHINE“ (c) Jubal Battisti

Sie alle finden sich in die selbe Situation geworfen, für jeden aber ist es eine eigene, einsame Reise. Elf Meter Durchmesser hat die permanent, jedoch mit variierter Geschwindigkeit rotierende Scheibe auf der Bühne. An, auf und hinter dieser performen und tanzen die fünf (Brittanie Brown, Gyung Moo Kim, Leah Marojeviç, Roger Sala Reyner und Sarah Stanley). Und was man hört, ist von Anfang an Gesang. „Ich bin ruhelos, schwer wie ein Stein …“ Die Stimme des Menschen manifestiert, so der Choreograf im anschließenden Artist Talk, Materielles und Immaterielles. Davon und von der Spannung zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft erzählt diese Performance.

In Zusammenarbeit mit der Musikerin Anna von Hausswolff entstanden mit der Unterstützung von Gesangs-Coaches gefühlvolle Solo- und Gruppen-Stücke von zuweilen berückender Schönheit. Der elektronische Sound von David Kiers steuert mit rhythmischen maschinellen Klängen und komplexem Soundteppich akustische Bilder der getanzten Befindlichkeiten bei.

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Jefta van Dinther: „REMACHINE“ (c) Jubal Battisti 2

Langsamkeit, das Schleichende also aller Prozesse, spielt eine entscheidende Rolle. Sie erzeugt eine bis zum Ende anhaltende Spannung. Auch die Spannungen zwischen Festhalten und Loslassen, Treiben und getrieben Werden (sie werden von der Scheibe mitgezogen und schieben sie ein anderes Mal selbst an), zwischen dem Einzelnen und der Gruppe, dem Individuum und der Gesellschaft, zwischen Schöpfer und Opfer und zwischen Output und Input sind nur einige der metaphorisch eingeblendeten Aspekte. Die Zustände scheinen nie wirklich eindeutig zu sein, sie bewegen sich zwischen vielen Polen, die aus dem Dunkel auftauchen und bald von einem anderen verdrängt werden.

Die unerbittlich sich drehende Plattform wird zum Sinnbild für den Kreislauf des Lebens, für wiederkehrende Muster des Erlebens, für den ewigen Fortschritt, das unaufhörliche Wachstum, für Innen und Außen, für die Vergänglichkeit des Augenblicks und die Vergeblichkeit des Widerstandes. Versuche, den Lauf der Dinge aufzuhalten und den Status Quo zu bewahren, scheitern. Sie arbeiten hart an dem Fundament, das ihnen keinen sicheren Stand bieten kann, das sie entwurzelt. Das Ringen um Autonomie wird zur aussichtslosen Plackerei. Die Flucht in Rituale bringt kurze Linderung.

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Jefta van Dinther: „REMACHINE“ (c) Jubal Battisti

Sie scheinen, gedrängt von ihrem Wunsch, sich zu erden, heimisch zu werden, wie auf einem Kreuzweg unterwegs zu sein, der sie durch Angst, Verzweiflung, Klage, Hilflosigkeit, Hoffnung, Freude, Solidarität, Widerstand, Selbstbehauptung und Resignation ihrer endgültigen Selbst-Opferung entgegen führt. Nach einer dem Abendmahl ähnlichen Szene mit wundervoll elegischem Gesang sammeln sie sich im Tanz auf der Scheibe mit kraftvollen, entschlossen treibenden, synchronen Gesten im Rhythmus maschineller Klänge. Doch diese Gemeinschaft zerfällt. Als gebrochene, vereinsamte Menschen enden sie, gehalten von zentral fixierten Seilen, am Rand der Scheibe, sogar mit einem Blick über deren Rand. Aber sie bleiben Gefangene, auch Gefangene ihrer Sehnsucht.

Als ein typisches Symbol für den Menschen in (s)einer von ihm mechanisierten Umwelt steht das Smartphone (wie Jefta van Dinther im Artist Talk anmerkte), mit dem Internet eine der herausragendsten, einflussreichsten Erfindungen der letzten Jahrzehnte. Deren Einfluss auf unser Verhalten, Denken, Fühlen, auf unsere Sicht auf uns und die Welt um uns, auf unsere sozialen Kompetenzen und die gesellschaftlichen und politischen Strukturen, auf die Rückwirkungen einer zunehmend entsolidarisierten, verrohten Gesellschaft auf den Einzelnen sind für jeden nachvollziehbare, durch den Assoziations-Nebel dieser Arbeit verschleierte Beispiele.

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Jefta van Dinther: „REMACHINE“ (c) Jubal Battisti

Was erschaffen wir? Was sind unsere Kreationen? Wer sind wir in dieser selbst gemachten Welt und in Bezug auf sie? Wie wirkt diese auf uns und wir auf sie? Die Geister, die van Dinther hier auf die Bühne ruft, sind vielgestaltig. Zu ihnen gehören auch der Mitmensch als Projektionsfläche, Kleidung, mit der wir uns darstellen, die gleichzeitig uns definiert (Kostüme: Cristina Nyffeler), und Gesang und Tanz. Diese Österreichische Erstaufführung der im September 2023 in Umeå, Schweden, uraufgeführten Arbeit beschreibt die bidirektionalen Beziehungen zwischen verschiedensten Aspekten der menschlichen und außermenschlichen Existenz. Die Assoziationen gehen durch mit einem, während die Scheibe sich dreht und die fünf PerformerInnen singen, leiden, kämpfen und tanzen.

Jefta van Dinthers Arbeiten sind in zweierlei Hinsicht von beeindruckender Konsequenz.
Einerseits schafft er Kunst als Bild und Metapher, und das in einer Vielschichtigkeit, mit der sich seine Werke gern einer klaren Deutung entziehen. Andererseits stellt er den Menschen in seiner heiligen Dreieinigkeit aus Körper, Geist und Seele und die Wechselwirkungen und gegenseitigen Beeinflussungen dieser Aspekte mit ungebrochener Beharrlichkeit in das Zentrum seiner künstlerischen Auseinandersetzungen.

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Jefta van Dinther: „REMACHINE“ (c) Jubal Battisti

Mit seiner einfachen und doch so komplexen Bildsprache gelingt ihm immer wieder die Ansprache der emotionalen Intelligenz der Zuschauenden als Rezeptor für seine Botschaften. Ja, die hat er. Denn unter der Beschreibung von Zuständen und Befindlichkeiten und der Untersuchung der Ursachen und Wirkungen dieser liegt die Schicht, die Selbsterkenntnis fördert und fordert. Auch in „REMACHINE“. Die Performance bietet atmosphärische, assoziative und zuweilen bewegende Bilder an, aber keine Lösung. Allenfalls die der Bewusstmachung der Ausweglosigkeit und deren Akzeptanz. Aber eines steht ungebrochen über allem: Der Lebenswille der Seele.

Jefta van Dinther mit „REMACHINE“ am 26.01.2024 im Tanzquartier Wien.

Rando Hannemann

 

 

 

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