WIEN/ Tanzquartier Wien: Dean Moss mit „figures on a field“
20 Jahre nach seiner Uraufführung in New York erlebt das knapp einstündige Stück „figures on a field“ ein europäisches Reanactment mit Wiener Cast. Sechs in Wien lebende Performerinnen und Performer und der Choreograf selbst tauchen ein in die Welt der „Greenheads“. Mit diesen reduziert gezeichneten Figuren brachte die US-amerikanische bildende Künstlerin Laylah Ali (geb. 1968) das von Gewalt dominierte Leben der afroamerikanischen Bevölkerung auf Papier.

Aus der Serie „Greenheads“ von Laylah Ali
Ihre meist titellosen Zeichnungen sind von einer ganz eigenen Ästhetik. Deren Einfachheit verführt zum darüber Huschen mit dem Blick. Das Sperrige in der Darstellung jedoch verfängt beim Betrachtenden und saugt ihn in eine Welt, bevölkert von Menschen, die sich zu der sie umgebenden oder sie treffenden Gewalt positionieren. Der Choreograf nun bedient sich neben der spezifischen Konstellation der gezeigten Personen zueinander auch einiger konkreter Themen der Malerin für seine Transposition in bewegte und klingende Bühnenbilder.
Dean Moss ist eine für den New Yorker zeitgenössischen Tanz bedeutende Figur. 1954 im US-Bundesstaat Washington geboren, kam er für eine Tanz-Ausbildung nach Harlem/New York, tanzte zehn Jahre mit David Gordon und pflegte eine lange und enge Beziehung zu The Kitchen, einer der ältesten New Yorker Non-Profit-Institutionen für multidisziplinäre Avant-garde-, Performance- und experimentelle Kunst. Dort war er langjähriger Kurator für Tanz und Performance, heute ist er Treuhänder der Foundation for Contemporary Arts.

Dean Moss figures on a field (c) Hanna Fasching
Seiner Leidenschaft für Konzeptkunst folgend kreierte er 2005 gemeinsam mit Laylah Ali das Tanzstück „figures on a field“ für sieben Performende. Alis Zeichnungen, jede für sich beschreibt eine Geschichte, inspirierten Moss zu einer großen, getanzten Erzählung. Sogar einige aus dem Publikum werden aktiver Teil der Performance. Wie von einem Guide in entlegene und nicht ungefährliche Stadtviertel geführte Touristen knipsen sie als innerlich und territorial Distanzierte die raue US-amerikanische Wirklichkeit. Trophäen für das zu Hause, heute angesiedelt in den sozialen Medien.
Die Performenden stellen auf der Bühne nach, was Ali kleinformatig zeichnete. Dunkelhäutige, geschlechtsneutrale Figuren finden sich in Konflikt-Situationen. Die dargestellte Gewalt, ein Kind zum Beispiel wird von einem Elternteil gezwungen, aufgehängte Menschen anzuschauen, schockiert. Die Performance „figures on a field“ haucht, durch Blackouts voneinander separiert, diesen Sujets Leben ein.

Dean Moss figures on a field (c) Hanna Fasching
Ein Kind, außerhalb der Gruppe wegen physischer oder psychischer „Alleinstellungs-Merkmale“, wird zum Opfer von Mobbing, was sich fortsetzt in den Ballspielen der Heranwachsenden. Amputierte und Verkrüppelte, Aufspießungen und Selbstmordattentate, Erschießungen und Demonstrationen, vieles zeigen sie in einer Folge von mehr oder minder deutlich voneinander abgesetzten Sequenzen.
An den im Verlaufe dieser 20 Jahre von weißen Polizisten getöteten Schwarzen George Floyd erinnert eine Szene, in der sich Dean Moss mit einem Ledergürtel um den Hals von einem weißen Performer über die Bühne schleifen lässt. Wie aktuell das Stück doch ist. Und es ist der Würgegriff der weißen, westlichen Welt um die Hälse des globalen Südens. Vorn, zufrieden ins Publikum lächelnd, räkelt sich die Fremdenführerin. Ein selbst gemalter Kreidekreis umfängt sie wie ein schützendes Gemäuer. Der Zynismus des real existierenden Kapitalismus. Straßenzüge, Meere und Zäune, Bildung, Einkommen und Hautfarbe trennen die Rohheit von den Regionen, wo sie subtiler nur gelebt wird.

Dean Moss figures on a field (c) Hanna Fasching
Protest, Anklage und Hilferuf schlagen sie mit gelben Tafeln auf den Boden. Sie türmen ihre Leichen auf in jenem Kreis, machen damit uns, die Unbeteiligten, zu Mitschuldigen. Anhaltender Rassismus, ideologisch verbrämter Neokolonialismus und gegen globale Ausgleichstendenzen verteidigte Besitzstandswahrung beatmen die Gewaltmaschinerie. Solange die Aggression sich gegen ihres Gleichen richtet, sind die eigentlich Verantwortlichen außer Gefahr.
Am Ende sitzen gealterte Menschen auf ihren Stühlen, plaudern, alles Gegeneinander hinter sich lassend, freundlich und solidarisch verbunden über ihre Wehwehchen und rutschen schließlich, erlöst von allem Irdischen, von der Sitzfläche. Die Läuterung kommt erst im Angesicht des Todes. Eine Illusion über das Sterben, aber eine schöne. Das Ende des Stückes ist offen. Niemand da zum Beklatschen.
Die Brutalität nicht nur der Gewalt an sich, sondern ebenso der kühlen Distanziertheit ihrer Darstellung verleihen dem Stück seine besondere Wirkung. Der Aspekt der Macht ist der zentrale der Arbeit: Macht und Ohnmacht, Fremd- und Autoaggression. Es ist weder institutionelle oder strukturelle noch politisch oder religiös motivierte Gewalt. Es ist die Gewalt in uns, die hier auf der Bühne und in den Zeichnungen Alis lebt. Das Stück fragt nicht, woher sie kommt, es beschreibt sie. Die Gewalt in ihrer Reinheit, die unscharfen Grenzen und die komplizierten Beziehungen zwischen Täter- und Opfer-Rolle, deren Umkehr und auch Parallelität dürfen, auf der individuellen Ebene dargestellt, als Sinnbilder für gesellschaftliche und nationale Phänomene gelesen werden.

Dean Moss figures on a field (c) Hanna Fasching
Das 20 Jahre alte und für die damalige US-amerikanische Tanzszene konzeptionell und ästhetisch sicherlich bedeutsame Stück „figures on a field“ führt uns in die Zukunft. Die USA als ökonomisches und ideologisches Vorbild für die Welt werden somit auch, neben den westlichen „Verbündeten“, für viele nicht-westlich geprägte Kulturen zum Leitbild für deren gesellschaftliche Entwicklung.
Die im Ergebnis eines hemmungslos wütenden Turbo-Kapitalismus, in dem jeder und alles kapitalisiert wird, grassierende soziale Kälte ist ein unreflektiert hingenommener Nebeneffekt eines unheilvollen degenerativen Prozesses. Empathie ist ein Nicht-Wert, Egoismus der höchste, Rücksichtslosigkeit ist der Weg, der eigene Vorteil und die Maximierung der Eigenkapitalrentabilität die geheiligten Ziele. Unausweichlich: Der Niedergang der Kultur.
Dean Moss mit „figures on a field“ am 23.10.2025 im Tanzquartier Wien.
Rando Hannemann

