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WIEN/ Tanzquartier Wien: „Augusto“ von Alessandro Sciarroni

19.01.2020 | Ballett/Performance

WIEN/ Tanzquartier Wien: „Augusto“ von Alessandro Sciarroni

Was haben wir gelacht! Die Beschwingtheit, mit der so mancher die Halle G des Museumsquartiers verlassen hatte, spiegelte auf beklemmende Weise das Eigentliche in Alessandro Sciarroni’s Performance „Augusto“. Eine Stunde lang lachten neun PerformerInnen, die meiste Zeit im Kreise gehend, laufend. Doch was tatsächlich geschah, konnte tieftraurig stimmen.

Boden und Rückwand der leeren Bühne sind weiß. Im Gänsemarsch erscheinen die neun PerformerInnen, setzen sich in einer Reihe, mit dem Rücken zum Publikum, an den vorderen Bühnenrand. Stille. Einer erhebt sich und beginnt im Kreis zu gehen. Nach und nach folgen die anderen. Alle sind leger, und alle irgendwie blau gekleidet, in der Farbe des Himmels und des Wassers, des Unbewussten, des Spirituellen, der unendlichen Weite. Sie haben den Blues. Und sie gehen im Gleichschritt, ernst, schauen sich an. Langsam kommt ein Schmunzeln in die Gesichter. Dann ein Lachen.


„Augusto“ 1 Foto: Roberta Segata

„A dramedy“ nennt Alessandro Sciarroni seine bereits 2018 uraufgeführte, hier als österreichische Erstaufführung gezeigte Performance „Augusto“. Und Drama ist sie. Weit mehr als Komödie, so daherkommend, scheinbar, wegen des beinahe unaufhörlichen Lachens.

Schon die wilde Hatz ihres Im-Kreise-Laufens ist kräftige Metapher. Einzelne nähern sich kurz einer Mitte, sie reißen einander mit in flüchtige Paarungen, bilden schnell wieder zerfallende Gruppen, tanzen infantiles Ringelreihe. Nur nicht Innehalten. Nur nicht allein sein. Und, wenn es dann doch geschieht, geschwind wieder hinein in die froh gestimmte Masse. Halb ziehen die Vielen, halb gibt der Einzelne sich hin. Ein Counter-Tenor singt, alle sind ernst und still, eine italienische Barock-Arie. Auch er will nur geliebt werden. Und alle prusten los. Sie fliehen in Geselligkeiten, brüllen vor Schmerz, schreien ihre Einsamkeit in die Welt. Um gleich danach wieder zu lachen. Auch jene Szene, in der eine Frau mehrfach von einem Mann niedergeschlagen wird, wieder aufsteht und alle lachen, auch sie selbst, meint wohl nicht nur verharmloste Gewalt gegen Frauen. Die tief in einem sitzende, unbewusste Überzeugung, dass man für sein So-Sein Strafe jeglicher Spielart verdient, ist eine verallgemeinerbare, die sich um Geschlechter nicht schert. Und die wiederholten Blicke ins Publikum machen uns zu Mitspielern.

„Augusto“ 2 Foto: Roberta Segata

Die abschließende Szene: Ein Weinender, alle anderen schauen ihn ruhig und ernst an, wird von einem Mitfühlenden getröstet. Lächelnd die Hand reichend, hilft er ihm auf. Denn er ist nicht allein mit seinem Alleinsein. Die Neun formieren langsam eine Reihe und lachen noch einmal kurz ins Publikum, bevor das Licht verlischt.

Der im Juli 1976 in San Benedetto del Tronto an der italienischen Adria geborene Schauspieler, Performer, Regisseur und Choreograf, der zu Tanz und Choreografie nur mehr per Zufall kam, wurde bereits im Alter von 43 Jahren, bis dahin schon vielfach prämiert, 2019 auf der Biennale in Venedig für sein Lebenswerk ausgezeichnet, als einer der revolutionärsten Choreografen der europäischen Szene.

Die Gewalt, mit der uns seine Performance „Augusto“ unser Geworfensein in die Welt, unsere Einsamkeit und mangelnde Selbst-Liebe, unsere (gefühlte) Machtlosigkeit dem gegenüber, unsere Nicht-Akzeptanz dessen und die mannigfaltigen Neutralisations-Mechanismen vor Augen führt, ist erschütternd. Das Bewusstwerden der normierenden sozialen und gesellschaftlichen Mächte, der tief empfundenen Andersartigkeit, der inneren und äußeren (Ab-) Spaltung und des daraus resultierenden Gefühls der Einsamkeit zwingen den Menschen geradezu in kompensatorische Gefüge, angeboten vom real existierenden Post-Kapitalismus. Die vergesellschaftete Flucht in Bespaßung und Vergnügen, deren grelle Oberflächlichkeit den konsolidierten individuellen Schmerz nicht schafft zu betäuben, bedrückt. Indessen spielt jener namensgebende „dumme August“, der nicht aufhören kann zu lachen, auch wenn es eigentlich schon zum Weinen ist, seine Rolle in diesem Theater.


„Augusto“ 3 Foto: Alice Brazzit

Die individuell so differente Resonanz unter den ZuschauerInnen, von ungestümem Frohsinn bis zu traurig-bewegter Bestürzung, auch ob jenes Amüsements, ist ein Abbild des Sujets. „Augusto“ ist ein hoch-intensives, äußerst komplexes, einzigartiges Konzentrat des Lebens.

Rando Hannemann

„Augusto“ von Alessandro Sciarroni, am 17. und 18. Jänner 2020 im Tanzquartier Wien.

 

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