WIEN/ Tanzquartier Wien: „Habitat / Halle E“ von Doris Uhlich (25./26./27.10.2019)
120 Nackte PerformerInnen und etwa 600 bekleidete BesucherInnen der Performance „Habitat“ von Doris Uhlich mischten sich in der Halle E des Wiener Museumsquartiers zu einem einzigartigen Happening. Zwischen ekstatischem Tanz und kontemplativer Stille, direktem Kontakt und Separation verbrachten TänzerInnen jeglichen Alters und verschiedenster körperlicher Beschaffenheiten und die ZuschauerInnen zweieinhalb Stunden lang in einem temporären gemeinsamen Lebensraum.
Bis auf circa 500 für die Zuschauer nicht erreichbare Sitzplätze hoch oben auf der Tribüne ist die Halle E leergeräumt. Mit klassisch geschulter Stimme singt ein nackter Tenor ohne Begleitung oben auf dem Balkon Pop-Songs, die wundervolle, zu feiernde Zeiten antizipieren. Im Saal verteilt bewegen 20 nackte PerformerInnen, unter ihnen auch RollstuhlfahrerInnen, ihr Fleisch. Sie hüpfen, schütteln ihre Bäuche und wackeln mit dem, was da so wackeln kann an ihren Körpern. Der Sänger verstummt. Akustisch übernimmt nun Boris Kopeinig, Medienkünstler, Sounddesigner, DJ. Der rollt für den Einmarsch weiterer 100 entblößter Menschen einen dunklen, wabernden Klangteppich aus.
Doris Uhlich „Habitat / Halle E“ . Copyright: Eva Wuerdinger
In vier Gruppen drängen sie sich dicht aneinander, legen sich nieder, um bald im Zentrum eine große Fläche liegender nackter Körper zu bilden. Und immer sucht eine Hand Kontakt zum Nachbarn. Wir kennen solcherlei Bilder, die Wirkung einer live miterlebten Installation jedoch ist um ein Vielfaches intensiver. Dieser eine Korpus aus Fleisch beginnt langsam zu wackeln, zu zucken. Techno dröhnt, und sie tanzen, schaukeln ihr Gewebe allein und gegenseitig. Das Material ist bekannt aus Uhlichs früheren Stücken („More than naked (2013), „Every Body Electric“ (2018)), in diesem Setup aber, im direkten Kontakt mit dem Publikum, wird aus dem „Sie“ ein „Wir“. Sie durchwandern die Halle, sich ihren Weg durch die ZuschauerInnen bahnend. Und es riecht nach Schweiß.
Doris Uhlich „Habitat / Halle E“. Copyright: Eva Wuerdinger
Fünf Gruppen heben einen der Ihren in die Höhe, auch ein Rollstuhl ist dabei. Seht her! Ein Mensch! Stärker noch wird das Bild, als sie sich in der Mitte vereinen, um selbiges zu tun. Auf den Stiegen links und rechts der Tribüne liegend und leise wackelnd, rahmen sie die leeren Sitze wie eine Einladung für uns. Die kommt an in den Herzen. Doch bevölkern tun die Plätze im Anschluss nur sie, die 120. Ruhig sitzend schauen sie ins Publikum, das im Saal, auf der Bühne alleingelassen, zur performenden Masse wird. Einige tanzen. Rollentausch.
Doris Uhlich „Habitat / Halle E. Copyright: Eva Wuerdinger
Doris Uhlich „Habitat / Halle E“. Copyright: Theresa Rauter
Wieder im Saal verstreut, der Techno verstummt, klatschen sie mit allem, was sie haben, auf den Boden. So wird ihr Fleisch auch zum akustischen Erlebnis. In kleinen Gruppen dicht zusammen liegen sie am Boden. Ohne Musik. In völliger äußerer und innerer Ruhe, bedürfnislos und eins und im Frieden mit sich. Das Publikum wird immer stiller, es ist wie in Andacht und Einkehr versunken. Ein langer, magischer Moment.
Das langsame Erwachen mündet in ausgiebiges Schütteln des Fleisches, allein und gegenseitig. Bis einige auf Bierkisten steigen, die anderen am Boden stehen und alle in die selbe Richtung schauen, ihre Botschaft in alle vier Himmelsrichtungen senden, lange, still. Nach ausgelassenem Tanz dann die Schluss-Sequenz: Erneut fünf Menschen-Türme, doch dann werden drei Teleskopbühnen aufgebaut, die drei PerformerInnen bis unter die Hallendecke heben und stotternd wieder absenken. Sie wackeln ihr Fleisch und rütteln das Eisen. Die Warnung ist unmissverständlich: Bewahren wir uns unsere Menschlichkeit trotz all der – oftmals – destruktiven Verführungen und Verlockungen des technologischen Fortschrittes!
Doris Uhlich „Habitat / Halle E“: Theresa Rauter
Nicht nur im Wandel der Zeiten veränderten sich die gesellschaftlich präferierten Körper-Ideale. Vom Wohlstand gezeichnete Körper sind auch heute weltweit sehr verschiedene, so wie die der sozialen Unterschichten. Betrachtet man zudem den (hiesigen) Umgang mit physisch (und / oder geistig) Beeinträchtigten, die mit Krücken und Rollstühlen ein Mindestmaß an Mobilität und gesellschaftlicher Teilhabe erlangen, wird die ungeheure Bandbreite der Möglichkeiten des Umganges mit Körpern erkennbar. Diese sind schon seit Jahren ist das bestimmende Thema der Arbeiten Doris Uhlichs. Deren immer wieder vorgeführte Vielfalt darf man auch als physische Repräsentationen mannigfaltiger sozialer, gesellschaftlicher, religiöser und politischer Diversitäten begreifen. Diese überwindend feiert Doris Uhlich das Einigende. Die Intensität und die wirklich grenzenlose Wertschätzung, mit der sie die Menschen feiert, sind ansteckend. Denn wir sind wertvoll, weil wir sind und wie wir sind. „Habitat“ ist ein mit kraftvollen Bildern gehaltenes euphorisierendes Plädoyer für die universelle Einheit, für Menschlichkeit und Toleranz. Eine Stimme aus dem Publikum: „Es macht einfach nur glücklich!“ Ziel erreicht.
Doris Uhlich „Habitat / Halle E“. Copyright: Theresa-Rauter
Die choreografische Umsetzung dieser bislang größten Arbeit von Doris Uhlich wurde erst möglich durch die Unterstützung von vier weiteren ChoreografInnen/TänzerInnen: Robyn/Hugo Le Brigand, Milan Loviška, Liv Schellander und Katharina Senk.
Rando Hannemann
„Habitat / Halle E“ von Doris Uhlich, am 25., 26. und 27. Oktober 2019 im Tanzquartier Wien.