WIEN/ Tanzquartier: Doris Uhlich: „stuck“, Elizabeth Ward: „Dancing’s Demons“
Mit „Stuck“ von Doris Uhlich und „Dancing’s Demons“ von Elizabeth Ward zeigte das Tanzquartier Wien an einem Abend zwei Arbeiten, die beide Geschichte und deren gegenwärtige Repräsentationen untersuchen. Die eine das Individuum, die andere den modernen, zeitgenössischen Tanz betrachtend.
Doris Uhlich: „stuck“
Festgeklebt, festgefahren, blockiert. So etwa die Übersetzung des Titels der jüngsten, hier als Premiere präsentierten Arbeit der gebürtigen Oberösterreicherin Doris Uhlich, die mit ihren Arbeiten internationale Erfolge feiert. Gemeinsam mit den beiden deutschen bildenden und Performance-KünstlerInnen Gabriele Oßwald und Wolfgang Sautermeister entwickelte sie im Laufe von zwei Jahren eine „Studie über Unbeweglichkeit und Stillstand“ (so der Programmtext), die vorsätzlich in eine fast familiäre Atmosphäre, hier den kleinen Rahmen des Studio 3, hinein konzipiert wurde.
Auf der leeren, weißen Bühne drücken sie mit den Händen in den Boden, an die Wand, spüren den Widerstand, den zu überwinden sie so lang schon sich bemühen. Mit dem Rücken an der Wand stehen. Mit einer an die Wand genagelten Damenstrumpfhose über dem Kopf steht er, das eigene Gesicht entstellt wie das eines Räubers, der sich selbst seiner Kraft, seiner Visionen, seiner emotionalen Klugheit beraubte. Und in kleinem Kreise folglich lebt. Sie wickelt sich Klebeband um ihren entblößten Oberkörper, so eng, dass man beim Zuschauen den eignen Brustkorb weiten möchte. Sie windet sich in diesem Korsett, dass nicht nur das Klebeband knistert. Diese Schnürung mit ihrem gelben Overall bedeckend „lebt“ sie weiter bis ans Ende (der Performance). Die beklemmende Enge in der Brust, die erworbene (ja, es geht auch um Verantwortung) Unfreiheit tun weh.
Doris Uhlich: „Stuck“ 1, Foto: Torsten Mitsch
Auch die Beziehung zwischen den beiden schauen sie an, schonungslos. Rationalisierte Distanziertheit, kurze solidarische Gemeinsamkeit im verzweifelten Kampf um Selbstbehauptung, vorübergehende Zweisamkeit, letztlich jedoch ein Aneinander-vorbei-Leben mit dem – weil sie glauben, es nicht anders zu können – Festhalten an destruktiven Mustern, die emotionale Bindung, zu sich selbst und zum Anderen, verhindern. Jeder schaut aus seinem Kreise auf (s)eine Welt, in (s)eine Zukunft.
Auf Baumstümpfen stehend zittern sie mit hoch erhobenen Fichtenzweigen ihre Hilflosigkeit in die Welt. Bis zur Erschöpfung kämpfen sie mit ihren Wurzeln, die sie am Voranschreiten hindern. So liegt es halt in der Natur. Auch in der des Menschen. Und sie sind traurig, resigniert. Am Ende lassen sie einen großen Schokoladen-Osterhasen schmelzen in der Hitze ihrer Föhne. Der zerfließt wie so viele süße Träume, die die beiden „Golden Ager“ hegten in ihren schon ziemlich langen Leben. Und wie das Eis dieser Erde.
Doris Uhlich: „Stuck“ 2, Foto: Torsten Mitsch
Sie nehmen vieles ins Visier, das uns hindert an freiem Selbstausdruck, an selbstbestimmtem Leben, an Emanzipation von familiären, sozialen, gesellschaftlichen und territorialen Prägungen. Die Konsequenzen der fortwährend und unbewusst wirkenden, von inneren Stürmen umtosten intrapsychischen Barrieren ins Außen gestellt, entwerfen die drei ein melancholisches Bild von einem umschrankten Leben. Mit „Stuck“ gelingt Doris Uhlich und ihren beiden PerformerInnen, die Musik-Auswahl von Boris Kopeinig unterstützt wunderbar, eine sensibel beobachtete und in klaren, teils sehr poetischen Bildern auf die Bühne gebrachte, insbesondere wegen ihrer Ehrlichkeit berührende Bestandsaufnahme vom eigenen, fremden Leben.
Mit dieser Arbeit führt Doris Uhlich, zuweilen als „Beauftragte für Nacktheit, Energie und inklusive Fetttanztechnik“ missdeutet, ihre Untersuchungen der Dynamiken der menschlichen Psyche und deren körperlicher Repräsentationen fort. Unerschütterlicher Humanismus bleibt die Basis ihres Wirkens.
Elizabeth Ward: „Dancing’s Demons“
Vor der Mitte der stumpf-winkligen Tribüne entspringen dem Boden drei aufwärts auseinander strebende Ketten. Ein Teppich mit züngelnden Flammen liegt an ihrem Ursprung. Ein Ensemble aus rätselhaften Gebilden auf der in gelbes Licht getauchten Bühne gibt Raum für Assoziationen. Eine mit pfeilartigen Spitzen und Strahlen blau leuchtende bizarre Skulptur zum Beispiel scheint wie ein sich in alle Richtungen ausbreitendes Glasfasernetz. Ein Felsbrocken, ein Gaze-Rohr, ein turmartiger Zylinder mit vom Boden danach greifenden Tierpfoten, eine an die Wand projizierte kreisförmige Struktur lassen die Komplexität des Themas und die Mannigfaltigkeit im Umgang mit ihm erahnen. Damit beschreibt die in Wien lebende Choreografin und Performerin Elisabeth Ward bereits visuell ihren Ansatz des Versuches der Untersuchung der Wurzeln des zeitgenössischen Tanzes und ihres Wirkens bis in die Gegenwart.
Elisabeth Ward: „Dancing’s Demons, Ana Threat, Elisabeth Ward, Foto: Kati Goettfried
Elisabeth Ward studierte „an der Quelle“, an der Bennington School of the Dance in Vermont, an der viele Pioniere des modernen Tanzes als Lehrende wie Studierende wirkten (u. a. Martha Graham, Hanya Holm, Doris Humphrey, Charles Weidman, Alwin Nikolais und Merce Cunningham). Mit der konsequenten Nutzung des Bühnen-Raumes, in allen drei Dimensionen und (mit Flucht/Vertreibung) bis in den unsichtbaren Backstage-Bereich hinein, setzt sie etwas um, was sie dort lernte (wie sei selbst sagt).
Sie verschmilzt in ihrem Tanz klassische Elemente mit Ausdruckstanz- und zeitgenössischen Zitaten mit Leichtigkeit und die Grenzen auflösender Flüssigkeit. Das Fluide als ein Ergebnis der Aneignung und der physischen Repräsentation von Tanzgeschichte. Auf andere, weniger dynamische Weise agieren ihre Co-Performerinnen Kristina-Pia Hofer aka Ana Threat, promovierte Medientheoretikerin und Musikerin, von der auch der Sound stammt, und Julia Zastava, gebürtige Moskowiterin und bildende Künstlerin, die die Visuals beisteuerte. Die politische Katastrophe der NS-Zeit wird zu einer persönlichen, künstlerischen Krise, die zu bewältigen sie leiden, sich erschöpfen. Und doch kämpfen. Auch die Behauptung des zeitgenössischen Tanzes in der Postmoderne bleibt problematisch.
„Dancing’s Demons“: Elisabeth Ward, Julia Zastava, Ana Threat, Foto: Kati Goettfried
Die politische Dimension jedoch, einerseits die der Themen der Werke der Tanzmoderne, andererseits die des Tanzes selbst und seiner Akzeptanz als Kunstform, bleibt allgegenwärtig. Die Arbeiterbewegung im Tanz, Unterdrückung und Vertreibung durch die Nationalsozialisten, Widerstand und Neuanfang auf anderen Kontinenten, Mut und Verzweiflung, Hoffnung und Ratlosigkeit packen sie in teils atmosphärische, konkretes Bewegungsvokabular und die Ästhetiken der Zeiten zitierende Bilder. Ganz nebenbei reisen wir so durch 100 Jahre Tanzgeschichte. Am Ende streben die drei, einander anschauend, langsam auseinander, den Grenzen der Bühne entgegen. Der Sound tropft die Zeit in den Raum. Bling … Bling …
Von Gertrud Bodenwiesers und Dorothy Alexanders Arbeiten aus den 1920er und -30er Jahren inspiriert, nähert sich Elisabeth Ward mit Demut und Mut diesem großen, so wichtigen Thema. Mit „Dancing’s Demons“ stellt sie eine komplexe, vielschichtige Arbeit neben die im Rahmen der noch bis 10. Februar laufenden, von Andrea Amort kuratierten Ausstellung „Alles tanzt. Kosmos Wiener Tanzmoderne“ 2019 gezeigten Tanz-Performances. Das Publikum war begeistert.
Rando Hannemann
Doris Uhlich: „stuck“, gezeigt am 24., 25., 30., 31. Jänner und 01. Februar 2020,
Elizabeth Ward: „Dancing’s Demons“, gezeigt am 31. Jänner und 01. Februar 2020