WIEN / TAG:
MOORLAND. Eine gottverdammte Terroristenbande
Eine Überschreibung von Gernot Plass
Uraufführung
Premiere: 1. Dezember 2012, besucht wurde die Vorstellung am 21. Dezember 2012
Funktionieren Schillers „Räuber“ als das jugendliche Proteststück noch heute? Nicht, wenn man es anpackt wie Ewald Palmetshofer mit „räuber.schuldengenital“ im Akademietheater. Die Auseinandersetzung, die Gernot Plass dem Klassiker im TAG angedeihen lässt, ist um einiges kritischer, sprachlich nicht weniger radikal und bei aller Heutigkeit doch immer noch das Stück selbst – wenn der Autor / Bearbeiter „Moorland“, mit dem Untertitel „Eine gottverdammte Terroristenbande“, auch konzeptionell zur „Überschreibung“ des Originals erklärt.
Diese originalen „Räuber“ findet er nämlich gar nicht so gut und von Schiller-trunkenen Interpreten teilweise falsch interpretiert, etwa in der positiven Sicht des Karl Moor. „Ehren wir die Meister, indem wir uns mit ihnen ins Bett legen?“ fragt Plass. Die Antwort kann für ihn nur „nein“ lauten. Also: Auseinanderschrauben – neu zusammensetzen. Dekonstruktion – Rekonstruktion. Lesung – Überschreibung. Das Ergebnis ist mit zweidreiviertel Stunden Spielzeit wieder äußerst spannend. Und die Umsetzung der „Räuber“ in eine heutige Terroristenbande durch und durch stimmig.
Was bei Schiller noch als Bürgerschreck funktionierte, nötigt dem heutigen Zeitungsleser kein Achselzucken mehr ab: So sind sie eben, die Terroristen. Und dass mancher, wie Karl Moor, einst durchaus als Idealist angetreten ist, hält man gut für möglich. Über die Zwänge, die sich im Rahmen des blutigen Handwerks auftun, wissen wir heute wahrscheinlich notgedrungen mehr als die Schiller-Zeitgenossen: Für die war der Schrecken noch nicht so selbstverständlich und süffiges Lieblingsthema für Psychologen, „Fachleute“ und natürlich Journalisten.
Auch dass einer wie Franz Moor seine Hände rücksichtslos blutig macht, um gegen das Schicksal der Zurückweisung zu protestieren, erfährt man in unserer Welt immer wieder (und wenn man es nur als Sujet in blutgetränkten Filmen sieht). So, wie sich dieses „Moorland“ im TAG vorstellt, befinden wir uns dank der Plass’schen „Überschreibung“ durchaus auf bekanntem Terrain.
Dargeboten wird es in der bewährten Manier, die großartig ist, nur nicht eines Tages zur „Masche“ verkommen darf. Aber so weit ist es noch lange nicht. Sechs Personen haben diesmal ihren Autor und Regisseur gefunden, die Brüder Karl und Franz (Gottfried Neuner und Julian Loidl, die auf ganz verschiedene und dann doch wieder verwandte Weise „irrlichtern“, wobei der Bösewicht traditionsgemäß mehr „schillert“) und die anderen, voran Michaela Kaspar, die u.a. keine leidende, sondern hoch aktive Amalie ist: Die würde, liefe die Geschichte anders, als vollwertiges Mitglied der gottverdammten Terroristenbande mitziehen… Maya Henselek, Jens Claßen und Georg Schubert spielen vor ein paar verschiebbaren Zwischenwänden und mit ein paar Sesseln (Ausstattung: Alexandra Burgstaller) alles, was das Stück verlangt mit staunenswerter Virtuosität.
Sie tun es im bewährten rasanten Tempo, mit einer von Plass verschärften, auch vervulgarisierten Sprache, mit jener atemberaubenden Stilsicherheit, die das TAG aus dem Schicksal einer „Mittelbühne“ hinauskatapultiert und in ein Theater ersten Ranges für eine Großstadt wie Wien verwandelt: Theater ist nicht nur ein Experimentierfeld für Mutwillige wie anderswo, es ist auch ein Spielort für ganz große Könner wie hier.
Renate Wagner