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LETZTER AUFRUF JEDERMANN von Marc Pommerening
Uraufführung
Premiere: 26. Jänner 2013,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 29. Jänner 2013
Die Zeiten ändern sich, also ändern sich auch die Menschen. Wir sprechen gerne von „ewigen Konstellationen“, aber der 42jährige deutsche Autor Marc Pommerening ist davon überzeugt, dass eine „Jedermann“-Geschichte heutzutage ganz anders ablaufen würde als im Mittelalter und noch vor hundert Jahren, als Hugo von Hofmannsthal dem Stoff das dramatische (und pathetische) katholische Gewand umhängte, das so gut auf den Salzburger Domplatz passte…
Der reiche Mann in „Letzter Aufruf Jedermann“ ist, wie könnte es anders ein, ein Investment-Banker, der mit seiner Firma Everyman Incorporation das große Geld macht. Aber das ist eigentlich nicht des Autors Thema, sondern die Lebenseinstellung dieses Herrn: Ihm ist nämlich alles wurscht, das Geld, die Menschen und auch er selbst. Und darum bricht er nicht schreckensbleich zusammen, als der Tod kommt – es ist eher an diesem, erschüttert zu sein über einen Menschen, der sich vor ihm so gar nicht fürchtet. Das ganze Spiel von weinerlicher Erkenntnis und zitternder Reue, geschweige denn frommer Läuterung kann nicht mehr gespielt werden. Irgendwann wird Jedermann das ganze Getue zu dumm – er erschießt sich einfach.
Und der Tod? Der ist eine Art „von oben“ abkommandierter Unterläufel, der hier einen Job erledigen soll und es nicht ordentlich schafft. Eine komische Figur. Dazu kommt ein befehlender Engel in Frauengestalt, dessen Funktion nicht wirklich klar wird. Und dass – wie es gerne bei Hofmannsthal-Aufführungen neuerdings besetzt wird – Jedermanns Assistent (einst wohl der „gute Gesell“) gleichzeitig der Teufel ist, spielt sich auf der unirdischen Ebene des Stücks, die nicht ernst genommen werden will, auch noch ab. Entliehen von Hofmannsthal: eine lange Tafel, die allerdings nicht zur Tischgesellschaft wird, weil ein einsamer Investmentbanker nur einen Mitarbeiter, aber keine Freunde hat, die zu ihm kämen…
Kurz, es ist Marc Pommerening für seine deklarierte Komödie, „sehr frei nach Hugo von Hofmannsthals ‚Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes’“ an Motiven einiges eingefallen. Sehr schade nur, dass er aus diesem Stückwerk kein logisch zusammenhängendes Stück machen konnte. Viele Szenen hängen schlechtweg in der Luft, und auch Regisseur Christian Himmelbauer hat hier bei der Uraufführung im TAG die Elemente nicht wirklich zusammen gebunden.
Gottfried Neuner ist – wie hier im Haus für Hamlet und Karl Moor – auch für den modernen Jedermann ein exzellenter Hauptdarsteller, der bei aller Coolness auch die tiefe Gelangweiltheit eines Menschen ausstrahlt, den nichts mehr interessiert. So jemanden kann man natürlich mit dem Tod nicht schrecken. Clemens Berndorff tat sein Bestes, dem Teufel Farbe zu geben, aber es war von der Rolle her nicht viel da. Noch schlechter ging es Julia Schranz – hätte sie sich, der Engel ohne besondere Funktion, nicht einmal als „Mädchen mit dem Schwefelhölzern“, einmal als „Jedermanns Mutter aus dem Grab“ verwandeln dürfen, man hätte nicht gewusst, was sie hier überhaupt sucht. Von einem Bildschirm herab verkündete Petra Strasser dem Helden seine verbleibende Zeit – ein paar virtuelle Pointen, nicht mehr.
So hatte neben Jedermann nur noch ein Schauspieler ein Gustostückchen – Alexander Jagsch gab den verwirrten Tod und kaute genüsslich daran herum.
Das Publikum klatschte freundlich, aber unter den vielen Paraphrasen des „Jedermann“-Themas wird diese mit Sicherheit keine besondere Stellung einnehmen.
Renate Wagner