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WIEN / Staatsoper: Wiederaufnahme DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

Bertrand de Billy und das Orchester vor den Vorhang!

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Franz-Josef Selig (Daland), Bryn Terfel (Holländer). Alle Fotos: Wiener Statsoper / Michael Pöhn.

WIEN / Staatsoper: Wiederaufnahme von Wagners DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

17. November 2021

Von Manfred A. Schmid

Ihre grottenschlechte Boxring-Inszenierung des Otello wurde 2019 durch eine unspektakuläre Neuinszenierung Adrian Nobles ausgetauscht, dafür kommt ihr seinerzeit ebenfalls ziemlich kritisch aufgenommener Holländer aus dem Jahr 2003 erneut zu – durchaus verdienten – Ehren. Die Inszenierung von Christine Mielitz, der man auch den rundum geglückten Peter Grimes zu verdanken hat, der demnächst wieder auf dem Spielplan stehen wird, erweist sich als belastbar und kann mit beeindruckenden Tableaus aufwarten. Das beginnt schon mit dem an Caspar David Friedrich erinnernden Vorhang, auf dem der Schattenriss eines winzigen Mannes zu sehen ist, der, einsam und verloren auf die weißschäumenden, gigantischen Wogen blickend, am Ufer steht, einen Arm erhoben, als ob es darum ginge, drohendes Unheil abzuwenden. Und dann doch nur so aussieht, wie wenn eine Maus eine Faust macht. Erregend in ihrer Wucht auch die Konfrontation der beiden Schiffe im ersten Aufzug (Bühnenbild Stefan Mayer): Fremde Welten, die schicksalhaft aufeinanderprallen. Gespenstisch-schaurig dann die Begegnung der beiden Mannschaften, der munteren Seeleute aus dem Heimathafen, die die düsteren Zombies vom Segelschiff des rätselhaften Seefahrers zum Fest einladen wollen. Der effektvolle Einsatz der Lichtregie, abrupt changierend zwischen verstörender Dunkelheit, die die Handlung jeweils für einen Augenblick einzufrieren scheint, und den in gleißendes Licht getauchten Mannen des Schiffseigners Dalland, sorgt für Gänsehaut. Nur die Schlussszene mit der sich mit Benzin aus einem Kanister überschüttenden Senta, die bei ihrem Feuertod offenbar die Welt mit in Brand setzt und zur Explosion bringt, lässt das Publikum weitgehend ratlos zurück. Feuerzauber à la Walküre und Weltuntergang, wie in der Götterdämmerung, in einem? Der komplexe Kosmos des Ring in nucleus? Immerhin: Geldgier hier (Dalland) wie dort (Wotan) – der Urgrund?

Die Besetzungsbüros sind saison- (Grippe) und pandemiebedingt derzeit besonders gefragt. Keine Vorstellung, bei der nicht Umbesetzungen in letzter Minute nötig wären. In Ricarda Merbeth hat man für die Senta einen prädestinierten Ersatz für die erkrankte Anja Kampe gefunden. Die Kammersängerin hat diese Partie nicht nur schon viele Male vortrefflich gesungen und gespielt, sondern kennt auch die Wiener Mielitz-Inszenierung aus dem ff. Ihr nuancenreicher Sopran ist seit damals noch hochdramatischer, aber wohl auch etwas unkontrollierbarer geworden. Die kraftvollen Spitzentöne in der Ballade markieren eine selbstbewusste, gewiss auch manisch sendungsbewusste Frau. Nicht immer ganz intonationssicher, rücken manche Ausbrüche aber bereits in die Nähe des Kreischens. So souverän wie 2015 in Bayreuth und 2016 in Wien ist Merbeth in dieser Rolle nicht mehr. Man beginnt zu versehen, warum die große Birgit Nilsson die fordernde Senta kaum an sich herangelassen hat.

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Ricarda Merbeth (Senta).

Bryn Terfel zählt seit Jahren schon als idealer Holländer. Inzwischen sind beim walisischen Bariton stimmliche Abnützungserscheinungen nicht zu überhören. Er dosiert aber seine kräfteraubenden Einsätze so geschickt, dass er in den wichtigen Passagen seinem profunden Bariton noch genügend Durchschlagskraft verleihen kann. Düster, geheimnisumwittert und unnahbar zeigt sich dieser Verdammte bei seinem letzten Landgang. In den Duetten mit Senta fällt die auch räumliche Distanz auf, die zwischen beiden besteht. Sie kommen einander nicht näher. Senta will ein Erlösungswerk vollbringen und sich opfern. In dieser Konstellation ist er letztendlich nur ein Erfüllungsobjekt.

Der wohltönend singende Wagner-Bass Franz-Josef Selig, ein geschätzter Gurnemanz, ist in dieser Inszenierung ein merkwürdig imposanter Daland: Mit Pelzkragen und elegantem Mantel (Kostüme von Stefan Mayer) tritt er in der Deutung der Regisseurin eher wie ein Hamburger Großhändler denn als Seemann auf. Mehr Bodenhaftung und Verbindung zum Gewerbe hat dafür Daniel Jenz als Steuermann. Ein gelungenes Rollendebüt des noch relativ neuen Ensemblemitglieds. Das gilt auch für die Altistin Noa Beinart als Mary, Sentas Amme. Gouvernantenhaft, mit resolutem Alt, gestaltet sie ihre Rolle.

Mit Jörg Schneider wird für den verhinderten Eric Cutler eine weitere gelungene Hausbesetzung aufgeboten. Sein frischer, noch immer erstaunlich jugendlich wirkender Tenor gibt dem Erik eine besonders tragische Note, wenn er von seiner Braut eine Rückweisung nach der anderen erfährt.

Die unbestritten beste Leistung des Abends liefert wieder einmal – unterstützt vom Chor – das Staatsopernorchester unter der Leitung vont Bertrand de Billy. Die romantischen Zuspitzungen, das Wüten der Naturgewalten und des Schicksals, die Ängste und Sehnsüchte, all das bricht nicht nur über das Ensemble auf der Bühne hernieder, sondern zieht auch das Publikum in seinen magischen Bann.

Viel stürmischer Applaus für eine stürmische, aufgewühlte und aufwühlende Aufführung, in der man aber auf die Vergewaltigungsszene gerne verzichtet hätte.

 

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