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WIEN / Staatsoper: WALKÜRE – Erster Tag des Bühnenfestspiels

Stuart Skelton - Renommierter Siegmund endlich auch in Wien

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John Lundgren (Wotan), Nina Stemme (Brünnhilde). Walküren. Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Ashley Taylor

WIEN / Staatsoper: WALKÜRE

30. Aufführung in dieser Inszenierung

8. Mai 2022

Von Manfred A. Schmid

Nach Rheingold, dem Vorabend der Ring des Nibelungen-Tetralogie, zeigt sich der Wotan in der Walküre in deutlich besserer Form, aber noch immer nicht frei von stimmlichen Einschränkungen. Vor dem dritten Aufzug tritt Staatsopern-Dramaturg Andreas Lang vor den Vorhang und klärt auf: John Lundgren leide an einer akuten Allergie, werde aber, wie bereits im Rheingold, als er ebenfalls schon indisponiert angetreten sei, weiter singen und so den Opernabend retten. Dankbarer Applaus. – Schade, dass der schwedische Bariton nicht von Beginn an, vor allem aber schon bei Rheingold, als indisponiert angekündigt worden war. Das hätte schmerzliche und im Nachhinein unangebrachte Buhrufe verhindern können. Allerdings gab es bei Rheingold keine Pause für allfällige nachträgliche Erklärungen.

Monika Bohinec als Fricka, Wotans Gattin, brilliert als kraftvoll entschlossene Hüterin der Ehe und weiß sich gegenüber dem von starker Zuneigung zu seinem Sohn Siegmund geleiteten Mann mit ihrem ausdrucksstarken, farbigen Mezzo durchzusetzen. Wie sie, nachdem sie Wotan in die Knie gezwungen hat, stolz ihr Haupt zurückwirft und selbstbewusst abtritt, verfehlt seine Wirkung nicht. Diese Frau ist sich ihrer Macht und ihrer daraus resultierenden Verpflichtung voll bewusst. Glücklich ein Haus, das eine so verlässliche, vielseitig einsetzbare Kraft in seiner Mitte weiß.

Die deutsche Sopranistin Simone Schneider ist eine tadellose Sieglinde, höhensicher und in den lyrischen Passagen und dramatischen Ausbrüchen fein austariert. Ihre warmgetönte Stimme lässt etwas an Glanz vermissen, was aber durch beherztes Spiel wettgemacht wird. Ihre Begegnung mit Brünnhilde, bei der sie von Verzweiflung und Todessehnsucht erfüllt, erfährt, dass sie von Siegmunds Kind unter ihrem Herzen trägt, und wieder Lebensmut verspürt, fällt ungemein berührend aus.

Nina Stemme, hochgelobte Brünnhilde an der Seite von Jonas Kaufmann in einer bereits 2012 erschienenen Mariinsky-Einspielung unter der Leitung von Valery Gergiev, hat diese Partie an der Staatsoper erstmals 2008 als Einspringerin für Deborah Voigt gesungen und ist seit damals immer wieder in Wien als Brünnhilde zum Einsatz gekommen. Fast fünfzehn Jahre später ist Stemme immer noch eine imponierende Wagner-Heroine. Die „Heijaho“- und „Hojotoho“-Rufe klingen inzwischen schon um einiges schärfer, aber die Gesamtleistung dieser einfühlsamen Sängerin und Darstellerin ist weiterhin mitreißend und bewundernswert. Schade, dass die berührende Schlussszene mit dem liebevollen Abschied von ihrem Vater in der Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf, im dürftigen Bühnenbild von Rolf Glittenberg, so nebensächlich abgehandelt wird.

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Stuart Skelton (Siegmund) und Simone Schneider (Sieglinde).

Die überzeugendste Leistung des Abends erbringt der australische Tenor Stuart Skelton. Höchste Zeit, dass dieser herausragende Sänger, der in Wien bisher als Erik und Florestan eher unbemerkt aufgetreten ist, nun endlich in seiner Paraderolle als Siegmund zu erleben ist. Ein imponierender Auftritt, von der folgenschweren Begegnung mit Sieglinde und Hunding bis zur hochdramatischen Auseinandersetzung mit Brünnhilde, die ihm als Todesengel gegenübertritt und nach Walhall geleiten will, was er strikt ablehnt. Aus dem Jahr 2008, als Stemme in Wien als Brünnhilde debütierte, stammt ein Mitschnitt aus Hamburg mit Skelton in der Rolle des Siegmund. Seine Vorzüge sind schon damals offensichtlich und habe sich über die Jahre noch weiterentwickelt: Strahlende Höhe ohne Kraftanstrengung, feine lyrische Phrasierungen voll Zartheit, die sich – in „Winterstürme“ – glühend und farbenreich entfalten. Technisch perfekt und dynamisch ausgeklügelt. Unverbraucht und in der Vollblüte seiner Entfaltung. Diesem Sänger möchte man in Wien in Hinkunft öfter begegnen. Warum nicht auch als Peter Grimes?

Stuart Skelton hätte sich einen ebenbürtigeren Hunding verdient als Dmitry Belosselskiy. Belosselskiy gibt sich zwar sichtlich Mühe, dem Rivalen Siegmunds, dem vom Gast die Ehefrau ausgespannt wird, eine wuchtige, einschüchternde Wirkung zu verleihen. Allein, die Anstrengung ist seinem Bass bei jedem Ton anzumerken. Da bräuchte es schon einen Sänger von der Qualität eines Ain Anger, um sich gegenüber dem souveränen Skelton entsprechend bewähren zu können. Wenn dafür keine geeignete Hausbesetzung aufzutreiben ist, hätte man sich besser wohl außerhalb umsehen müssen.

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Dmitry Belloseslkiy (Hunding), Stuart Skelton (Siegmund) und Simone Schneider (Sieglinde). Foto: Ashley Taylor/ Wiener Staatsoper

Zufriedenstellend, mit vorwiegend jungen Kräften aus dem Ensemble und vom Opernstudio, sind die Walküren bestückt. Regine Hangler (Helmwige), Aurora Marthens (Gerhilde), Tamuna Gochashvili (Ortlinde), Margaret Plummer (Waltraute), Isabel Signoret (Siegrunde), Szilvia Vörös (Grimgerde), Noa Beinart (Schwertleite) und Stephanie Maitland (Roßweiße), allesamt – mit Ausnahme von Regine Hangler und Margaret Plummer – Rollendebüts. Ihre posierliche Jagd auf männliche Opfer, die sie nach Walhall verschleppen wollen, gehört freilich zu den dümmsten Einfällen dieser mit guten Ideen nicht reichen Regie.

Das Orchester unter der kundigen Leitung von Axel Kober setzt die Partitur fein ausbalanciert und dynamisch um. Der Dirigent hat ein stets wachsames Ohr für die Stimmen auf der Bühne und ist bedacht darauf, sie atmen und sich entfalten zu lassen. Rhythmisch etwas unausgewogen wirkt diesmal die instrumentale Einleitung zum 3. Aufzug. Streicher und Bläser brauchen einigen Anlauf, bis sie einander treffen. Hervorragend gelingt hingegen die musikalische Gestaltung der von Spannung beherrschten Szene zwischen Siegmund und Brünnhilde, wenn das tiefe Blech sparsame, nachhaltige, Bedrohliches ankündigende Akzente setzt: Ein Thriller, wie er in Wagners Partitur steht, wird so dem Publikum vor Augen und Ohr geführt.

Einhelliger, starker Applaus, der nach viereinhalb Stunden Oper allerdings nicht sehr lange anhält. Und die Hoffnung, dass John Lundgren in seinem dritten Anlauf im Siegfried endlich zu seiner gewohnten Form zurückfinden möge.

9.5.2022

 

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