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WIEN/ Staatsoper: VÉC MAKROPULOS. Leoš Janáčeks Abgesang an den Unsterblichkeitswunsch

Wiener Staatsoper 30.11.2025 Věc Makropulos

Leoš Janáčeks Abgesang an den Unsterblichkeitswunsch

Datei:Leoš Janáček.jpg – Wikipedia

 

Erst fast 90 Jahre nach seiner Uraufführung (Brünn 1926) fand Janáčeks Spätwerk nach dem gleichnamigem Theaterstück von Karel Čapek seinen Weg an die Wiener Staatsoper: 2015 fand unter der Leitung von Jakub Hrůša in einer Inszenierung von Peter Stein die Erstaufführung im Haus am Ring statt, die nun 10 Jahr später wiederaufgenommen wurde. Peter Stein zählt zweifelsohne zu den letzten großen deutschen Meistern des Regiefachs, der immer das Stück und nie sich selbst inszeniert. In den eleganten Bühnenbildern von Ferdinand Wögerbauer wird im ersten Akt eine in seiner Schwere fast bedrohliche Bibliothek einer Rechtsanwaltskanzlei gezeigt. Der zweite Akt spielt auf der Bühne der Vorkriegsstaatsoper mit weitem Blick in das Zuschauerrund und der dritte in einer eleganten Jugendstil-Hotelsuite. Ebenso geschmackvoll die Kostüme von Annamaria Heinreich, aus denen die Fin de siècle-Atmosphäre regelrecht zu riechen ist. Klug auch die Lichtregie von Joachim Barth. Keine der Begegnungen der Protagonisten ist bemüht, alles fließt natürlich, im Duktus des Stückes fügt sich eins ins andere.

Die Geschichte der Emilia Marty schwankt zwischen Science Fiction, Utopie, Lebenswillen und (Un-)Sterblichkeitswunsch, auf die Bühne gebracht anhand eines zu Beginn des Stückes bereits 30 Jahre währenden Rechtsstreits. Emilia Marty weiß (zu) viel über Erblasser, (vermeintliche) Erben, deren Umfeld, versteckte Dokumente und Intimitäten aus einer längst vergangenen Zeit und wird deswegen verdächtig. Nicht nur verdächtig: Sie ist die femme fatale, die alle in ihren Bann zieht, die Künstlerin, die Neider und Bewunderer gleichermaßen auf den Plan ruft, die Dirne, die sich an alle verschenkt oder verkauft und dadurch Macht ausübt. Die Eisprinzessin, die zu keiner Empathie fähig ist und sich die Locken kämmt, wenn sie erfährt, dass sich Janek ihretwegen getötet hat. Das Wissen um ihr (vermeintlich) ewiges Leben hat sie zynisch werden lassen.

Janáčeks Musik ist voller Leben und Emotion, ruh- und rastlos, mit starken Streicherbetonungen, harten Klängen, spannungsgeladenen Ensembleszenen. Das nicht immer leicht zu erfassende Werk ist bei  Tomáš Hanus, den man getrost als einer der Spezialisten für das slawische Repertoire bezeichnen kann, in besten Händen. Von Akt zu Akt steigert sich das Orchester mehr und mehr, bis es auf den Höhepunkt im 3. Akt zusteuert, in dem die ewig Suchende und niemals Findende das Geheimnis um ihre  Allwissenheit löst.

Die schier unmögliche Bühnengestalt der Emilia Marty verlangt nach einer ganz großen Persönlichkeit, die das ihr zugemessene Charisma überzeugend auf die Bühne zu bringen hat. Marlis Petersen ist zweifelsohne für ihre schauspielerische Präsenz berühmt, war sie unter dem vormaligen Intendanten des Theaters an der Wien Dauergast an der Wienzeile und präsentierte an der Wiener Staatsoper bereits eine famose Lulu und Reimannsche Medea. Sie bewegt sich mit großer Eleganz und Selbstverständlichkeit, macht das (Männer-)vernichtende und  – verachtende Element der Hauptdarstellerin sichtbar, die Stimme leidet allerdings unter hörbaren Abnützungserscheinungen, sodass letztlich die ganz große Rolleninterpretation fehlt.

Ihr zur Seite Pavel Černoch als Albert Gregor: Auch hier gilt: Darstellerisch überzeugend  immer mehr und mehr in der Sog der charismatischen Künstlerin geratend reicht auch er stimmlich nicht an seine schauspielerischen Fähigkeiten heran, tönt er zumeist glanzlos.

Publikumsliebling Bo Skovhus ist immer noch eine äußerst elegante Bühnenerscheinung und kann als Jaroslav Prus als einziger echter Gegenspieler der Marty reüssieren.

Wolfgang Bankl gibt einen kraftvollen Anwalt Dr. Kolenatý, Matthäus Schmidlechner einen hervorragend armselig-lächerlichen vormaligen Verehrer Hauk-Sendorf, erfreulich Alma Neuhaus als zweifelnd-verzweifelnde Krista, in deren Händen zuletzt „die Sache Makropulos“ – das Geheimnis des ewigen (?) Lebens – reuelos verbrennt.

Sabine Längle

 

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