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WIEN/ Staatsoper: Type-Casting ad absurdum oder 3 Zerlinen treffen sich auf der Bühne der STOP Wien zum neuen Don Giovanni !

Type-Casting ad absurdum oder 3 Zerlinen treffen sich auf der Bühne der STOP Wien zum neuen Don Giovanni !

Ich bin mir bewusst, dass die Beurteilung von Sängern via Fernseher selbst mit guten Lautsprechern problematisch ist … aber bei derart gravierenden Underperformances muss ich die Probleme ansprechen. Ich beginne galanterweise gleich mit den Damen: sie sahen alle drei schlank-rank, ein Oesterreicher und die Titelfigur würden wohl „fesch“ sagen, aus.

Hanna Elisabeth Müller hörte ich im Februar 2018, also vor knapp 4 Jahren, in Zürich als prächtig-lyrische Ilia in einer Neuinszenierung von Mozarts Idomeneo. Der Sprung von einem relativ kleinen Haus wie Zürich zur STOP Wien und von Ilia zu Donna Anna hat sich nicht gelohnt.

Ihre Stimme hat zu wenig Breite als Fundament für die Donna Anna, ist beispielsweise bereits in der „Or sai chi l’onore“ – Arie bei den mehrmals eindreiviertel Takten lang zu haltenden hohen a’s auf „cor“ gefährdet. Mir schien im Verlauf des Abends, dass sie öfters ihre Stimme grösser machen wollte als was diese hergibt, Folge: Tendenz zu leicht schrillen Tönen, schade ums eigentlich hübsche Stimmtimbre.

Fazit: Zerlina 1 auf der Bühne der STOP.

Kate Lindsey hat sich wie viele Mezzos vor ihr an die Donna Elvira gewagt: im Nachhinein hat sich ihre überaus ehrliche Aussage in der Einführungsmatinée, dass sie sinngemäss lange überlegt habe ob sie von der Zerlina zur Donna E wechseln soll/kann als falsche Entscheidung herauskristallisiert. Dank ihrer hervorragenden Technik und gut verblendeten Stimmregistern konnte sie den ganzen ersten Akt über zu wenig Breite als Fundament für die Elvira verbergen; und wenn mal ein Ton etwas schrill tönte, habe ich das als bewusst-gewollte Charakterisierung eingestuft.

Gegen Schluss hin wurden ihre Defizite jedoch klar hörbar: Im Rondo „Mi tradì quell‘ alma ingrata“ geriet sie ausser Atem, die Stimme begann bei der zweiten Wiederholung zu schwächeln, bei der Dritten wurde sie dünn … und im finalen Allegro assai, wenn sie Don Giovanni bekehren will, ertrank sie in den Orchesterfluten.

Fazit: Zerlina 2 auf der Bühne der STOP

Patricia Nolz war bei den Damen die einzige Besetzung dieser Produktion, die richtig war! Diese Tatsache stellt dem Besetzungsbüro, der Direktion und Philippe Jordan kein gutes Zeugnis aus.

Mit Patricia Nolz stand Zerlina 3 auf der Bühne der STOP, Kompliment für eine rollendeckende gesangliche Leistung.

Zu den Männern: 

Dass Ain Anger als Komtur nicht indisponiert angesagt wurde, ist unverständlich, denn ein derartiger Wobble ist in einer Première schwer tolerierbar, er klang abgesungen, ich bekam Ohrenschmerzen.

Stanislas de Barbeyrac war für mich ein unbeschriebenes Blatt: er nennt ein unübliches Stimmtimbre mit Wiedererkennungs-Charakter sein eigen, dass mich anfangs faszinierte, jedoch später ratlos machte, weil ich ihn in keine Schublade einordnen konnte (was man durchaus dem Schreiber anlasten mag!) Vom Stimm-Potenzial her ist er bestimmt über den lyrischen Mozart-Don hinaus, er kann wie ein jugendlicher Held auftrumpfen, die wahrlich langen, schwierigen Phrasen inklusive Koloraturen der „il mio tesoro“-Arie gelingen aber dennoch fliessend, dank guter Technik? Irritiert haben mich gewisse Piani, die einen grundverschiedenen Stimmklang annahmen, teilweise gekünstelt, fast gesäuselt auf mich wirkten. Da verwendet der Künstler meines Erachtens eine andere, „zweite Stimme“.

Die Partie des Masetto ist im Vergleich mit allen anderen Charaktere die unbedeutendste Rolle im Don Giovanni: Peter Kellner lieferte ordentlich, ohne weder abzufallen noch zu glänzen. Man nennt das im Opern-Jargon „zuverlässig“.

Zum Diener Leporello des Philippe Sly: der junge Mann bietet schauspielerisch-athletisch-agil-mimisch-stimmlich sehr viel an, er hat enormes Potenzial. Aktuell besteht ein Ungleichgewicht zwische 1/2/3/4 einerseits und 5 andererseits. Erstere Kategorie mit all ihren positiven Attributen gerät in die Nähe des overactings. Trotzdem eine mir höchste Achtung abverlangende Leistung, ob einem nun gewisse Sequenzen ge- oder missfielen!

Last but not least zur Titelfigur, zu Kyle Ketelsen: er hat eigentlich die stimmlichen Ressourcen für diese Rolle, schert aber alles über denselben Kamm. Der grosse Einwand, der leider erwähnt werden muss, ist die Tatsache, dass er dem „La ci darem la mano“ und dem „Deh vieni alla finestra“ keine erotisch-verführerische Stimmfarbe zu geben vermag … und damit kann ich ihm den unwiederstehlichen Frauenverführer nicht abnehmen!

Zusammenfassung: ausser beim Bauernpaar fehlte es bei allen übrigen Künstlern an Stimme, an Stimmqualität oder Stimmfarben. Für die Staatsoper Wien mit ihrem Anspruch eines international wichtigen Hauses und Mozartpflege als Herzensangelegenheit eine nachdenklich machende Tatsache.

Und nun breche ich für Barrie Kosky eine Lanze: ich bin der festen Meinung, dass wenn die Sängerriege gut zusammengestellt gewesen wäre, man die Sänger ausnahmslos für gut oder herausragend bejubelt hätte, die Regie nicht derart zerpflückt worden wäre. Warum das?

Die Ouvertüre war nicht verinszeniert, ich erspähte keine Aktenkoffer, keine Sonnenbrillen, keine Spitalbetten; keine Sängerin musste sich ausziehen, keine sang im Unterrock. Die Damen waren durchaus attraktiv und farbenfroh gekleidet, sie hoben sich vorteilhaft von den schwarzen Lavafelsen ab. Kein Mann musste seine Arie in Unterhosen abliefern. Die Handlung war klar erkennbar erzählt. Selbstverständlich gefielen mir auch nicht alle Regieeinfälle, aber die Crux dieser Neuinszenierung war NICHT die Regie, sondern das Type-Casting und als Folge davon die ungenügenden Sängerleistungen!

Alex Eisinger

 

 

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