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WIEN/ Staatsoper: TURANDOT. Rätsel gelöst, Fragen offen

04.03.2017 | Oper

TURANDOT – Rätsel gelöst, Fragen offen am 3.3. (Valentino Hribernig-Körber)

Die letzte, unvollendete Oper Puccinis stand in der Produktion von Marco Arturo Marelli am 3.3. in der zweiten Serie nach der Premiere im Frühjahr 2016 erneut auf dem Programm, und unvollendet blieb an diesem Abend auch vieles, was es zu hören und zu sehen gab. So hinterließ die Aufführung zwar einen durchaus positiven Eindruck, der im Detail jedoch durch manche Fragwürdigkeit relativiert wurde.

Über die szenische Umsetzung der märchenhaften (und bekanntlich nicht in allen Teilen restlos plausiblen) Geschichte aus dem mytischen China wurde anlässlich der Premiere hinreichend Kritisches geäußert. Daher sei angemerkt, dass so manche Idee im Ansatz durchaus Potential zeigt: etwa die Gestaltung des Chores, der in diesem Werk ja bekanntlich quasi eine Hauptrolle spielt, als voyeuristische und – ganz gleich ob Hinrichtung oder Hochzeit – von jedem Spektakel begeistertes„Publikum“; das Ritual, mit dem sich Turandot zu Beginn der Rätselszene mit Reliquien ihrer ermordeten Ahnfrau schmückt, die ihr dann mit jeder bestandenen Prüfung Calafs abgenommen werden; oder die Idee, im Schluss-Duett Turandot die Initiative zu dem Kuss mit dem noch namenlosen Prinzen zu überlassen. Gleichwohl wird jeder auf diese Weise vielleicht erzielbare Spannungsaufbau verlässlich durch nicht nachvollziehbare Sonderbarkeiten oder einfach Schlampereien zunichte gemacht, ein Prozess, der beispielsweise nach Schleifsteinen, die einen Armbreit neben dem angesetzten Schwert Funken sprühen und mehreren vom Rezensenten nur als lästig empfundenen Einlagen des pantomimischen Clowns schließlich in einer Schlussszene gipfelt, in der die pompös-pathetische Musik des Alfano-Finales durch ein Geschehen von seltener Albernheit konterkariert wird.

Um in einem solchen Ambiente, das zudem noch durch seltsame biographische Anspielungen auf den Komponisten belastet wird, eine packende Geschichte zu erzählen, bedürfte es natürlich besonders starker Sängerpersönlichkeiten, die im konkreten Fall jeweils nur teilweise zur Verfügung standen. So bewältigt die Russin Elena Pankratova die im doppelten Sinn mörderische Titelpartie, die für so manche ihrer berühmten Vorgängerinnen das Ende der Karriere eingeleitet hat, zweifellos und ohne nennenswerte konditionelle Schwierigkeiten, die dramatischen Höhepunkte etwa im 2. Akt sind verlässlich da. Der Preis dafür ist freilich manch schriller Ausreißer der an sich nicht besonders schönen Stimme bzw.  auch immer wieder deutliche Beeinträchtigungen der Intonation an exponierten Stellen. Unter diesen Umständen doch überraschend gefühlvoll gelingen die beiden eher lyrisch angesetzten Passagen, in denen sie nach der Rätselszene und im Finale an ihren Vater richtet. Ihre Darstellung bleibt aber auch in den Szenen, wo lt. Libretto sogar die Eisprinzessin Erschütterung zeigen sollte, psychologisch blass und konventionell, zudem sind die teilweise aus mehreren Kleidern und Umhängen bestehenden Kostüme wohl eher nach den figürlichen Voraussetzungen der Premierenbesetzung konzipiert und lassen nun die Nachfolgerin wenig vorteilhaft erscheinen.

Ihr Widerpart und Gegenüber Calaf war der italienische Tenor Stefano La Colla, der dafür, dass er noch verhältnismäßig neu auf der Opernbühne ist (Debüt 2008), sein Material erstaunlich schonungslos in die Schlacht wirft. Um die kraftvollen Spitzentöne, die er etwa im Finale des 2. Aktes oder im seit den „3 Tenors“ zum Gassenhauer mutierten „Nessun dorma“ aufbieten kann, werden ihn manche namhafte Kollegen beneiden. Wobei er von diesen durchaus noch Einiges lernen könnte, wo es nicht um Power und sichere Höhe geht, sondern um Farbigkeit und differenzierte Gestaltung, wie sich im Rest der genannten Arie ebenso zeigt wie etwa im ganzen ersten Akt oder in der Rätselszene. Auch verliert seine an sich mächtige Stimme dort, wo er sich um Piani bemüht, und in der Tiefe seltsam an Substanz. Darstellerisch bleibt sein tatarischer Prinz wörtlich und bildlich gesprochen an der Rampe, starke Emotionen werden nicht sichtbar.

Der Amerikaner Ryan Speedo Green soll seinen Vater, den exilierten TatarenkönigTimur, darstellen, was ihm streckenweise auch berührend gelingt; insgesamt leidet seine Glaubwürdigkeit jedoch unter der auch durch die Maske nicht wesentlich kaschierten Jugendlichkeit seines Auftretens  sowie unter seinem Kostüm, das ihn eher wie eine Figur aus einem Südstaaten-Drama von Tennessee Williams erscheinen lässt. Stimmlich bleibt er unauffällig.

An der Liu von Anita Hartig scheiden sich die Geister. Wer die Interpretationen der treuen Sklavin und unglücklich Liebenden ihrer doch durchwegs lyrischen Rollenvorgängerinnen im Ohr hat, wird sich angesichts ihres nicht gerade weiche Timbres und ihrer linearen Phrasierung (mit durchaus dramatischen Elementen) im ersten Moment auf Ungewohntes einstellen müssen. Doch es lohnt sich: denn auch im Spiel ist sie nicht die still Leidende, sondern zeigt Entschlossenheit, auf das Geschehen im Rahmen ihrer Möglichkeiten Einfluss zu nehmen. Ihre aussichtslose Liebe ist stark empfunden, und klar auch ihr Entschluss, ihrem Leben, das für sie keine Perspektiven mehr bietet, ein Ende zu setzen. Gesanglich löst sie dieses darstellerische Konzept ein, und das Ergebnis ist schlüssig.

Über allen thronend – bzw. in dieser Inszenierung neben allen im Rollstuhl sitzend – der große Menschendarsteller Heinz Zednik, der – wie so oft schon in anderen kleinen und kleinsten Partien – demätherisch entrückten Kaiser Altoumsein unverwechselbares Profil zu verleihen vermag. Eindringlich sein vom Morden seiner Tochter angeekelter Appell an Calaf, doch von dem grausamen Ritual abzulassen, eindrucksvoll seine Erleichterung nach dessen bestandener Prüfung, die ihn dazu veranlasst, die Bitten seiner Tochter zu ignorieren und den Siegreichen dem Volk als seinen Nachfolger zu präsentieren;dazwischen baut sich die ganze emotionale Bandbreite der Rätselszene in der Körpersprache und Mimik des Schweigenden auf, während sie zwischen den Protagonisten nicht sichtbar wird.

Aus den übrigen Partien ragt Clemens Unterreiner als Mandarin hervor, die Minister Ping, Pong und Pang sind mit Gabriel Bermudez, Carlos Osuna und Norbert Ernst mehr oder weniger adäquat besetzt, in weiteren Rollen sind Won Cheol Song, Secil Ilker und Kaya Maria Last zu nennen. Josef Borbely führt als Weißer Clown die zahlreiche Schar an Artisten und Komödianten an, an deren dramaturgischer Berechtigung sich zweifeln lässt.

Am Pult stand der Mailänder Paolo Carignaniund führte weitgehend pannenfrei, allerdings auch ohne spezifische Höhepunkte abseits der erwartbaren Fortissimo-Passagen, den großen Apparat, in dem der Chor unter Thomas Lang dem Werk gemäß eine Sonderstellung einnahm und dieser durchaus gerecht wurde. Das Publikum war offenbar durch die gelungenen Demonstrationen stimmlicher Potenz beeindruckt und spendete durchgehend ebenso lautstarken Beifall, aus dem der Applaus für Frau Hartig noch einmal deutlich hervorstach.

Valentino Hribernig-Körber

 

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