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WIEN/ Staatsoper: TURANDOT

14.04.2019 | Oper


Dinara Alieva (Liu). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN/ Staatsoper:  „TURANDOT“ am 12.4.2019

 Giacomo Puccinis letzte Oper, von Franco Alfano vollendet, ist eine großartige Kombination von Puccinis melodischem Erfindungsgeist, seiner meisterhaften koloristischen Kunst und der Anwendung neuer musikalischer, expressiver Ausdrucksformen. Obwohl dem Stück, das auf einem persischen Märchen beruht, etwas Triumphales innewohnt, ist es eine ziemlich brutale Geschichte. Und das scheint sich auch der Regisseur Marco Arturo Marelli gedacht zu haben. In einem chinesisch stilisierten Ambiente zeigt uns Marelli, wie das Volk bereits verroht ist und nach Calafs Gongschlägen begeistert auf die nächste Frageshow wartet. Den Einsatz von Artisten finde ich sehr passend, denn die großen Auftritte und Szenen mit Kaiserhymne haben das Element des Spektakels. Die Rätselszene fand ich sehr gut gelöst. Das Schädelkabinett der Minister im 2. Akt mag zwar makaber erscheinen, aber steht in Verbindung zum Text, in dem die Minister ihre schreckliche Arbeit beklagen und bedauern, dass die einzigen Feste, welche noch gefeiert werden, die grauenhaften Rätselkonfrontationen sind, denen die adeligen Jünglinge zum Opfer fallen. Den Clown erachte ich als Reminiszenz an die Märchenquelle für stimmig. Das Bett im 3. Akt erweckte bei mir Assozationen zum Krankenhaus, auch wenn es schlüssig ist, dass Calaf wachend im Bett liegt. Nach Liùs Tod schneidet sich Timur die Pulsadern auf – eine Idee zuviel von Marelli. Dass Turandot und Calaf über dem strahlenden Finale den Ehevertrag in sehr geschäftlicher Manier unterzeichnen, kann man sich im Kopf konstruieren, aber mit dem leidenschaftlichen Vorlauf im Duett steht dieses Verhalten für mich nicht im Einklang, besonders dann nicht, wenn – so wie in dieser Inszenierung – der befreiende Kuss von Turandot und nicht Calaf initiiert wird.

Die musikalische Leitung des Abends lag in den Händen von Domingo Hindoyan. Der Dirigent, mit dieser Serie am Haus debütierend, stammt aus Venezuela und ging aus dem wertvollen El Sistema-Programm hervor. An diesem Abend lernte ich ihn als akkuraten und umsichtigen Dirigenten kennen. Hindoyan zeigte einige Male die Fähigkeit, besondere Stimmungen erzeugen zu können. Etwa die gespenstische Szene im 1. Akt, in der die Minister Calaf von der Brautwerbung abbringen wollen, auch der Mittelteil des Minister-Terzetts gelang sehr schön. Der dem „Mondchor“ vorangehende Chor riss in seiner Wildheit mit und die Rufe des Mandarins hatten die richtige Exotik, welche Faszination ebenso wie Unsicherheit auslöst. Gewünscht hätte ich mir eine größere dynamische Bandbreite, besonders zum Piano hin, ausgewogenere Übergänge und mehr Poesie und Gefühl für impressionistische Stimmungen.  Pars pro toto zum letzten Punkt der sehr erdige Einleitungschor zum 3. Akt.

Die Titelrolle sang Anna Smirnova. Meines Erachtens eine echte dramatische Stimme mit dunklem Timbre und kräftiger, harter Höhe. In den lyrischen Passagen liegt ihr Sopran schön auf Linie und singt sie gefühlvoll. Ihre Erzählung über das grausame Schicksal der Ahnin Lou-Ling war sehr ausdrucksstark. In ihrer Auftrittsarie „In questa reggia“ wirkte Smirnova vor den Höhen nervös, was sich im Laufe des Abends besserte. Warum der Publikumszuspruch recht lau war und Frau Smirnova beim Schlussvorhang fast ängstlich wirkte, verstehe ich nicht – denn für mich war sie eine gute Turandot. Als Calaf konnte sich der südkoreanische Tenor Alfred Kim beweisen. Sein Tenor hat dramatisches Gewicht und Färbung. Die Mittellage besitzt kein spezifisches Timbre, trug aber in den ersten beiden Akten sehr gut, im 3. Akt nicht mehr ganz so kräftig. Die trompetenhafte Höhe ist sicher und klangvoll und wurde mit Geschmack eingesetzt. Im „Nessun dorma“ hätte Kim gewiß mehr protzen können, unterließ das aber, was es Hindoyan  erleichterte, den Abend ohne Unterbrechung fortzusetzen. Das Spiel von Kim war etwas steif. In der Rolle der Liú hörte ich – trotz leicht kehligem Stimmsitz – zu meiner Freude Dinara Alieva. Ihr runder, warm und dunkel tönender Sopran erhob sich mühelos über das Orchester. Die hohen Pianostellen gelangen ausgezeichnet. Liús Tod, die letzte von Puccini vertonte Nummer, erzeugte Ergriffenheit.

Im Ministertrio kontrastierten die Tenöre von Carlos Osuna und Leonardo Navarro sehr vorteilhaft. Navarro (Pong) hat sich zu einem kräftigen und prägnanten Tenor mit hellem,  aber nicht scharfem Timbre entwickelt. Osuna übernahm mit lyrischer, weicherer und dunklerer Stimme kurzfristig den Pang. Die Baritonrolle des Ping sang Samuel Hasselhorn. Sein heller, angenehmer Bariton blieb über weite Strecken unauffällig. Nachdem er mir schon einige Male in kleineren Rollen außergewöhnlich positiv aufgefallen war, hatte ich etwas höhere Erwartungen.

Dan Paul Dumitrescus väterlicher, kantabler Bass war eine adäquate Besetzung für den Timur. Seine heftige Anklage gegen Turandot im Anschluss an Liús Tod erweckte Aufmerksamkeit. Den gebrechlichen Kaiser Altoum sang Benedikt Kobel im Rollstuhl mit klarer Stimme. Paolo Rumetz war ein Mandarin von erster Güte. Oleg Zalytskiys Todesschrei als persischer Prinz war eindringlich. Von exquisiter Qualität waren die eleganten Mägde von Seçil Ilker und Kaya Maria Last im 3. Akt.

 Eine wichtige Aufgabe fällt in der „Turandot“ dem zu, dem viel Stimmkraft, Rhythmusgefühl und Wandlungsfähigkeit abverlangt wird. Die Sicherheit, Durchschlagskraft und der saubere Gesang des Staatsopernchors legten Zeugnis für eine gewissenhafte Einstudierung durch Thomas Lang ab. Das Schluss-Crescendo begann allerdings im Mezzoforte – hier bildet sich eine Klammer zu den Ausführungen über Hindoyan.

In Summe war der Abend keine große, aber zufriedenstellende Puccini-Pflege.

Johann Nepomuk Steiner

 

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