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WIEN/Staatsoper: TRISTAN UND ISOLDE – Premiere. Lautstarke und chaotische Unmöglichkeit einer Liebe…

WIEN/Staatsoper: TRISTAN UND ISOLDE – Premiere am 14. April 2022

 Lautstarke und chaotische Unmöglichkeit einer Liebe…

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Andreas Schager, Martina Serafin. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Gestern Abend auf den Tag genau vor 110 Jahren sank die Titanic vor Neufundland, und man könnte sagen, zumindest nach der sehr signifikanten Ablehnungsreaktion des Publikums gegen das leading team von Calixto Bieito (Regie), Rebecca Ringst (Bühne), Ingo Krügler (Kostüme) Michael Bauer (Licht) und Nikolaus Stenitzer (Dramaturgie), dass an der Wiener Staatsoper auch die – nicht unbedingt notwendige – Neuinszenierung von Richard Wagners Handlung in drei Aufzügen „Tristan und Isolde“ schon bei ihrer Jungfernfahrt – und damit ähnlich wie die Titanic – gesunken ist. Der allein gegen die Regie gerichtete Buhorkan war aber auch nachvollziehbar, denn man erlebte eine „Tristan“-Produktion, in der wieder einmal in einer regietheatralischen Ästhetik zu viele handwerkliche Fehler gemacht wurden und letztlich fast alles offen blieb. Was viele vielleicht in einer allzu naheliegenden „Tristan“-Naivität als Symbol für das Meer der Überfahrt nach Cornwall hielten, das auf fast der gesamten Bühne stehende Wasser, in dem auch eifrig geplantscht wurde, war eine Metapher für die Emotionen, die von innen kommen und nach außen dringen.

Ein Schiff oder wenigstens ein Bug war ohnehin weit und breit nicht in Sicht. Tristan sollte nach Bieito aus dem Wasser kommen… Etliche Schaukeln beherrschen hingegen den 1. Aufzug, der Trank wird virtuell aus der Handfläche genommen und nach kurzem emotionalem Suhlen im Wasser geht Tristan ab, vom König keine Spur! Der kommt im 2. Aufzug gelangweilt mit zwei kleinen Mädchen im Glencheck mit den Händen in den Taschen herein, singt seinen Part und zieht wieder ab, sogar gleich noch mit Isolde, die wohl auch kein gesteigertes Interesse an des Liebhabers Schicksal hat, welches dieser mit dem Fischmesser Brangänes selbst blutig einleitet, sodass Melot gar nichts mehr tun muss.

Wieder einmal also die nahezu um jeden Preis prononcierte Negation von Emotion und Menschlichkeit, die wir immer häufiger im Wagnerschen Regietheater erleben müssen. Man denke an Simon Stones‘ „Tristan“ in Aix und die neue „Walküre“ in Stuttgart letzten Sonntag von gleich drei Regieteams (Rezension folgt). Dass Isolde vorher bei Tristans Frage, ob sie ihm Folge leisten wolle in die dunkle Nacht, ihn zärtlich umarmt, ist erfreulich, wie auch eine menschliche Nähe zu ihm im Liebestod. Das wird aber immer wieder gestört durch handfeste Entfremdungen, als wenn der Regisseur sich einfach nicht erlauben wollte, dass zwei Menschen intensiv zueinander stehen wollen und können, auch wenn es ihr Ende bedeuten sollte.

Den Höhepunkt findet dieses Regiekonzept, wenn man es denn so nennen will, im 2. Aufzug, als beide in nebeneinander schwebenden Boxen (im fixen Zustand eine Regiespezialität von Olivier Py) selbst noch beim Liebesduett voneinander getrennt agieren und – sicher wegen der Unmöglichkeit ihrer Liebe – alles kurz und klein schlagen, sodass man kaum noch die Musik hören oder sich wenigstens auf sie konzentrieren kann. Am Ende finden sie dann inkonsequenterweise doch noch den Weg auf die Bühne, um mit einem großen Küchenmesser einen Selbstmordversuch zu starten (Warlikowski in München lässt grüßen!). Was im 3. Aufzug etwa 20-30 nackte jungen Leute à la Martin Kusej im Bühnenhintergrund sollen, die bei einem Gang in den Vordergrund mit Liebesannäherungen für gleichgeschlechtliche und diverse Paare für Tages-Aktualität sorgen, während Tristan in seinem Fischblut vor sich hindämmert, verschließt sich dem Normalbesucher ganz sicher. Sie kommen wenigstens nicht vor den Vorhang…

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Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Bis auf Clemens Unterreiner als unscheinbar gemachter Melot hatten alle Protagonisten ihr Rollendebut am Haus. Andreas Schager fing als Tristan vielversprechend an, sang auch einen sehr guten 2. Aufzug, wobei er immer auch wie – bei ihm gewohnt – sehr intensiv und charismatisch spielte, aber eben auch nicht mit dem Volumen haushielt. Nach einer Vorankündigung bei einer Höhe im 2. versagte Schager gegen Ende der Fieberphantasien im 3. Aufzug immer mehr die Stimme. Die Höhen kamen kaum noch, es wurde zu tief gesungen – die Erschöpfung wurde offenbar. Martina Serafin hatte als Isolde zu Beginn mit den Höhen leichte Probleme, sang die Rolle aber ausgewogen mit sicherer Mittellage, wobei ihr Timbre, wenn man an andere große Rollenvertreterinnen denkt, meines Erachtens zu wenig Persönlichkeit hat. René Pape sang den Marke mit seinem gewohnt profunden und klangvollen Bass, von der Regie aber arg vernachlässigt. Iain Paterson, sonst Wotan und Hans Sachs, gab einen hell timbrierten Kurwenal mit seinem gut geführten Heldenbariton. Er durfte sich immerhin in signifikanter Menschlichkeit zu Tristan ergehen. Ekaterina Gubanova war eine gute Brangäne, aber auch sie viel zu sehr vernachlässigt in ihrer Beziehung und den Zwiegesprächen mit Isolde. Sie lief so nebeneinander mit und verbrachte den 2. Aufzug im Wesentlichen mit dem Ausnehmen zweier großer Fische, deren Blut dann Tristan für sein Ende dient… Die Brangäne-Rufe hätten etwas lauter und eindringlicher sein können. Daniel Jenz als Hirt, Martin Häßler als Steuermann und Josh Lowell als Stimme eines jungen Seemanns machten ihre Parts tadellos. Der von Martin Schebesta einstudierte Chor der Wiener Staatsoper war stimmkräftig zu hören.

Philippe Jordan vermochte angesichts des Tohuwabohus auf der Bühne erstaunlich viel Ruhe in den musikalischen Ablauf des Abends zu bringen und gleichwohl einen guten Spannungsbogen zu halten. Leider ging in der 2. Szene des 2. Aufzugs die Musik fast völlig unter angesichts der Kraches, der die Zerstörung der Kulissen durch Tristan und Isolde erzeugte. Hier und da hätte man vielleicht eine etwas kräftigere musikalische Akzentuierung wünschen können, aber das kommt sicher noch. Es war insgesamt musikalisch ein guter Abend. Der Applaus hielt sich zeitlich – für eine solche Premiere – in Grenzen.

Klaus Billand

 

 

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