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WIEN/ Staatsoper: „TRI SESTRI“

17.03.2016 | Oper

WIEN/ Staatsoper: „TRI SESTRI“ am 16.3.2016

 
Peter Eötvös. Copyright: Barbara Zeininger

Ein erster Blick in den Orchestergraben weckt schlimme Befürchtungen. Links und rechts ist jeweils eine große Schlagzeugbatterie mit Pauken, Unmengen von Trommeln, Becken, Gongs und einem Glockenspiel aus Kuhglocken. Die Bedenken, dass man an diesem Abend mit Discolautstärke beschallt wird, sind aber unbegründet. Die Instrumente werden nur dezent eingesetzt. So ist das Glockenspiel der Natascha zugeordnet, wie überhaupt die meisten der Instrumente des Orchesters im Graben einzelnen Rollen als Partner zugeordnet sind, während hinter der Bühne ein (größeres) Orchester für einen interessanten Raumklang sorgt. Im Graben gehört auch ein Akkordeon zur Besetzung, ein Instrument, das in der Opernliteratur nur selten verwendet wird. (Mir fallen dazu eigentlich nur „Baal“ und „Wozzeck“ ein.) Dieses eröffnet auch gleich das Werk, bei dem es die Schwestern, welche mit einem vorgezogenen Epilog das Werk beginnen. Ihre Schaukeln, die sich zu Beginn noch synchron bewegen, verlieren diese Synchronisation während der Einleitung allmählich und die einzelnen Schwestern schaukeln mit individuellen Geschwindigkeiten. Nachdem also sozusagen das Ende vorausgenommen wird, erzählt Eötvös dann die Geschichte der letzten Jahre in drei Sequenzen, jeweils aus den Augen einer anderen Figur. Zwei der Sequenzen sind dabei den Schwestern Irina und Mascha gewidmet und die mittlere dem Bruder Andrej. Wie sich verschiedene Menschen an die gleichen Ereignisse unterschiedlich erinnern, sind sie auch in diesen Sequenzen in unterschiedlicher Gewichtung (und Reihenfolge) angeordnet. Während Irina in der ersten Sequenz sich ihrer Flirts mit Tusenbach und Soljony in einer zeitlich recht ungeordneten Folge entsinnt, ist bei Andrej überhaupt nur ein Konglomerat verschiedener Szenen, die zu seiner aktuellen Situation führen, zu erleben. In der abschließenden Sequenz erinnert sich Mascha des Ablauf ihrer Liebelei mit Verschinin ziemlich genau.

Bemerkenswert ist, dass die Wiener Staatsoper in der Lage ist, ein solches Werk praktisch vollkommen aus dem Ensemble zu besetzen. Dabei ist es ein Glücksfall, dass für das Trio der Schwestern drei junge Russinen zur Verfügung stehen, die allesamt noch keine dreißig Jahre alt sind (während sie sich bei Tschechow doch deutlich im Alter unterschieden). Die jüngste der Schwestern, Irina, ist Aida Garifullina mit hellem, sicherem Sopran. Eigentlich geht es ihr weniger darum, sich zwischen den beiden Liebhabern zu entscheiden, sondern sie will der Enge und Perspektivlosigkeit ihres Lebens in der Provinz entfliehen. Als sie sich dann doch auf Drängen ihrer Schwester für den belkantesk werbenden Boaz Daniel als Tusenbach und gegen den mit sonorem Bass aufwartenden Viktor Shevchenko entscheidet, zerplatzt ihr Traum, da Soljony den Baron in einem Duell tötet.

Die zweite Sequenz ist keiner Schwester, sondern dem Bruder Andrei gewidmet. Hier hat Gabriel Bermudez endlich wieder eine Partie gefunden, in der er wirklich überzeugen kann, nachdem seine Versuche in Balcantopartien nicht gerade sehr erfolgreich waren. Als schwacher, unter der Fuchtel seiner Frau Natascha stehender liefert er sowohl darstellerisch, als auch stimmlich ein beeindruckendes Portrait. Sein Monolog ist die längste Solonummer des Werkes und wird von ihm großartig gestaltet. Als Natascha ist mit dem jungen Countertenor Eric Jurenas das einzige Nicht-Ensemblemitglied am Werk. Mit mächiger blonder Perücke und federgeschmücktem Morgenrock wird er in jeder seiner Szenen automatisch zum optischen Mittelpunkt. Seine Stimme wird nur dann scharf, wenn die Charakterisierung der Schwägerin als Usurpatorin des Hauses Prozorov das erfordert.

In der dritten Sequenz ist Margarita Gritskova die Mascha. Bei ihr wird neben ihrer satten Altstimme auch sehr viel an Sprechgesang gefordert, da dieser Abschnitt viele an ein Melodram erinnernde Stellen aufweist. Hier kann sich auch Clemens Unterreiner als Verschinin sowohl mit schön timbrierten Bariton, als auch mit gutem (perfekten ?) Russisch auszeichnen. Der gutmütige Gatte Maschas ist Dan Paul Dumitrescu, der in liebenswerter Gutmütigkeit immer wieder versucht, seiner Gattin einen Strauß Blumen zu überreichen und über ihr Verhältnis mit Verschinin hinwegzusehen.

Die (bei Tschechow) älteste Schwester Olga hat zwar keine eigene Sequenz, aber Ilseyar Khayrullova ist in allen Sequenzen vertreten, da sie ja sozusagen als Familienoberhaupt agieren muss. Sie tut das mit schöner Altstimme und verteidigt die köstliche alte Amme Anfissa des Marcus Pelz gegen die Anfeindungen Nataschas. Eine Studie liefert Norbert Ernst als meist betrunkener Doktor. Ihm ist vom Komponisten die Posaune als charakteristisches Instrument zugeordnet und es ist höchst amüsant, wenn diese ihre Glissandi womöglich auch noch mit Dämpfer der Singstimme unterlegt. Die beiden Soldaten Rodé und Fedotik (Jason Bridges und Jinxu Xiahou) bedanken und verabschieden sich immer wieder in lyrischer Weise.

Am Pult (oder genauer an den Pulten, denn das Orchester auf der Bühne hat einen eigenen Dirigenten) sorgt Peter Eötvös im Graben und Jonathan Stockhammer auf der Bühne für eine pointierte musikalische Wiedergabe und lockt aus dem Kammerorchester immer wieder verblüffende Klangfarben, die einen manchmal rätseln lassen, mit welchen Instrumenten sie hervorgebracht werden.

Die Ausstattung von Esther Bialas zeigt einen großen Saal mit beiderseits je drei Türen, zwischen denen auf Laufbändern verschiedene Versatzstücke, aber auch Personen an den handelnden Personen vorüberziehen und so den gleichförmigen Verlauf der Zeit andeuten. Für die Darsteller sind diese Laufbänder sicher eine Herausforderung, da es großer Konzentration bedarf, bei einem Gang über die Bühne hier nicht zu stolpern. Der Regisseur Yuval Sharon führt seine Darsteller sehr behutsam und arbeitet die Beziehungen zwischen den einzelnen Personen klar heraus. Überraschenderweise stellte er sich auch bei dieser Aufführung dem Schlussapplaus.

Leider war diese Aufführung nicht gut besucht. Offensichtlich ist die Angst vor „neuen“ Stücken in Wien besonders groß. Sollte diese Produktion in den folgenden Saisonen wieder auf dem Spielplan erscheinen, so wäre allen Skeptikern zu empfehlen, die Vorurteile beseite zu schieben und sich auf einen intensiven Abend einzulassen, bei dem keinerlei Gehörschädigungen zu befürchten sind.

Wolfgang Habermann

 

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