WIEN / Staatsoper: TOSCA von Giacomo Puccini
629. Aufführung in dieser Inszenierung
25. Feber 2022
Von Manfred A. Schmid
Nach der desolaten Kusej-Tosca im kurzzeitig dazu umfunktionierten Regie-Theater an der Wien nun also wieder einmal die bestens vertraute Tosca aus dem Fundus der Staatsoper. Mit 629 Aufführungen in knapp 65 Jahren ist dieses museale Prachtstück nicht leicht zu toppen und dürfte weltweit ziemlich einmalig sein. Die Vorteile der Wallmann-Inszenierung liegen auf der Hand: Die Schauplätze der drei Akte – Kirche Sant’Andrea della Valle, Palazzo Farnese, Engelsburg – sind genau definiert und bieten der jeweiligen Sängerin und den Sängern genügend Freiräume, um ihre Erfahrungen aus anderen Inszenierungen einfließen zu lassen. Das wird bei einigen Neuproduktionen der noch jungen Ära Roscic – man denke nur an den technischen Aufwand der mit aktuellen Videoeinspielungen (Faust) und mit Fotos der Hauptakteure ausgestatteten Bühnen (La Traviata) nicht so leicht möglich sein, von der ausgefeilten Choreographie für die Interaktion aller Akteure, wie z.B. in Herbert Fritschs Barbiere, ganz zu schweigen. Da fehlt dem Staatsoperndirektor wohl noch die Kenntnis der Bühnenrealität und der pragmatischen Aspekte eines Repertoire-Opernbetriebs.
Dafür versteht Roscic – aus seiner bisherigen Tätigkeit bei Ö3 bis Universal Music – viel von Stimmen. Jedenfalls hat er schon einige bemerkenswerte neuen Gesichter mit dazugehörigen Stimmen ins Haus am Ring gebracht. Das mit Spannung erwartete Hausdebüt von Elena Stikhina gehört nicht dazu, denn auf diese Sängerin zu setzen, ist, nach ihren Erfolgen an der Pariser Oper, in London und bei den Salzburger Festspielen, eine sichere Bank, wie man das im Sport nenne würde. Nach Wien kommt die russische Sopranistin direkt von der MET, wo sie seit Weihnachten mit ihrer fulminanten Gestaltung der Floria Tosca Schlagzeilen gemacht hat.
Selten gibt es in der Partie der eifersüchtigen Diva eine so junge, attraktive Sängerin zu erleben. Da Stikhina auch stimmlich und gesangstechnisch bestens ausgestattet ist, gelingt ihr eine bewundernswerte, packende Gestaltung dieser Frau, die Zärtlichkeit, Leidenschaft und wohl auch eine gewisse Naivität in sich vereint. Ihr lyrischer Spinto-Sopran, farbenreich und mit dem nötigen Quäntchen Silbermetall versehen, erhebt sich mit Leichtigkeit über das oft tosende Orchester. Man versteht, warum diese Frau es schafft, in ihrer jungten Karriere sowohl Mimi wie auch Salome zu verkörpern. Ihre Melodienbögen werden fein gestaltet, das Spektrum vom fast lautlosen Pianissimo zum donnernden Forte bereite ihr keine Mühe. Kein Wunder, dass ihr „Vissi d’arte“ mit viel Applaus bedacht wird. Eine Wiederholung wäre durchaus möglich gewesen, aber im Publikum fehlen diesmal die anfeuernden Bravo-Rufer, weshalb später im 3. Akt die Tenorarie „Lucevan le stelle“ auch ohne Dacapo verklingen wird.
Bevor jedoch auf Cavaradossi näher eingegangen wird, ist das Wiener Rollendebüt Roberto Frontalis zu würdigen. Der Bariton, an der Staatsoper schon in vielen Rollen des italienischen Fachs zu sehen und zu hören und auch als Macbeth im Theater an der Wien in guter Erinnerung, ist ein teuflisch böser Scarpia. Zuweilen erlebt man Scarpias auf der Bühne, die eine magnetische Ausstrahlung haben und sogar erotische Reize ausstrahlen (Erwin Schrott zum Beispiel). Frontalis Scarpia ist seelenlos und wirkt gerade deshalb ungemein beunruhigend. Wenn er mit seinem pointierten Bariton das wuchtige „Te Deum“ anstimmt, klingt das wie eine gefährliche Drohung, die er dann, im 2. Akt, auch einlöst. Insgesamt eine gute Leistung. Frontali kostet den Applaus vor dem Vorhang nach dem 2. Akt sichtbar lange aus.
Vittorio Grigolo gehört gewiss zu den derzeit besten Sängern und Darstellern der Rolle des Malers Mario Cavaradossi. Grigolo ist auch diesmal vor allem eines: nämlich Grigolo. Ein makelloser lyrischer Tenor, mit sonniger, einnehmender Italianitá versehen, der mit viel Einsatz ans Werk geht und schon bei seinem ersten Auftritt mit „Dammi i colori!… Recondita armonia“ alle Aufmerksamkeit auf sich zieht und seine Qualität als Publikumsliebling ausspielt. Mit einem markigen „Vittoria“-Ruf beschwört er, von Folter physisch zerstört, aber seelisch ungebrochen, die Unbeugsamkeit und den Trotz eines Kämpfers für die Freiheit. Seine Gestaltung des Höhepunkts „E lucevan le stelle“ gerät allerdings etwas zu sehr ins Manieristische. Wie er da zwischen Pianissimo und Fortissimo changiert, wirkt zu aufgesetzt, zu kalkulatorisch auf bloße Effekthascherei hin angelegt. Viel Applaus, aber keine Wiederholung. Nicht sehr wahrscheinlich, dass das Publikum seine Attitüde durchschaut hat, es fehlte diesmal, wie schon oben erwähnt, einfach an den Stimmungsmachern.
Der Bariton Clemens Unterreiner ist darstellerisch immer bestens vorbereitet. Eine gute Hausbesetzung für die Rolle des vor den Häschern Scarpias flüchtenden Angelotti. Gehetzt, in innerem Aufruhr, sucht er vorübergehend Schutz. Dan Paul Dumitrescu, ebenfalls Ensemblemitglied, nimmt sich als Mesner stimmlich rollengerecht etwas zurück, es gelingt ihm aber nicht, dieser zwielichtigen Figur ein stimmiges Profil zu verleihen. Da hat von Jahrzenten der unvergessene Alfred Sramek einen Prototyp entwickelt und ihm so seinen Stempel aufgedrückt. Eine Mischung aus Verschlagenheit und bösartiger Anbiederung, die dem ersten Akt auch eine komische Note verleiht. Marcus Pelz und andere haben dieses Rollenbild übernommen und fahren gut damit. Dumitrescus Versuch einer Neugestaltung überzeugt noch nicht.
Tadellos, wenn auch etwas zu unauffällig agieren Andrea Giovannini und Attila Mokus als Spoletta und Sciarrone, Schergen Scarpias. Chiara Bammer erfreut als Hirte.
Mit Staatsopern-Ehrenmitglied Marco Armiliato liefert ein bewährter Garant für das italienische Fach einen musikalisch einwandfreien Opernabend, und das, obwohl die Philhamoniker derzeit auf Gastspiel in den USA sind und deshalb vermutlich mehr Substitute als üblich im Orchestergraben sitzen.
Freundlich bis begeisterter Applaus ohne Bravo-Exzesse. Irgendwann – vielleicht gar bald – wird es an Zeit sein, von dieser Inszenierung Abschied zu nehmen. Nur Mut für einen Neubeginn. Es muss ja nicht ausgerechnet mit Martin Kusej sein.
25.2.2022