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WIEN/ Staatsoper: TOSCA – grandioses Dirigat

19.01.2019 | Oper


Marco Vratogna (Scarpia)- Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

18.1.2016: „TOSCA“ – Grandioses Dirigat!

Nicht die Primadonna, nicht der gefolterte Held, nicht der erstochene römische Polizeichef standen für mich im Mittelpunkt, sondern das erste Puccini-Dirigat von Evelino Pidò an der Wiener Staatsoper. Zu neugierig war ich nach seinen vielen vortrefflichen Rossinis, Donizettis, Bellinis und Verdis, wie der italienische Maestro ein echtes Verismo-Stück anpacken würde. Ergebnis: sensationell! Da ja die Mehrzahl der Besucher nur auf die Bühne schaut und auf die Sänger hört, möchte ich ein bisschen ins dirigentische Detail gehen.

Laut sind die ersten Takte ja komponiert. Also meinen viele Dirigenten, dass sie es einfach dabei bewenden lassen können. Unter Pidò knallte es nicht. Die Oper begann mit einer ganz festen, konzentrierten Ballung des tutti-Klanges, die kommendes Unheil in neuer Form ankündigte: man schauderte eher, als man erschrak. Bald war mir klar, dass ich an diesem Abend die Bühne gar nicht gebraucht hätte, um das Stück zu verstehen. Alle Erregung und alle Glücksmomente kamen vor allem aus dem Orchester. Die Musiker fraßen dem Dirigenten gleichsam aus den Händen. Die Sänger umhegte er in beneidenswerter Weise. Angelottis angstvoller erster Auftritt „zeigte“ akustisch einen atemlosen Clemens Unterreiner – ich hätte den Sänger kaum erkannt, wenn ich nicht den Programmzetel gelesen hätte – da ging es um ein Menschenleben in „Form“ von erregten Instrumentalpassagen, bis der Verfolgte sein lebensrettendes Versteck gefunden hatte. Wolfgang Bankl erhielt für seine Selbstgespräche bzw. Gedanken als nicht nur frommer Mesner präzise, zugleich aber locker-spöttische Unterstützung, ehe der Ernst wieder überhand nahm. Bei Cavaradossis Auftritt und seinen harmoniegesättigten Überlegungen zu den „belleze diverse“ schien die Welt heil. Wie Pidò dem Tenor Vittorio Grigolo bei der gar nicht besonders belcantesk dargebotenen Arie „Recondita armonia“ zu erhöhter Publikumswirkung verhalf, indem er beim sicher und lang gehaltenen hohen Schlusston gleichsam die Welt rundum ersterben ließ, um dem Sänger diesen Triumph zu gönnen, verriet den effektbewussten Italiener ebenso wie den wohlwollenden Kollegen! Gleiches geschah bei diversen Soli von Tosca und Scarpia. Selbstverständlich für einen Bühnenmenschen (der jeder Operndirigent sein sollte!), aber nicht immer getätigt: Bühne und Musik verschmelzen zu einem Ganzen. Leerläufe gab es keine. Wenn eine Passage zu Ende ging, gab es – bei Generalpausen oder während einer Applauspause – sogleich kleine Andeutungen an einzelne Instrumentalisten oder Gruppen, worauf sie bei der Fortsetzung achten mögen. Das gewaltige Crescendo, das den 1. Akt beschließt, hört man selten so inhaltsschwer – nicht etwa niederschmetternd, sondern aufklärend, was da wohl noch alles zu erwarten sei…Man brauchte die Pause.

Raffinesse, Selbstbehauptung, Folter, Verzweiflung und Tod – der 2. Akt bot Spannung non plus ultra. Die 3 Protagonisten, die den 1. Akt zum Einsingen gebraucht hatten, waren nun voll in Fahrt. Der dunkle, mächtige Bariton von Marco Vratogna ließ zwar wenig vom Baron Scarpia durchklingen, machte aber sehr wohl die Durchtriebenheit und Gewaltbereitschaft des Polizeichefs nachvollziehbar. Vittorio Grigolo brachte Cavaradossis Qualen und Widerstandskraft überzeugender zum Ausdruck als zuvor und danach seine Liebesbekundungen, welche er zu sehr auf äußeren Effekt anlegte. Und Kristine Opolais, deren Sopran bisher wenig Klangqualität geboten hatte, vergaß im Affekt alle eventuellen vokalen Probleme und legte sich agierend und singend derart ins Zeug, dass die kühne Verzweiflungstat, Scarpias Ermordung, nur allzu konsequent schien. Mehrere Messerstiche von vorne und in den Rücken, Ächzen, Stöhnen, letzte Huster des Beklagenswerten ließen uns den Krimi atemlos verfolgen

Nicht unerwähnt soll jedoch bleiben, wie Evelino Pidò nichtsdestotrotz inmitten der grausamen Vorkommnisse Floria Toscas. der Künstlerin und liebenden Frau, „Vissi d’arte, vissi d’amore“ zum eigentlichen – inneren – Höhepunkt des Mittelakts werden ließ. Bei diesem Moment der Besinnung, nachdem Scarpia plötzlich von der beabsichtigten Vergewaltung der begehrten Frau ablassen musste, weil im Hintergrund „il taburro“ ertönte (von Scarpia als gute Ausrede benutzt, ihr klar zu machen, dass ihr nicht mehr viel Zeit bleibe, um seinem Wunsch nachzukommen, weil es um das Leben ihres Mario ging), ermöglichte der Dirigent durch gekonntes Abklingenlassen der instrumentalen Erregung einen ebenso feinen wie gespannten pianissimo-Übergang zu dieser meisterhaften Legato-Arie, die in wenigen Minuten die gesamte bisherige Existenz dieser Frau, ihre Gläubigkeit, ihre liebende und künstlerische Hingabe zu ergreifendem Ausdruck bringt. Den heftigen Applaus, der der Sängerin zuteil ward, durfte der Mestro auch für sich verbuchen

Musikalisch fest eingebunden in das dramatische Geschehen wurden auch Leonardo Navarro (Spoletta), Marcus Pelz (Sciarrone) und im 3. Akt Ayk Martirossian (Schließer) und Maryam Tahon (Kind der Opernschule als junger Hirte).

Die reale Handlung des 3. Akts erfuhr unter dirigentischer bzw. orchestraler Mithilfe auch wieder jene spirituelle Überhöhung in der „Sternen-Arie“ und in der Liebesekstase Toscas und Cavaradossis, „Parlami ancor, come dianzi parlavi….“, „Uniti ed esultanti“, „Trionfal di nuove speme…“, die den beiden ein letztes vokales Schwelgen ermöglichte. Der Moment des Schauderns, mit dem der 1. Akt begonnen hatte, wiederholte sich beim letalen Ende.

Das unwürdige Nachspiel hätte ruhig unterbleiben dürfen. Vor allem Grigolo missbrauchte die den Sängern konzedierten Soloverbeugungen zu einem geradezu lächerlichen Spektakel. An die 30 Mal streckte er die Arme empor, hüpfte dabei kindisch umher, zuerst allein, dann an der Seite von Sopran und Bariton, dann traten sie gemeinsam von einer Seite der Vorderbühne auf die andere und wieder zurück, umarmten einander wechselseitig, der Tenor hüpfte und streckte sich wieder – sie verließen ganz einfach die Bühne nicht, während ein Großteil des Publikums sich für diese „Zugabe“ mit Geschrei bedankte. Der normal gebliebene Dirigent kam nur wenige Male mit vor den Vorhang – die Show muss ihm wohl peinlich gewesen sein.

Evelino Pidò hatte, nicht von allen Besuchern wahrgenommen, weit Besseres zu tun. Schon nach dem 1. und 2. Akt verließ er nur schrittweise den Orchesterraum, indem er sich bei vielen einzelnen Musikern durch Händeschütteln, Zulachen oder Winken bedankte. Desgleichen am Ende der Vorstellung. Und bei seinem ersten Solovorhang trat er sofort an die Rampe und verwies auf seine großartigen Helfer und Kollegen im Graben. Ich denke, dass ein solcher Diener am Werk, auch wenn er „nur“ als guter Kapellmeister, nicht als Weltstar gilt, letztlich aus seiner Tätigkeit mehr innere Befriedigung schöpft als diverse Angeber… Sieglinde Pfabigan

PS; Das waren meine Eindrücke aus der Parterreloge 1, wo ich ausnahmsweise mal auf einer Pressekarte, nicht auf dem Merker-üblichen Galerieplatz, saß.

Sieglinde Pfabigan

 

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