WIEN / Staatsoper: TOSCA
640. Aufführung in dieser Inszenierung
12. Mai 2023
Von Manfred A. Schmid
Die sechshundertvierzigste, für den Rezensenten wohl auch schon die – gefühlt – zumindest hundertste Aufführung der Wallmann-Tosca hat wieder einmal ihre Qualitäten als ideale Zurverfügungstellerin von mit Leben zu erfüllenden Schauplätzen vorgeführt. Diesmal drehen sich etwa im ersten Akt nicht nur die Ministranten im Reigen um den von Wolfgang Bankl wie immer sehr präsenten und unverwechselbar profiliert dargestellten Mesner, sondern auch eine große Schar von Statisten, so dass die tadelnde Verwunderung Scarpias angesichts des ausgelassenen Treibens In der Kirche Sant‘ Andrea della Valle an diesem Abend wohl noch eindrücklicher ausfällt als gewohnt. Gewiefte Sänger/Darsteller wie Piotr Beczala und Bryn Terfel lassen zudem aus ihren vielfältigen szenischen Erfahrungen einige darstellerischen Eigenheiten in ihre Auftritte einfließen, so dass es immer wieder doch etwas Neues zu entdecken gibt. Der trotzdem stets unterschwellig aufkeimende Wunsch nach einer neuen Tosca-Inszenierung wird dadurch doch wieder etwas gezügelt. Spätestens dann, wenn man sich an die trostlose Eis- und Schneewüste in Kusejs Tosca im Theater an der Wien erinnert.
Gespannt ist man diesmal vor allen auf das Rollendebüt der italienischen Sängerin Maria Agresta, deren Karriere schon auf beachtliche internationale Erfolge, u.a. in Bellinis Norma und Verdis I Putitani verweisen kann, in Wien aber noch wenig bekannt ist. Als Flora Tosca punktet sie mit ihrem vollen, jugendlich-frisch klingenden lyrischen Sopran und mit feinen Legato-Bögen. Die beiden Duette mit Cavaradossi im ersten Akt, der von ihren leidenschaftlichen Eifersuchtsausbrüchen geprägt ist, und im dritten Akt, in dem sie ihm von ihrer spontanen Tat erzählt, die man der verwöhnten Diva Floria nicht zugetraut hätte, gelingen gut. Die Spitzentöne in „Scarpia davanti a Dio“ strahlen hell und zeugen von einem gewachsenen Selbstbewusstsein einer Frau, die über sich hinausgewachsen ist. Auch in den Auseinandersetzungen mit Scarpia im zweiten Akt kann sich Agresta recht gut durchsetzen und ihre Kampfbereitschaft aufblitzen lassen, was auch an der aufmerksam hellhörigen musikalischen Leitung von Giampaolo Bisanti, der auch bei den emotionalsten Stellen das Staatsopernorchester zwar bis an die Grenzen aufrauschen lässt, aber stets darauf bedacht ist, die Stimmen auf der Bühne nicht zuzudecken. Der Höhepunkt des Scarpia-Akts, die Arie „Vissi d’arte“, in der sie ihr Leben im Dienst der Kunst schildert, fängt vielversprechend an. Agrestas gute Mittellage und ihre darstellerischen Fähigkeiten sind eine solide Ausgangsbasis, auch das hohe B in „Perché signor“ klingt überzeugend. Gegen Ende hin aber wirkt die gesangliche Gestaltung etwas zerfahren und überhastet. Kann sein, dass ihr Schritt in dieses Repertoire, den sie – als Tosca – vor drei Jahren getan hat, doch etwas zu früh für ihre lyrischen Sopran war. Die erforderliche stimmliche Durchschlagskraft, Gewicht und Volumen, lassen da jedenfalls noch zu wünschen übrig. Da ergeht es ihr ähnlich wie ihrem männlichen Kollegen Juan Diego Flórez, dem außerhalb des vertrauten Belcanto-Repertoires der Durchbruch bis jetzt noch nicht so recht gelungen ist.
Mit Agresta auf der Bühne stehen zwei erfahrene Sänger in der vollen Blüte ihrer Leistungsfähigkeit. Piotr Beczala ist ein idealer Mario Cavaradossi, da sind sich Publikum und Kritik, aber auch viele Sängerkollegen einig. Sein triumphales Wiener Rollendebüt im Feber 2019 ist unvergessen, die Gestaltung der Partie hat inzwischen noch zugelegt. Unglaublich, dass dieser Tenor Rossini, Verdi, Puccini und Wagner gleichzeitig und – wichtiger noch – gleichwertig in seinem Repertoire parat hat, sowohl Nemorino wie auch Lohengrin überzeugend darstellen und singen kann. Es ist eine Freude ihm als Mario Cavaradossi zuzusehen und zuzuhören, ob es sich nun um Duette handelt oder um die großen Arien, die er ganz natürlich und authentisch im Rahmen der jeweiligen Handlung einbettet, was ihn z. B. von seinem ebenfalls erfolgreichen Kollegen Grigolo unterscheidet, der sich in diesen Situationen gewissermaßen aus der Handlung verabschiedet, um sich ganz dem Publikum zuzuwenden und mit ihm zu schäkern beginnt. Dass Beczala auch diesmal das von ihm berückend traumverloren gesungene „E lucevan le stelle“ wiederholen muss, ist schon fast eine Selbstverständlichkeit, wird von ihm aber mit Demut und voll innerer Dankbarkeit gemacht und wirkt so umso wahrhaftiger.
Bryn Terfel ist einer der prägnantesten Sänger/Darsteller der Opernwelt. Mit seiner enormen Bühnenpräsenz und seinem stattlichen, ausdrucksstarken Bariton beherrscht er bei seinem ersten Auftritt im ersten Akt sofort die Szene. Sein wuchtiges „Te Deum“ klingt nicht wie ein Gebet, sondern ist die bedrohliche, verstörende Androhung von Gewalt und Terror, ausgehend von einer übermächtigen Instanz, die er dann im zweiten Akt auch einlösen wird, wenn er Floria Tosca zunächst umgarnt und dann immer mehr auch psychisch unter Druck setzt und physisch bedrängt. Die furchteinflößende Verkörperung des Bösen ist bei Terfel aber nicht eindimensional, sondern sein Scarpia verfügt über ein großes Arsenal von Mitteln zur Einschüchterung der Umwelt. Sein Gespräch mit dem verhafteten Mario Cavaradossi, den er dazu bewegen will, den Aufenthalt des entflohenen Cesare Angelotti preiszugeben, beginnt er mit leisen, gerade dadurch erst so richtig gefährlich wirkenden Tönen. Erst allmählich werden sie immer lauter. Sotto-Voce in Reinkultur. Gäbe es an diesem Abend nicht den alles überstrahlenden Cavaradossi von Beczala, Bryn Terfels Scarpia wäre so dominierend, dass man die Oper ohne Weiteres auch in Scarpia umbenennen könnte.
Auch die weiteren Rollen sind stark besetzt. Clemens Unterreiners Angelotti ist ein gehetzter, unter Lebensgefahr ausgebrochener Gefangener, der sich mit bebender Stimme gegenüber Cavaradossi outet. Ebenso gediegen ist Wolfgang Bankls Gestaltung des Mesners, der seine reaktionäre Gesinnung nicht verleugnet und sich Scarpia skrupellos als Auskunftsperson andient. Robert Bartneck als Spoletta und Marcus Pelz als Sciarrone sind fiesen Schergen, die ihrem Herrn treu ergeben dienen, auch wenn er sie in seinem Zorn demütigt und misshandelt, wenn er etwa Spoletta, als er ohne Angelotti zurückkehrt, mit einem Tritt bestraft. Erwähnung verdienen Chiara Bammer als Hirte und Stephano Park aus dem Operstudio als Schließer.
Giampaolo Bisantis Leistung am Pult des Orchesters wurde bereits gewürdigt. Die Lautstärke des gerade noch Zuträglichen wird nie überschritten, die Tempi sind gut gewählt. Eindrucksvoll der Cellosolist in „E lucevan le stelle“.
Viel und begeisterter Applaus für einen gelungene Opernabend, der den Repertoirealltag qualitätsmäßig deutlich übersteigt.