Schlussvorhang Ensemble. Foto: Klaus Billand
WIEN / Staatsoper: TOSCA am 14. Januar 2019
„Dem Vogel, der heut sang, dem war der Schnabel hold gewachsen;…“ könnte man frei nach Hans Sachs in Wagners „Meistersingern von Nürnberg“ zur Leistung von Vittorio Grigolo gestern Abend als Cavaradossi sagen, der damit sein Rollendebut im Haus am Ring gab. In der Auftrittsarie noch etwas verhalten, steigerte er sich im Laufe des Abends in einen wahren Spielrausch und lieferte auch gesanglich ein Gusto-Stück an Verismo ab, das ich in dieser Intensität in der nun schon zum 604. Mal (!) aufgeführten Wallmann-Produktion lange, oder eigentlichnoch gar nicht erlebt habe. Grigolo gab darstellerisch und mit einem festen und leuchtenden tenoralen Aplomb alles, was er hatte. Und das war viel, wenngleich seine Stimmkultur noch etwas Luft nach oben lässt. Aber alles, was er sang, war mit dem Herzen gesungen, unglaublich authentisch und mitreißend, bei dazu bester Mimik, ganz anders als der so verhaltene Cavaradossi von Jonas Kaufmann. Das war es, Grigolos Emotionalität bei großer Musikalität, was bei diesem Vortrag zählte. Und tenoralen Schmelz hat er. Tolle „Vittoria“-Rufe und „E lucevan le stelle“ brachten das Publikum schließlich zu Recht aus dem Häuschen. Aus diesem war auch er völlig heraus beim Schlussapplaus, als er vor dem Vorhang die tollsten Gebärden und Begeisterungsrufe machte. Die immer wieder schnell hochgerissenen Arme erinnerten an Luciano Pavarotti, wenngleich das Taschentuch fehlte. Aber er küsste auch fast den Boden – ein Sänger, der überglücklich über seinerfolgreiches Rollendebut als Cavaradossi war, und das zu erleben war gestern etwas ganz Besonderes.
Kristine Opolais. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Vittorio Grigolo hatte in Kristine Opolais eine ebenbürtige Partnerin, die auch eine darstellerische Intensität an den Tag legte, die die Toscas in Wien nicht immer zeigen, mit vielen Details, die normalerweise nicht zu sehen sind. Man freut sich ja auch, wenn in dieser uralten Inszenierung mal etwas anders gemacht wird als man gewohnt ist. So z.B. wenn ihr das Kreuz beim Musikpusch aus der Hand fällt und halb neben Scarpia landet, oder die Art, wie sie ihn ins Jenseits befördert, zu allem ohnehin schon beängstigend realitätsnah noch mit einem wütenden Stich in den Rücken. Oder ihr ganzes Verhalten in der Auseinandersetzung mit Scarpia, ja selbst die Art ihres Kopfschüttelns bei dessen „E bene?“, all das auch Verismo vom Feinsten. Ihr Sopran is für die Tosca genau richtig. Etwas abgedunkelt, füllig und ausdrucksstark. Marco Vratongna war als Baron Scarpia mit einem edlen und im 2. Akt gut attackierenden Bariton ebenfalls stimmlich und auch schauspielerisch auf Augenhöhe, sodass mit den Dreien eine spannende und mitnehmende „Tosca“ gelang, bei der man bisweilen hätte meinen können, sie sei szenisch überarbeitet worden…
Vittorio Grigolo. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
In den Nebenrollen konnten ebenfalls beeindrucken Clemens Unterreiner als klangvoller und verzweifelter Cesare Angelotti, Wolfgang Bankl als düster grollender Mesner, Leonardo Navarro mit dem Rolledebut als Spoletta, mehr um Gesangslinie bemüht als manche seiner Vorgänger in dieser Rolle, Ayk Martirossian als Schließer und Maryam Tahon als Hirte zu Beginn des 3. Akts, ein Kind aus der Opernschule.
Evelino Pidò fachte mit dem Orchester und Chor der Wiener Staatsoper das dramatische Geschehen auf der Bühne musikalisch weiter an und konnte seine Erfahrung mit Puccini und dem Verismo durch starke emotionale Akzentsetzungen und gute Sängerführung einmal mehr unter Beweis stellen. So gar nicht ein Repertoire-Abend!
Klaus Billand