WIEN / Staatsoper: THE TEMPEST – Wiederaufnahme
9. Aufführung in dieser Inszenierung
9. Mai 2024
Von Manfred A. Schmid
Die Oper The Tempest von Thomas Adès wurde schon nach der Uraufführung 2004 am Royal Opera House in Covent Garden an mehreren Opernhäusern in Europa und Amerika nachgespielt. International höchste Beachtung erfuhr dieses Werk allerdings erst durch die Inszenierung von Robert Lepage, eine Koproduktion der Opéra de Quebec mit der der Metropolitan Opera New York und der Wiener Staatsoper, die in Wien 2015 ihre vielbeachtete Premiere hatte und nun als Wiederaufnahme erneut zu erleben ist. Am Dirigentenpult sorgt der Komponist für eine stringente musikalische Aufführung, die auch nach 20 Jahren an Zauber nichts eingebüßt hat. Lepage, der seinen Ruf als Magier des Theaters in vielen Festwochenproduktionen bestätigen konnte, lässt auf der Bühne von Jasmin Catudal, eine Reverenz vor der Mailänder Scala, die daran anknüpft, dass Prospero, die zentrale Figur des Geschehens, von seinem Bruder aus Mailand vertrieben worden war, ein buntes Spektakel ablaufen. Das beginnt mit dem musikalisch wie auch inszenatorisch grandiosen Sturm, den der Zauberer Prospero entfacht, um das Schiff, mit seinen Gegnern an Bord, von den Wellen verschlingen zu lassen und die Menschen an Land und in seine Macht zu spülen, und endet mit der Räumung der Insel durch die fremden Besatzer. Zurückbleibt der in die Freiheit entlassene Caliban, Sohn der von den Invasoren entthronten autochthonen Königin, und Prosperos wundersam dienstbarer Geist Ariel, der ungreifbar in die Höhe entschwindet. Dorthin, wo er mit seinen überirdischen, stratosphärischen Tönen wohl auch hingehört.
Geboten werden rund zwei Stunden abwechslungsreiche Musik, die immer in Bewegung ist, die tonale Struktur kaum sprengt und so etwas wie Langeweile gar nicht erst aufkommen lässt. Die musikalisch an den Beginn von Verdis Otello erinnernde Musik der Sturmszene ist mit dramatisch gesetzten Dissonanzen angereichert, ohne aber die Zuhörerschaft je zu überfordern. Im weiteren Verlauf wird die Musik vielmehr immer harmonischer und bekömmlicher und bietet sich als eine hervorragende Einführung in die Welt der zeitgenössischen Oper an, spannungsreich und immer wieder auch lyrisch entspannt. Hier wird niemand abgeschreckt. Kein Wunder, dass nach der langen Pause kaum jemand das volle Haus verlassen hat. Lepages visuelle Gestaltung mit wundersamen Bildern, gepaart mit der oft fast schon allzu harmlos klingenden Partitur, mit Anleihen bei Wagner, Benjamin Britten, Leos Janacek, aber auch bei der höfischen Barockmusik, ist The Tempest ein Muss für abenteuerlustige Opernbesucher mit Interesse an zeitgenössischer Musik. Eine Einstiegsdroge mit nachhaltiger Wirkung
Die schönsten Klänge hat Thomas Adès dem Liebespaares Ferdinand und Miranda zugeteilt. Kate Lindsey ist Miranda, die Tochter Prosperos, die sich ausgerechnet in Ferdinand verliebt, den verschollen geglaubten Sohn des Königs von Neapel und Prosperos Feind. Lindsey singt mit jugendlicher Anmut und großem Einfühlungsvermögen die Rolle der mit den Racheplänen ihres Vaters gar nicht einverstandenen jungen Frau. Die Duette mit Ferdinand, ihrem Geliebten (Ensemblemitglied Hiroshi Amako) sind Inseln der Ruhe im politisch aufgeheizten Treiben. Wie beide, Hand in Hand, eine Allee entlang dem strahlend hellen Meer entgegenschreiten, gehört zu den stärksten Bildern des Opernabends.
Fredéric Antoun zeichnet als Caliban die Figur eines von kolonialistischen Eroberern gedemütigten „Wilden“, der sein Schicksal nicht hinnehmen will. Auch wenn er zu einem unterirdischen Dasein fernab der Welt der herrschenden Eroberer fristen muss, ist er nicht ohne Stolz und gibt nicht auf.
Toby Spence, 2006 in Santa Fe noch als Ferdinand besetzt, ist inzwischen zu dessen Vater, dem König von Neapel, avanciert, der angesichts einer Falschmeldung vom Verlust seines Sohnes und Nachfolgers verzweifelt und von Reue erfasst wird.
Neben dem bereits erwähnten Amako sind in dieser Wiederaufnahme noch eine Reihe weiterer Ensemblemitglieder eingesetzt. Allen voran Adrian Eröd als tätowierter, von Rachegelüsten und Ängsten heimgesuchter Prospero. Gezeichnet von Melancholie ist er allgegenwärtig, beobachtet das Geschehen und wirkt doch so, als ob es diesem Prospero an der nötigten Energie und Entschlossenheit mangeln würde, um seine Vergeltungspläne tatsächlich umzusetzen. Wie Wotan zieht er umher, den Zauberstab der Macht in der Hand, und doch irgendwie verloren. Eine starke, faszinierende Leistung des noblen Baritons, der schon bei der Premiere vor knapp 10 Jahren in dieser Rolle dabei war, diesmal aber im tiefen Register stimmlich an seine Grenzen und gegen Schluss auch kurz in Schwierigkeiten kommt, die er aber umgehend überwinden kann.
Bemerkenswerte Rollendebüts absolvieren Daniel Jenz als intriganter Antonio und Michael Arivony als dessen Helfershelfer Sebastian. Ebenfalls wie Eröd schon 2015 dabei war Dan Paul Dumitrescu, der diesmal mit dem Hausdebütanten James Laing das komische Gespann der betrunkenen Rüpel Stefano und Trinculo genussvoll darbietet und für Auflockerung im intriganten. Politgeschehen sorgt.
Die bei weitem anspruchsvollste Rolle hat die norwegische Koloratursopranistin Caroline Wettergreen zu bewältigen. Als Ariel sing sie himmlisch schön, dann wieder kreischend in höchsten Tönen, die sich anders auch gar nicht realisieren ließen. Ihre Stimme zeigt sich bei ihrem Hausdebüt höchst geschmeidig und hell, die Sängerin ist aber auch körperlich gefordert, wenn sie als Geist über die Bühne schwebt. Eine der atemberaubenden Illusionen, mit denen Lepage die merkwürdige und unheimliche Inselwelt heraufbeschwört.
Der außergewöhnliche Opernabend wird ausgiebig gefeiert, vor allem Eröd, Wettergreen und natürlich Thomas Adès, in seiner Doppelfunktion als Komponist und Dirigent.