Denys Cherevychko, Nikisha Fogo. Copyright: Wiener Staatsballett/ Ashley Taylor
Ballettpremiere in der Wiener Staatsoper, 10.11.2018:
„Sylvia“ – ein Hoch auf die schnittigen Amazonen!
Ein Hoch auf unsere Amazonen! Attraktiv, sehr attraktiv sind sie, diese zwölf gertenschlanken Amazonen – richtiger gesagt: Jägerinnen – welche mit in die Höhe gereckten Armen und den Bögen in der Hand (doch mit bloß angedeuteten Pfeilen) sich immer wieder in eleganten Posen präsentieren müssen, dazwischen aber auch zu erotisch verführerischen Reigen zusammenfinden. Und an ihrer Spitze brilliert ein der Göttin der Jagd, Diana, dienendes edles Ballettgeschöpf. Als Wächterin der Reinheit. Das ist die Nymphe Sylvia – und sie gibt diesem ansprechenden Ballettabend auch den Titel.
So behende alle tanzenden mythologischen Figuren über die Bühne schwirren können – nicht nur die schnittigen Amazonen, auch die keck hüpfenden oder lauernd herumlungernden Satyren und Bacchanten, die Najaden, Dryaden, Vestalinnen, eine biedere Bauernschar …. sie alle gleiten höchst artistisch trotzdem auf etwas verwachsenen Pfaden dahin. Manuel Legris, der als rigoroser Hüter klassisch-akademischer Disziplin erfolgreiche Leiter des Wiener Staatsballetts, hat als nachschöpferischer Choreograph bei seiner bemühten Aufbereitung des spätromantischen Ballettklassikers „Sylvia ou la Nymphe de Diane“ ganz den Blick zurück gewandt. Als gestandener Pariser in Richtung Paris, ins Théatre de l´Opera. In das Jahr 1876. „Sylvia“ wurde damals – so überliefert – in der nicht besonders geglückten Choreographie der Tänzergröße Louis Mérante uraufgeführt. Und auch das vertrackte Libretto von Jules Barbier, dem Textdichter für Charles Gounod, erweist sich heute alles andere als ein Geniestreich. Dafür aber, besonders reizvoll, hat Léo Delibes (1836 – 1896, die Oper „Lakmé“ oder das Erfolgsballett „Coppélia) eine bezaubernde und melodisch fließende Musik mit mehreren ins Gemüt gehenden Melodien, teils aber auch mit bombastischem symphonischen Zuschnitt, abgeliefert.
Somit kann jetzt zu diesen einschmeichelnden Klängen auf angenehme Art eine gefällige Ballettmelange mitgelebt werden. Mit ‚Cortège rustique‘ und ‚Marche et cortège de Bacchus‘, mit ‚Faunes et dryades‘, mit beschwingten Walzerklängen oder einer süffigen Barcarolle. Das Opernorchester spielt unter Kevin Rhodes schwungvoll auf, lässt bisweilen mit dickem Auftragen manche Details nicht gar zu duftig atmen. Für die Ausstattung ist Luisa Spinatelli für Legris eine vertraute Partnerin gewesen. Die überwiegend düster gehaltene Szenerie der drei Akte – Nacht und Morgengrauen in einem attischen Hain, in der Höhle des finsteren Orion oder die finale Pathetik beim Tempel der Diana – wie auch die Kostüme wirken altväterisch, lassen in den romantischen Pastoralen keine Naturstimmungen aufkommen, bieten kaum verzaubernde Illusionen. Spinatellis Handschrift sei als Geschmackssache anzusehen.
Die Stärke dieser Einstudierung liegt in den Qualitäten der artistischen Leistungen. Das heran gezüchtete Paket erstklassiger Tänzer, alle Solisten wie das exzellente Corps de Ballet, überzeugten das Publikum voll am Premierenabend. Manuel Legris ist ein Nachgestalter, der auf virtuose Raffinessen und Perfektion setzt, weniger mit originären choreographischen Einfällen in dieser Ballettdemonstration zu punkten vermag. Das tänzerische Vokabular wird gänzlich ausgereizt, Spannungsmomente sind im dramaturgischen Ablauf mit seiner tradierten Pathetik jedoch kaum gegeben.
Drei Besetzungen der Solorollen sind in der ersten Aufführungsserie bis Anfang Dezember vorgesehen, an je zwei Abend dürfen sie ihre Bravour beweisen. Die junge Nikisha Fogo – dynamisch und erfrischend quirlig, noch keine Edelklassikerin – konnte sich erstmals in einer großen Titelrolle präsentieren. Und schon wurde sie im Schlussapplaus auf offener Bühne zur nächsten Ersten Solotänzerin des Wiener Staatsballetts ernannt. Nummer acht bereits in dieser Riege – und sie alle wollen öfters auf der Bühne stehen als es ihnen ermöglicht wird.
Denys Cherevycko ist der knabenhafte Hirte Aminta, der in Liebe zu der zu Keuschheit verpflichteten Sylvia verfällt. Ketevan Papava muss die herrische Göttin Diana mimen, welche solch Frevel zu bestrafen gewillt ist. Orion, der Schwarze Jäger – der besonders brillante Davide Dato – funkt dazwischen, raubt Sylvia und entführt sie in seine Räuberhöhle. Doch, keine Überraschung, Gott Eros – Mihail Sosnovschi, selbst verführerisch in seiner (beinahen) Nacktheit – ist es, der schließlich die Liebenden zur Apotheose führt. Und weiters Natascha Mair als Najade, Dumitru Taran als Faun, das sich immer wieder in stimmigen Diagonalen präsentierende Ensemble – sie alle haben am Premierenabend ihren verdienten großen Beifall erhalten.
Meinhard Rüdenauer