Wiener Staatsoper 21.052021: „A SUITE OF DANCES“. – grandiose Wiederaufnahme.
Es wird wieder live vor Publikum getanzt! Man glaubt es kaum, kann es kaum fassen – man sitzt nach einem halben Jahr pandemiebedingter Theaterschließung endlich wieder und tatsächlich im Zuschauerraum der Wiener Staatsoper und erlebt eine Vorstellung mit Orchester und Ballett. Alles real und nicht als Stream am Bildschirm. Mit dem Ende des Lockdowns, der auch zur Öffnung der Kulturinstitutionen führte, kehrt auch das Wiener Staatsballett mit einer Wiederaufnahme und einer österreichischen Erstaufführung auf die Bühne zurück. Der ursprüngliche Spielplan wurde leicht adaptiert – statt mit einer letzten Vorstellung von „Schwanensee“ am 19.5. zu starten, wurde die für 23.5. vorgesehene Wiederaufnahme um zwei Tage vorgezogen. Die lange Durststrecke ohne live-Vorstellungen ist damit zu Ende und wie dankbar und glücklich darüber sowohl das Publikum als auch die Balletttruppe war, spürte man den gesamten Abend hindurch. Von dieser freudvollen Atmosphäre getragen, war man beglückt vom Gesehenen. Die Kombination aus drei Werken von Jerome Robbins und einem Piece von George Balanchine zeigte einerseits die Vielseitigkeit von ersterem und die kunstvolle Fokussierung auf Tanz pur bei letzterem Choreografen.
A Suite of Dances: Davide Dato. Foto: Wiener Staatsballett / Ashley Taylor
Als absolutes Highlight dieses an sich schon besonderen Ballettabends ragte die Wiener Erstaufführung von „A Suite of Dances“ von Jerome Robbins heraus – namengebend für diese Programmkonstellation, einstudiert von Jean-Pierre Frohlich. Musik (von Johann Sebastian Bach) und Tanz im intimen Dialog – Cellistin Ditta Rohmann und der Erste Solotänzer Davide Dato gestalten ihren „Pas de deux“ im intensiven und doch auch witzigen miteinander Korrespondieren: den Celloklang aufsaugend und durch seinen Körper als Bewegungsinstrument hervorperlen lassend, war Davide Datos tänzerische Ausformung von unglaublicher Intensität, philosophierender Nachdenklichkeit und aufregender Schönheit. Robbins hatte dieses Stück 1994 für Mikhail Baryshnikov kreiert – und Davide Dato ist mit souveräner Präsenz im Hier und Jetzt als ebenso außergewöhnlicher Tänzer ein großartig-fulminanter Partner für die ungarische Musikerin.
Glass Pieces: Nina Poláková, Roman Lazik, Ensemble. Foto: Wiener Staatsballett / Ashley Taylor
Jerome Robbins, der auch für seine Musical-Choreografien wie z.B. für „West Side Story“ berühmt ist, kreierte „Glass Pieces“ 1983. Mit diesem Werk den Abend einleitend (Einstudierung: Jean-Pierre Frohlich), wird darin die Hektik der Großstadt und die Ent-Individualisierung der Menschen in Bewegung umsetzt – von Gehen über Laufen bis zu im Tanz verschmelzenden Elementen aus klassischem und modernem Ballett, unterstrichen von den repetitiven Kompositionen von Philipp Glass (Ausschnitte aus „Glassworks“ und der Oper „Akhnaten). So ist auch der Titel im doppelten Sinn zu sehen – einerseits als Reverenz an den Komponisten, andererseits auch an die Zerbrechlichkeit des Materials wie auch der Menschen erinnernd. Besonders wurde das sichtbar im berührenden wie innigen Pas de deux von Nina Poláková und Roman Lazik. Hier innehaltend und aufeinander fokussierend, waren diese Momente der stillen Zweisamkeit ein ruhiger Gegenpol während sonst im pulsierenden Treiben des Corps de ballets durch die drei Solo-Paare Ioanna Avraam – Calogero Failla, Alice Firenze – Arne Vandervelde und Fiona McGee – Lourenço Ferreira tänzerische Akzente gesetzt wurden. Manche Formationen in der Gruppe gelangen noch nicht ganz exakt, was wohl auch durch die Nervosität des ersten Auftritts nach Monaten bedingt ist.
Den heiteren Abschluss bildete „The Concert“, einstudiert von Ben Huys. 1956 entstanden, bringt Jerome Robbins hier eine genaue Beobachtung von Menschen in Alltagssituationen wie beim Konzertbesuch oder in Beziehungssituationen auf die Bühne, ebenso amüsant dargestellt wie die tänzerischen Pannen, rund um einen Pianisten, der Kompositionen von Frédéric Chopin spielt. Gefordert ist dabei die feine Grenze zwischen outrierendem und komödiantischem Spiel nicht zu übersehen. Erfrischend Elena Bottaro als Ballerina, die jedoch noch ein wenig in die hier geforderte Rolle der überspannten Primadonna hineinwachsen muss. Bereits bewährt in diesen Partien gefielen Ketavan Papava als genervte Ehefrau mit Eno Peci als mordlüsterndem Gatten. Igor Zapravdin als Pianist bewahrt Nerven im bunten Treiben rund um ihn – bis der dann auf Schmetterlingsjagd geht um dem tänzerischen Wirrwarr ein Ende zu bereiten.
Von George Balanchine, dem Meister der Neoklassik wurde „Duo Concertant“ (1972) beigesteuert, ebenfalls einstudiert von Ben Huys. Die gleichnamige Komposition von Igor Strawinski (Duo Concertant für Violine und Klavier) wurde von Cécile Restier am Flügel und Fedor Rudin (Violine) einfühlsam interpretiert. Zunächst zuhörend, dann sich von der Musik mitreißen lassend, verkörpern Liudmila Konovalova und Masayu Kimoto Sehnsucht und Verlangen mit ihrem Tanz.
Das Orchester unter der umsichtigen Leitung von Benjamin Pope, der damit sein Wiener Debut als Ballettdirigent gab, begleitete als sorgsamer Partner das Ballett durch den Abend.
Die Begeisterung über diesen grandiosen Ballettabend ließ den Applaus im entsprechend der gesetzlichen Vorgabe nur halbvollen Haus intensiv und langanhaltend sein – niemand sprang wie früher so rasch wie möglich von den Sitzen um hinaus zu eilen. Im Gegenteil, es schien, also wollte man gern noch länger bleiben, um mit Johann Wolfgang von Goethes bekanntem Zitat zu sprechen: „Werd ich zum Augenblicke sagen: verweile doch! Du bist so schön!“ Um damit die Seele nicht wie Faust dem Mephisto zu verkaufen, sondern aus vollem Herzen dem Wiener Staatsballett zu verschreiben in der Hoffnung auf möglichst viele weitere erhebende Ballettaufführungen. Ira Werbowsky