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WIEN / Staatsoper: Solistinnenkonzert ANNA NETREBKO

Lieder von´Rimski-Korsakow, Rachmaninow Tschaikowski: Einblicke in russische Seele

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Pavol Nebolsin (Klavier) und Anna Netrebko, Alle Fotos; Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: Solistinnenkonzert ANNA NETREBKO und PAVOL NEBOLSIN, Klavier

19. Oktober 2023

Von Manfred A. Schmid

Während draußen am Karajan-Platz  ein Grüppchen von blau-gelb gekleideten Demonstranten mit Plakaten ein Anliegen vertritt, das man verstehen kann, aber nicht unbedingt teilen muss, gestaltet in der Staatsoper Anna Netrebko einen Abend mit russischen Kunst-Liedern, die tiefe Einblicke in russische Seelenlandschaften gewähren. Am Flügel begleitet wird sie von Pavel Sebolsin, der seit 2017 eng mit dem Künstlerpaar Anna Netrebko und Yusif Eyvazov zusammenarbeitet und in der biographischen Ankündigung im Programmheft als deren Musikcoach und Begleiter ausgewiesen ist.

Der erste Teil des Konzerts ist ausgewählten Liedern von Nikolaj Rimski-Korsakow gewidmet, die laut Netrebko „für leichten Sopran oder Koloratursopran geschrieben sind“ und sich durch „schönen, glockenartigen Klang“ auszeichnen. Von einem leichten Sopran und hellem Glockenklang kann bei der Diva freilich keine Rede mehr sein, mischt sich doch schon längst der dunkle, satte Ton der Pummerin (bzw. eines Äquivalents eines Doms in Moskau oder St. Petersburg) in ihre Stimme hinein, die aber weiterhin von betörendem Reiz ist, das Publikum fesselt und begeistert. Die gerühmte Leichtigkeit ist noch in aller Fülle da, vor allem in den wunderbar bewältigten Register-Wechseln. Was sie aber besonders auszeichnet und ihre Einzigartigkeit begründet, ist die ausdrucksstarke, empathische, die feinsten Nuancen auslotende Gestaltung der Lieder. Netrebko steht dabei nicht einfach da, sondern nützt die Bühne wie eine Verlängerung ihres Wohnzimmers. Sie ist immer wieder in Bewegung, entfernt sich vom Klavier, schreitet – begleitet von sparsamen Gesten ihrer Hände und Wendungen des Kopfes – durch den Raum, um sich dann wieder anzunähern und kurz zu verweilen. In Tschaikowskis „Serenade“ wird Netrebko auch ein paar leichtfüßige Tanzschritte wagen. Das alles wirkt aber niemals rastlos, sondern natürlich und angemessen: Das Leben wie auch die Gefühle, die in den Liedern beschworen werden, sind stets in Bewegung. Kontrastierende Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse wechseln einander ab. Da gibt es keinen Stillstand, nur kurzes Innehalten. Auf Schwermütiges wie in „Elegie“ folgt Rimski-Korsakows jubelndes „Lied der Lerche“, und die vielfältige emotionale Bedeutung der Rose wird gleich in drei Lieder beschworen: „Komm in das Reich der Rose“ erzählt von einer brennend heißen sehnsuchtsvollen Liebe, in „Die Geliebte der Rose“ ist es die Nachtigall, deren Gesang „die ganze Nacht dein trauriges Gemüt verzaubern“ wird. In „Die Nachtigall und die Rose“ wird der traurige Gesang der Nachtigall zum Lied, das der Sänger  „für seine junge Maid“ zur Leier singt, in Verbindung gesetzt. Glanzvoll und frohgemut erklingt die „Hvmne an die Sonne“ aus der Oper Der goldene Hahn. Ungemein berührend und zart gelingt das Finale aus Schneeflöckchen, mit der bekenntnishaften Botschaft „Ich sterbe und zerfließe in Liebe und Glück!“

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Anna Netrebko

Nach der Pause geht es mit vier impressionistischen Liedern von Sergej Rachmaninow weiter, die – mit Ausnahme von „Ein Traum“, in dem ein verlorenes Heimatland betrauert wird -, unbeschwerte, heitere Töne anschlagen. Es sind „Lieder der Liebe“, wie es in der Schlusszeile von „An meinem Fenster“ heißt, lebensbejahend und von Glück durchweht. In „Es ist schön hier“ erstrahlt die Welt in leuchtenden Farben, „wie ein bunter Teppich“, nichts Dunkles, Trübsinniges verdeckt „das Weiß der Wolken.“ Die erlösende Quintessenz, wenn auch nur für einen Moment, lautet: „Hier ist alles gut…“. Und die baldige Mittfünzigerin wirkt mit einem Mal um Jahre jünger: Der Zauber der Musik, Gesang als Jungbrunnen.

Der Höhepunkt des Abends sind die sieben Lieder von Piotr I. Tschaikowki, bei deren Realsierung sich die technische Meisterschaft der Sängerin mit ihrer betörenden sinnlichen Darstellungskraft ideal paart. Er beginnt mit dem Lied „Vorfrühling“, als das Gras „gerade erst zu wachsen begonnen“ hat und eine Liebe zart und hoffnungsfroh zu erblühen beginnt. Eine Vorfreude, die gleich wieder in ihre Schranken gewiesen wird, wenn im darauffolgenden Lied „So schnell zu vergessen“ schon wieder das verflossene Glück zu beklagen ist und in „Rasende Nächte“ von toten „Herbstblumen, die zu spät blühen“ die Rede ist. Da passt auch das dunkel beschattete Timbre von Anna Netrebko wunderbar dazu. Die oben bereits erwähnte „Serenade“ schlägt wieder hoffungsvollere Töne an, und ein weicher, lang gehaltener Ton signalisiert höchstes Verzücktheit, die der Pianist im Nachspiel triumphal weiterführt. Dann geht es, anknüpfend an das Eingangslied, in „War ich nicht ein Grashalm auf dem Feld?“ wieder um die Vergänglichkeit. Davon handelt auch das Lied „Die Sonne ist untergegangen“, allerdings in einer versöhnlicheren Art und Weise. Tröstlich auch der Ausklang mit „Ob der Tag regiert“: „Eines weiß ich: dass selbst bis zum Grab meine Gedanken und Gefühle, Lieder und Kraft, alles dir ergeben ist.“

Das Publikum ist hingerissen und feiert Anna Netrebko und ihren Pavol Nebosin, ihren Partner am Klavier, überschwänglich.

 

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