Gerold Huber, Günther Groissböck. Foto: Michael Pöhn/Wiener Staatsoper
WIEN/Staatsoper: SOLISTENKONZERT von Günther Groissböck
Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus
19.9.2018
Von Manfred A. Schmid
Nach seinem umjubelten Konzert in Frankfurt – der Online-Merker berichtete darüber – gastierte Günther Groissböck nun in seiner Heimatstadt mit demselben fein abgestimmten Liederabend-Programm, das einen imponierenden Bogen von der Romantik Robert Schumanns bis zum spätromantischen Impressionismus eines Rachmaninow spannt und damit auch Werke einschließt, denen man in den Konzertsälen nicht gerade häufig begegnet. Gleich beim Begrüßungsapplaus war klar: Da betritt ein neuer Publikumsliebling die Bühne, auch wenn der inzwischen weltweit geschätzte Bassist nach seinen Anfangsjahren im Haus am Ring in letzter Zeit hier gar nicht mehr so oft zu erleben war. Immerhin: Zum Saisonschluss kam er im Juni als König Heinrich im Lohengrin zum Einsatz, was auch entsprechend gewürdigt wurde.
Liederabende, so hört man, diese wohl intimste Form der Kommunikation eines Sängers bzw. Sängerin mit dem Publikum, seien in eine Krise geraten. Ihr Anteil in den Jahresplanungen der großen internationalen Konzertveranstalter nehme ab, besonders die jüngeren Generationen zeigten weniger Interesse. Daran mag etwas Wahres sein, aber Breitenwirkung hatte dieses Genre auch in den Hoch-Zeiten eines Fischer-Dieskau oder einer Dame Janet Baker nicht. Denn nicht zuletzt verlangt der Liedgesang von den Ausübenden Voraussetzungen, denen man im Opernalltag nicht so sehr ausgesetzt ist. Der Liedgesang fordert nämlich ein immenses Maß an Bildung, profunde Kenntnis der Literatur und der Poesie. Dass emotionale Auslotung der Tiefenstruktur eines Liedes natürlich auch dazu gehört und nicht nur intellektuelle Auseinandersetzung, versteht sich von selbst. Mehr noch: Aufgrund der größeren Distanz zwischen Publikum und Geschehen auf der Bühne bei einer Opernaufführung wirkt diese emotionale Intensität naturgemäß oft etwas plakativ, während beim Liedgesang differenzierter, feiner und ambivalenter vorgegangen werden muss.
Günther Groissböck. Copyright: Michael Pöhn/Wiener Staatsoper
In Günther Groissböcks Interpretation erwiesen sich diese Kriterien erwartungsgemäß jedenfalls als ideal erfüllt. Er begann den Abend mit den fordernden Vier ernsten Gesängen von Johannes Brahms. Darin geht es um christlich geprägte Haltungen wie Hoffnung, Glaube und Liebe sowie um die Vergänglichkeit des Lebens und die – trotz aller Unerbittlichkeit – trostvolle Gewissheit des Todes. Tiefschürfend melancholische und berührend gestaltete Meditationen, denen Groissböck mit seiner samtenen, fein austarierten Bassstimme empfindsamen und zugleich wissenden Ausdruck verlieh. Ein in seiner Wucht erschütterndes und überwältigendes Erlebnis!
Auch Robert Schumanns „Liederkreis op. 39“, nach Gedichten von Joseph Freiherr von Eichendorff, ist nicht frei von trübsinnigen, zweifelnden Ausbrüchen („In der Fremde“). Dazwischen gibt es jedoch immer wieder überaus lyrische Beschwörungen der Natur – als Spiegelbilder der seelischen Verfassung („Mondnacht“), sowie eine Miniaturballade episch-dramatischen Charakters („Auf der Burg“). Anhand dieser schwankenden Stimmungen – himmelhoch-jauchzend, zu Tode betrübt – schildert Groissböck die spannungsreiche Entwicklung einer empfindsamen, die Liebe suchenden und Absturz gefährdeten Seele, die schließlich in einem jubelnden „Sie ist deine! Sie ist dein!“ („Frühlingsnacht“) gipfelt.
Nach der Pause widmete sich der von Gerold Huber achtsam und einfühlsam begleitete Sänger der russischen Seele. Auch diese durfte und konnte – Dank Groissböck und seinem kundigen Partner am Flügel – nun ihre Flügel weit ausspannen. Denn vor allem um die Liebe dreht sich alles in den sechs ausgewählten Liedern von Peter I. Tschaikowski, nach Gedichten vor allem von Alexey Konstantinowitsch Tolstoi, aber – überraschenderweise – auch von Goethe. Man bekam also die Chance, das Lied der Mignon, „Nur wer die Sehnsucht kennt“, einmal nicht in der Vertonung von Schubert oder Beethoven, sondern auf Russisch zu hören: „Net, tolko tot, kto snal swidanja, shashdu.“ Was unkundigen Augen und Ohren beim Lesen zumindest ziemlich sperrig erscheinen mag, wird in der Interpretation Groissböcks zu einem bezwingenden Erlebnis und bestätigt wieder einmal, was man von der Opernbühne her schon längst kennt: Wie vorzüglich sich Russisch für den Gesang eignet!
Das gilt selbstverständlich auch für die abschließend dargebotenen sechs Lieder aus der Feder von Sergej Rachmaninow. Dass hier die Deutung kontrolliert-gefühlsüberschwänglich ausfiel, liegt zum Teil natürlich an der elegisch-eleganten Musik des Komponisten, eines Spätromantikers mit impressionistischen Zügen, aber auch an den Texten u.a. von Puschkin und Alfred de Musset, die um Zustände der Einsamkeit, Trennungsangst und Verzweiflung kreisen. Auch Heinrich Heine war mit einem Lied aus seinem Zyklus In der Fremde. III vertreten. Doch der feinen Ironie, die seinem Gedicht „Ein Traum“ innewohnt, wurde die Vertonung in diesem Fall kaum gerecht. Für die seltene Gelegenheit, einmal in das ziemlich unbekannte Liedschaffen Rachmaninows hineinhören zu können, noch dazu in einer so beeindruckend durchgestalteten und durchgearbeiteten Form, kann man nichts anderes als nur dankbar sein.
Von einer Krise des Genres Liederabend war an diesem Abend jedenfalls nichts zu verspüren. Die Auslastung durchaus zufriedenstellend, und der Beifall mehr als herzlich: Er nahm sich vielmehr – und ganz zu Recht – als überaus begeistert aus und erzwang, neben zwei Salon-Volksliedern in der neapolitanischen Tradition Marke Tosti, einen bezwingend dargebotenen „Erlkönig“ in der Vertonung durch Franz Schubert. Was für ein hinreißender Schluss eines hinreißenden Solistenabends
Manfred A. Schmid