WIEN / Staatsoper: SIMON BOCCANEGRA
95. Aufführung in dieser Inszenierung
6. April 2024
Gewiss wäre man gespannt auf dessen Wiener Rollendebüt gewesen, denn es war wohl der Mitwirkung des italienische Baritons geschuldet, dass gerade diese Simon-Boccanegra-Aufführung vom renommierten spanischen Platea Magazine zu einem der „100 wichtigsten Operntermine“ der Saison 2023/24 gewählt worden ist. Wenn aber die Wiener Staatsoper für den krankheitshalber ausgefallenen Luca Salsi kurzfristig ein Kaliber wie George Petean als Ersatz aufbieten kann, ist die Opernwelt wieder einmal gerettet: Gehört Petean doch schon seit Jahren zu den besten Interpreten dieser Rolle. Wie er den machtbewussten, stets aber auch auf Konsens, Friedenstiftung und Versöhnung bedachten Genueser Dogen Simon Boccanegra darstellt und seinen klang- und kraftvollen Bariton einsetzt, verfehlt seine dramatische Wirkung nicht. Er erfüllt Verdis Erwartung an diese Rolle – eine leidenschaftliche, feurige und stolze Seele – in vollem Maße und braucht dafür keine großen Arien, die es in dieser Oper auch gar nicht gibt, sondern bewährt sich vortrefflich in den Duetten, Terzetten, in denen Verdi die jeweilige politische wie auch emotionale Stimmungslage meisterhaft auslotet. Die Szene vor dem versammelten Senat, als Simon Boccanegra, der aus einfachen Verhältnissen stammende Korsar, der es, vom Volk gewählt, bis zum Dogen gebracht hat, sich durchsetzt und seinen Verräter Paolo dazu zwingt, sich selbst zu verdammen, ist große Klasse.
Boccanegras großer politischer Rivale, mit dem er auch in einer höchst privaten Angelegenheit bis aufs Blut zerstritten ist, weil dieser ihm eine Verehelichung mit seiner Tochter Maria verweigert hat, ist der einflussreiche Patrizier Fiesco. Kwangchul Youn hat in dieser Rolle schon oft mit seinem profunden, ausdrucksfähigen Bass imponierenden Eindruck hinterlassen. Auch an der Staatsoper, wo er zuletzt 2019 als Fiesco zu erleben war. Schon damals zeigten sich allerdings erste stimmliche Verschleißescheinungen, die sich inzwischen verstärkt haben. Dank seiner enormen Bühnenpräsenz und einer weiterhin ansprechend guten Mittellage ist er aber noch immer eine nicht zu unterschätzende Größe. Und diese Größe zeigt sein Fiesco auch, als er sich mit Boccanegra, trotz eklatanter politischer Differenzen und persönlicher Spannungen bis hin zu Hass und Vergeltungsgelüsten, angesichts des Auftauchens der verschollen geglaubten Amelia, Tochter aus Boccanegras Verbindung mit Maria und somit seine Enkelin, respektvoll einigt. Wie sich die beiden versöhnlich die Hand reichen, geht unter die Haut.
Das unerlässliche Liebespaar in der handlungsgemäß ziemlich verworrenen Oper, in der politische und persönliche Konflikte ineinander verstrickt sind, ist mit Federica Lombardi und Freddie De Tommaso bestens besetzt. Lombardi, die im Vorjahr zum ersten Mal die Amelia gesungen hat, an der Oper von Lüttich und auch damals schon an der Seite von George Petean, verfügt über eine schöne, glockenhelle Stimme und weiß Amelias Liebe zu ihrem Vater, wie auch zu Gabriele Adorno glaubhaft zu besingen und darzustellen. Die einzige Frau, sieht man von der Nebenrolle einer Dienerin (Jenni Hietala aus dem Opernstudio) ab, in einer Ansammlung machtvoller, mehr oder weniger verschwörerischer, intriganter Männer: Was für eine Wohltat!
Freddie De Tommaso ist ein in leidenschaftlicher Liebe entflammter, politisch engagierter Gabriele Adorno, der sich allerdings, in jugendlicher Tollheit, von gezielten Gerüchten manipulieren lässt, in heftige Eifersucht verfällt und die im Duett „Parla, in tuo cor virgineo“ beschworene Eintracht kurzerhand aufkündigt. Erst in „Perdono, perdono“, in das dann auch Boccanegra einstimmt, ist der Segen junger Liebe wieder hergestellt. Ein Tenor, wie geschaffen für das italienische Fach!
Clemens Unterreiner als Verräter Paolo, der in Amelia verlieb ist, sie gewaltsam entführen lässt und am Schluss ihren Vater tödlich vergiftet, ist neben Kwangchul Youb an diesem Abend der einzige, der kein Rollendebüt hat, sondern mit ihm bereits 2019 gemeinsam auf der Bühne gestanden ist. Dem vielseitigen Bariton, dessen Ehrgeiz, aus den kleinsten Rollen das Maximum herauszuholen, manchmal etwas übertrieben wirkt und belächelt wird, gelingt es in dieser Rolle tatsächlich, dank seiner sorgfältig einstudierten Darstellung und mit einer gediegenen gesanglichen Gestaltung, die Figur des bösen politischen Verschwörers bühnenwirksam in den Fokus der Aufmerksamkeit zu stellen. Ensemblemitglied Unterreiner in Höchstform: Chapeau!
Evgeny Solodovnikov als Pietro und Agustin Gómez (aus dem Opernstudio) komplettieren die ansprechenden Hausbesetzungen, während der Chor das wankelmütige Volk repräsentiert, das von Boccanegra kundig für seine Machtspiele instrumentiert und in seiner Meinung mehrmals gedreht wird.
Dass der aus Genua stammende Marco Armiliato als Garant für gelungene Aufführungen im italienischen Fach gilt, ist allgemein bekannt. Besonders bei Verdi kann das Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper kaum übertroffen werden. Auch das dramaturgisch etwas sperrige „Melodramma in einem Prolog und drei Akten“ profitiert von Armiliatos Gespür für die Anliegen des Meisters aus Busseto. Das gilt jedoch auch für die Regie von Peter Stein, der sich in seiner schnörkellosen Inszenierung aus dem Jahr 2002, in der überschaubaren Bühne von Stefan Mayer, voll auf die politischen und menschliche Aspekte der Handlung konzentriert und in seiner achtsamen Personenführung immer sängerfreundlich bleibt.
Kein Fiasko zu Genua also, sondern bloß eine Verschwörung: die Verschwörung zu einem gelungenen, gut gesungenen und fein gespielten italienischen Operabend. Das Publikum weiß das zu schätzen. Der Jubel ist beträchtlich und übersteigt deutlich die üblichen fünf Minuten