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WIEN/ Staatsoper SIEGFRIED / Zweiter Tag des zweiten Ring-Durchlaufs

30.05.2017 | Oper

WIEN/ Staatsoper:  „SIEGFRIED“am 28.5.2017

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Wolfgang Ablinger-Sperrhacke (Mime). Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Wenn sich der Vorhang öffnet, ist Mime (Wolfgang Ablinger-Sperrhacke) bereits in Aktion, facht das Feuer an, und schmiedet an einem Schwert, obwohl aus dem Orchester der Wiener Staatsoper etwas anderes erklingt: die „Grübel-Terzen“, Ausdruck seiner Sorge, ja Not mit Nothung. Da fließen sogar Tränen. Der Spaß beginnt spätestens mit dem Auftritt von Siegfried  (Stefan Vinke), der, quasi von Null auf 100 springend, in seinem 9. Takt bereits das d‘‘ mühelos heraussingt. Es ist immer eine Freude, wenn ein Tenor keine Mühe mit seiner Rolle hat. Hier sind es gleich zwei, die stimmlich bestens miteinander harmonieren und mit sichtlichem Spaß agieren. In dem eher langweiligen Bühnenbild mit den 12 „Arbeitsplätzen“ zünden sie geradezu ein Feuerwerk. Mimes klarer, kräftiger Charaktertenor, stets wortdeutlich, kann jammern und zicken, jauchzen und zwicken, jaulen und meckern, schmeicheln und giften. Letzteres freilich zunächst wenig, selbst wenn er sich im Finale des 1. Aktes in Rage singt, bleibt er fast sympathisch in seinem vielsagenden Kostüm (über dem Arbeits-Overall, auf dem die Eisenspäne blitzen, trägt er einen Tigerfellmantel). Köstlich, wie ihm vor den Fragen des Wanderers die Knie schlottern, wie er mit des Wanderers Speer kämpft (nicht nur Nothung, auch der Speer ist stärker als Mime!), mit welchen Bewegungen er den Sudel schüttelt und mit welchen Gesten und Grimassen er Siegfried das Fürchten lehren will. Das Orchester unterstützt ihn an dieser Stelle besonders ausdrucksvoll. Jedes Flimmern, Schwellen, Schwirren, von dem er singt, ist komponiert, glühende Schauer und Beben in Posaunen und Streichern in endlos scheinenden 32stel-Notenketten. Wenn die ausgespielt werden dürfen (also der Dirigent Peter Schneider hier und an anderen Stellen das Tempo entsprechend einrichtet), erklingt ein irisierendes Flackern und Flirren, da saust nicht nur an dieser Stelle ein Feuersturm durch den Orchestergraben.

Stefan Vinke gefällt es, einen naiven, kraftstrotzenden Siegfried zu spielen und er bemüht sich, die Stimme an den lyrischen Stellen („So starb meine Mutter an mir?“ gelang gut, beim „Waldweben“ des 2. Aktes könnte einiges noch weicher klingen) zurückzunehmen. Aber wohl fühlt er sich immer, wo Forte steht und es in die Höhe geht. Bei den Schmiedeliedern geht ihm nie die Luft aus und wenn er den Amboss zerschlägt, beendet ein großes Tosen aller verfügbaren Instrumente („so schnell wie möglich“ lautet hier Wagners Tempobezeichnung) mit Variationen des Schwertmotivs und Siegfrieds Hornrufes den Akt in der schönsten Siegestonart D-Dur.

Das Vorspiel zum 2. Akt bedeutet insbesondere für Prof. Paul Halwax an der Kontrabasstuba viel Arbeit. Wagner komponiert tatsächlich so, dass es nicht nur dunkel und behäbig, sondern böse, geradezu beklemmend, später giftig klingt. Der Ort vor der Neidhöhle ist ein Un-Ort, da fliehen sogar die Tiere (die Wände hinauf) bzw. erstarren in der Flucht (keine schlechte Idee, aber ab der 2. Szene passt sie dann nicht mehr). Selbst Alberich (Jochen Schmeckenbecher) hält es kaum dort aus, wenn der Wanderer (Thomas Johannes Mayer) den Wurm zu wecken versucht. Fafner verlässt musikalisch seinen Tritonus übrigens erst, wenn ihn Siegfrieds Schwert getroffen hat. Schade, dass in diesem Akt alle, die aus dem off singen mussten – Fafner (Sorin Coliban) anfangs, durchweg der Waldvogel (Hila Fahima) dumpf klangen und wortunverständlich blieben.

Stefan Vinke genießt es, die Flöte zu schnitzen, zu spielen und immer wieder (dank Englischhorn auf der Seitenbühne) das Ergebnis nachzubessern. Und Wolfgang Ablinger-Sperrhacke setzt in seiner Spiellust noch eins drauf. Wer sich noch anderwärts an der Spiellust des Charaktertenors überzeugen will, findet Videos, die ihn als Knusperhexe und Loge zeigen,  auf seiner Homepage (http://www.ablinger-sperrhacke.com/videogalerie/index.html).

Schön, wenn sich im Finale aus dem Eingang zur Neidhöhle alle giftigen Dünste verzogen haben und im leicht bewölkten blauen Himmel ein flatterndes Vögelein zu sehen ist, dem Siegfried jubelnd folgt. 

Meine liebste und zugleich eine der wichtigsten Schlüsselstellen im „Ring“ ist die 1. Szene des 3. Aktes. Das g-moll-Vorspiel lässt uns empfinden (Leitmotive sind Gefühlswegweiser!), was Wotan fühlt, was ihn umtreibt. Da hört man ihn im Galopp reiten, hört Speer- oder Vertragsmotiv, Wanderer-Harmonien, Alberichs Bedrohung. Wotans Not ist, dass er nicht mehr aktiv in die Handlung eingreifen kann und die Passivität selbst verschuldet hat, kann kaum stärker ausgedrückt werden. Wie besiegt die Sorge der Gott?! Aus dem anfänglich gewaltige Crescendo wird ein ständiges Beben – es gibt in dieser Szene viele starke Wechsel in der Dynamik – und Ringen mit Erda. Thomas Johannes Mayer gestaltet das großartig. Es hat mich gefreut, dass die komponierte emotionale Beziehung beider zumindest von Wotan auch gezeigt wird.  Bei seinem „Wache, Wala! Wala, erwach!“ kann man einen Teil des Liebesmotives von Siegmund und Sieglinde wieder erkennen. Okka von der Damerau ist mit ihrer warm fließenden, klangvollen Stimme eine exzellente Besetzung. Erfreulich auch ihr Kostüm, denn es setzt die Anweisung Wagners auf gute Weise um: „Sie erscheint wie von Reif bedeckt; Haar und Gewand werfen einen glitzernden Schimmer von sich.“

Was diese Szene krönt, ist Wotans Entscheidung: „Dem ewig Jungen weicht in Wonne der Gott!“ und ein neues Motiv, das Weltwerdungsmotiv aus dem Finale der „Götterdämmerung“ –  ein großes, optimistisches Thema – die Angst vor dem Ende ist für Wotan vorbei. Er glaubt an Siegfried, den er als „alter Frager“ in die Zange nimmt. Wagner komponiert hier quasi im Zeitraffer und mit den entsprechenden Motiven alles, was Siegfried bis dahin erlebt hat. Fast zu schnell ist das vorbei und Siegfried lockt sich, mit strahlender Kraft „ein liebes Gesell“!

„Auf sonniger Höh“ erwarten Siegfried zunächst Versatzstücke aus der Götterburg und Mimes Werkstatt – also Bruchstücke aus seiner und Brünnhildes Vergangenheit. Beide stehen für die noch abzulegenden Hüllen, für das, was sie nun verlassen werden.

Instrumental scharf klingt aus dem Graben Siegfrieds Erschrecken vor „der Frau“.

Zart sich entwickelnd und klanggewaltig ausbrechend gestaltet Peter Schneider den orchestralen Sonnenaufgang. (Das mit dem Erhellen des Zuschauerraumes zu begleiten, ist mehr als überflüssig!).

Brünnhilde Gefühl von Schutzlosigkeit beim Abschiednehmen vom früheren Walküren-Leben versteht Siegfried kaum. Köstlich, wenn er in vollster Naivität auf Brünnhildes ungläubiges „Wie mein Blick dich verzehrt, erblindest du nicht?“ mit kindlichem Strahlen den Kopf schüttelt. Einmal mehr sind Petra Lang und Stefan Vinke ein starkes Paar, breit und groß sind ihre Stimmen, aber es gibt auch diese leisen Momente. Bei der Solo-Stelle des Englischhorns vor „Ewig war ich“ hätte man im Zuschauerraum eine Stecknadel fallen hören können! Und dann dieses riesige Fortissimo-Finale: „Fahr hin, Walhalls leuchtende Welt!“ Einander sind sie „ein und all“ in jubelndem C-Dur!

Das Publikum antwortet mit Jubel und Applaus – natürlich für die Protagonisten, aber in deutlich anschwellender Phonstärke für Peter Schneider und das Orchester der Wiener Staatsoper.

Kerstin Voigt

 

 

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