Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN / Staatsoper: SIEGFRIED Zweiter Tag des Bühnenfestspiels

WIEN / Staatsoper: SIEGFRIED . 25. Aufführung in dieser Inszenierung

14. Mai 2022

Siegfried - Wiener Staatsoper (2016) (Produktion - Wien, Österreich) |  Opera Online - Die Website für Opernliebhaber
Copyright: Wiener Staatsoper

 

Von Manfred A. Schmid

Wegen anhaltendet Indisposition hat sich John Lundgren endgültig von der Rolle des Wotan/des Wanderers zurückgezogen. Ersatz gefunden wurde im irischen Bariton Simon Neal, der mit seinem Wotan-Debüt im neuen Ring an der Deutschen Oper am Rhein bekannt geworden ist. Neal zeichnet in seiner Gestaltung ein gespaltenes Porträt des Göttervaters, das neben heldenhaften Zügen auch schmachvolle Eigenschaften nicht verleugnet, sondern offen darlegt – programmiertes Scheitern inbegriffen. Wie dieser Wotan von seinem Enkel Siegfried am Beginn des 3. Aufzugs lächerlich gemacht wird, ohne sich zur Wehr zu setzen, und hilflos über sich ergehen lassen muss, wie dieser, von jugendlichem Leichtsinn angetrieben, mit einem Hieb seinen Speer in Stücke schlägt, ist komisch und tragisch zugleich. Die Botschaft: Die Altvorderen haben ihre Autorität und Würde durch ihr Verhalten selbst unterhöhlt. Respekt wird ihnen nicht mehr gezollt. Ihre Zeit ist abgelaufen. Simon Neal ist ein guter Darsteller dieses gebrochenen Charakters, der von einer wachsenden Sehnsucht nach dem Untergang befallen ist. Stimmlich kann er bei seinem Wiener Hausdebüt mit seinem fein geführten, klaren, wortdeutlichen Bariton weitgehend überzeugen. Etwas Ermüdung in der Stimme ist im letzten Aufzug allerdings nicht zu kaschieren. Ganz in der ersten Reihe steht dieser Wotan (noch?) nicht.

Siegfried
Fot0: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Wie Neal hat sich auch Michael Weinius unter Axel Kober, dem musikalischen Leiter des Wiener Ring, in Düsseldorf in die Wagner-Partien eingearbeitet. Für den Siegfried bringt der königliche Hofsänger aus Schweden eine kraftvolle Stimme mit, die aber nicht unbedingt heldentenorhaft daherkommt. Weinius ist eher ein lyrischer Tenor mit dramatischen Möglichkeiten. Im ersten und zweiten Akt passt das gut zu dem parsifalähnlichen jungen, tumben Tor, der neugierig auszieht, um das Fürchten zu lernen, und dabei mit Mime und Fafner unbekümmert, ja, geradezu spielerisch fertig wird. Erst als er Brünnhilde gegenübertritt, lernt er das Fürchten kennen, was einer gewissen Komik nicht entbehrt. Spätestens in der Begegnung der Walküre müsste Siegfried aber schließlich zum Helden heranreifen. Doch gegenüber der strahlenden, stimmlich und darstellerisch ungemein präsenten Nina Stemme, auch wenn ihr Sopran in der Höhe schon manchmal scharf klingt, erweist sich Weinius nicht ebenbürtig. Hier wäre ein durchschlagskräftiger Heldentenor gefragt, und ein solcher ist der Sänger, der einst als Bariton begonnen hat, eben doch nicht so ganz.

wei
Michael Weinius (Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

 

Ein Heldenbass von Format ist dafür Jochen Schmeckenbecher, der als Alberich nicht nur in Wien, sondern in aller Welt Erfolge en suite einheimst. Mit ausdrucksstarker, sinnlicher Stimme gestaltet er einen dunklen, tragischen Charakter, dem von Schicksal über mitgespielt wird, der nicht als nur verachtenswerter Bösewicht dasteht, sondern der als Verlierertyp auch ein wenig Mitleid und Sympathie abkriegt. Gemeinsam mit Tomasz Konieczny führt er derzeit die Riege der stärksten Alberiche an.

Jörg Schneiders Debüt als Mime trägt viel dazu bei, dass an diesem Abend die komischen Aspekte. die Wagner mehrfach in seinen Siegfried eingebaut hat, sichtbarer und hörbarer werden als üblich. Er schusselt im ersten Akt an den – insgesamt 12 – Ambossen herum, singt mit ausgefeilter Charaktertenorstimme einen verschlagenen Kerl, der hinter der lächerlichen Harmlosigkeitsfassade böse Pläne schmiedet. Im ersten Aufzug, bei dem Mime fast die ganze Zeit über auf der Bühne steht und vor sich hinplappert, könnte an etwas mehr stimmlicher Abwechslung noch gearbeitet werden. Dafür wird die Doppelzüngigkeit dieser Figur im 2. Aufzug von Schneider gekonnt auf die Spitze getrieben, wenn er vor Siegfried seine Absichten nicht mehr zu verheimlichen weiß, sondern sie in einem fort ausplaudert, um sie dann wieder zu dementieren. Schön, dass diese Rolle aus dem Ensemble heraus so trefflich besetzt werden kann.

Mit der tiefgründig singenden Noa Beinart als – in einer gespenstischen Kleidung verpackte – Erda kommt ein weiteres Ensemblemitglied zum Einsatz, so auch Dmitry Belosselskiy als markiger Fafner. Beiden gemeinsam ist die wohlige Verschlafenheit, aus der sie widerwillig geweckt werden.

Joanna Kedzior gestaltet das Siegfried mehrmals zum Aufbruch ermunternde, helle Gezwitscher des Waldvögeleins mit zunehmender Anmut.

Die musikalische Leitung durch Axel Kober ist tadellos und kommt den Stimmen auf der Bühne sehr entgegen. Ein paar Unsauberkeiten bei Einsätzen des Blechs und der Hörner trüben den guten Gesamteindruck nicht. Kobers Wagner-Expertise und Erfahrung kommen dem Staatsopernorchester merklich zugute und trägt Früchte: Ihre Zusammenarbeit hat sich seit dem Ring des Jahres 2019 noch um Einiges verstärkt.

Begeisterter und – angesichts von fünf Stunden Aufführungsdauer – langanhaltender Applaus für alle.

15.5.2022

 

Diese Seite drucken