WIEN / Staatsoper: SALOME von Richard Strauss
248. Aufführung in dieser Inszenierung
7. März 2022
Von Manfred A. Schmid
Als 1905 die Salome 1905 in Dresden uraufgeführt wurde, entwickelte Sigmund Freud in Wien die Grundzüge seiner Psychoanalyse, in der er die sexuellen Neurosen der gehobenen Wiener Gesellschaft aufdeckte. Gustav Mahler, der bei der Dresdener Uraufführung dabei war, wollte das Werk sofort in Wien auf die Bühne bringen, was aber von der Zensur nicht gestattet wurde. Zu treffsicher war wohl die Analyse einer dekadenten Welt ausgefallen, die Oscar Wilde in seinem Drama auf die Bühne gebracht hatte und die als Grundlage für die Strauss-Oper diente. Die Entscheidung von Boleslaw Barlog seine Wiener Salome-Inszenierung 1972 in einem betörend schönen, überladenen Jugendstilambiente von Jürgen Rose stattfinden zu lassen, ist also durchaus angebracht und unterstreicht die überhitzte, sinnliche, erotisch aufgeladene, schwirrende Atmosphäre, die hier – vor allem auch in der Musik von Richard Strauss – meisterhaft eingefangen ist. Die Mode, die Handlung einer Oper in der Zeit ihrer Entstehung zu versetzen: Hier ist sie am Platz und eine sinnvolle Möglichkeit und gut umgesetzt.
Thomas Guggeis, der an der Staatsoper eben erst mit Erich Wolfgang Korngolds Die tote Stadt erfolgreich debütiert hat, liefert mit seiner musikalischen Leitung einen eindrucksvollen weiteren Beleg dafür, dass von diesem jungen Dirigenten noch viel zu erwarten ist. Guggeis zeigt auf, wie revolutionär die Musik von Richard Strauss ist und lässt erahnen, wie sehr sie damals – als weit geöffentes Tor zur Moderne – das Publikum fasziniert und schockiert haben muss. Guggeis lässt clusterartige Klangballungen und schroffe Dissonanzen in aller Härte knallen und keine Zweifel daran, dass hier neben dem Jugendstil auch schon der Expressonismus eines Egon Schiele mit seinen Verrenkungen eine musikalische Entsprechung gefunden hat. Das wäre allerdings auch ein Argument dafür, dass sich das üppige Bühnenbild letztlich wohl etwas zu lieblich ausnimmt.
Das mit Spannung erwartete Hausdebüt von Jennifer Holloway in der Titelpartie ist überaus positiv zu bewerten. Der amerikanischen Sängerin kommt dabei wohl zugute, dass sie ursprünglich als Mezzo begonnen hatte und sich erst später zur Sopranistin entwickeln sollte. Die fordernde Rolle, ihr enormer Tonumfang, bereiten ihr keinerlei Schwierigkeiten. Auch darstellerisch überzeugt sie mit ihrer in einer unmöglichen Situation eingezwängten Jugendlichkeit. Da ist zum einen der lüsterne Stiefvater, der sie dauernd geil-sabbernd anstarrt, und zum anderen ihre promiskuitive Mutter. Kein Wunder also, das sie in dieser dysfunktionalen Welt zu einer dysfunktionalen Frau wird, die eine erotische Obsession zum asketischen lebenden Jochanan entwickelt. Die lange Szene, in der sie das Haupt des Propheten auf der Silberschale umkreist, sich ihm nähert und dann wieder entfernt, um ihn schließlich innig auf den Mund zu küssen, ist an Intensität kaum zu übertreffen und schwer zu ertragen. Der Schleiertanz gehört dafür nicht zu den Pluspunkten ihrer Performance, und in zwei, drei Passagen, in denen das Orchester wie entfesselt aufspielen muss, wirkt ihre Stimme vielleicht (noch?) eine Spur zu klein für die große Wiener Bühne.
Jochanaan kommt in dieser Oper nicht besonders gut weg. Er ist keine biblische Lichtgestalt, sondern – laut Richard Strauss – in dieser Ansammlung perverser Gestalten „der perverseste der ganzen Gesellschaft“. Eine dunkle, düstere Erscheinung also, und in Barlogs Inszenierung bedrohlich schwarz gekleidet. Dazu kommt, dass er aus der Tiefe eines Brunnens, in dem er als Gefangener gehalten wird, zu singen hat. Mit diesen Handikaps kommt der Bayreuth-erprobte dramatische Bariton John Lundgren bei seinem Hausdebüt allerdings gut zurecht und ist ein solider, mit starker Stimme etwas eintönig mahnender, misogyner Prophet, dessen Kritik vor allem der Lebensführung der Herodias gilt. Der schwedische Bariton genießt einen guten Ruf als Sängerdarsteller. Im Mai wird John Lundgren als Wotan im Wiener Ring zu erleben sein.
Wolfgang Ablinger-Sperrhacke ist ein eindrucksvoll lüsterner Herodes. Stets auf der Lauer und dennoch schonungslos offen in seiner Obsession für Salome. Ein wortdeutlich singender, heller Charaktertenor, der den Herodes nicht zur Karikatur verkommen lässt, sondern als völlig unmoralisch Despoten darstellt, der bereit ist, alle Grenzen der Vernunft hinter sich zu lassen und seiner Stieftochter sein halbes Reich verspricht, nur damit sie vor ihm – für ihn – tanzt. Sein Bekenntnis, dass er sie vielleicht zu sehr geliebt habe, ist erschreckend abgründig.
Auch die Mezzosopranistin Claudia Mahnke stellt als Herodias keine Karikatur auf die Bühne, reduziert sie nicht auf ein keifendes, verbittertes Weib, sondern zeigt sie als eine selbstbewusste, stolze Frau, die von ihrem abwechslungsreichen Liebesleben nicht lassen will, sondernes machtbewusst auslebt. Dazu passt ihr warmer, farbige Mezzo ausgezeichnet.
Ensemblemitglied Daniel Jenz gelingt mit seinem hellen Tenor ein vortreffliches Rollendebüt als sterblich in Salome verknallter Narraboth, in den Nebenrollen, durchwegs mit Kräften aus dem Haus besetzt, ragen wie gewohnt Thomas Ebenstein als Erster Jude, Wolfgang Bankl als Erster Soldat und erstmals Sergey Kaydalov als Erster Nazarener hervor. Margarete Plummer ist eine starke Erscheinung als Page, der von Anfang an Unheil heraufziehen sieht und Narraboth vergeblich warnt.
Viel und heftiger Applaus für einen gesanglich ausgewogenen und von Thomas Guggeis fein dirigierten Opernabend.
8.2.2022