Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN/ Staatsoper: SALOME – ein Bussi für Jochanaan


Vincent Wolfsteiner, Marina Prudenskaya. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

8.10.2020 – „SALOME“: Ein Bussi für Johanaan

  1. Vorbemerkung: es ist wohl nicht ganz alltäglich, dass zwischen zwei Vorstellungen der Strauss-Oper Salome in derselben Besetzung nur ein Tag Pause liegt. Das ist vor allem für die Protagonisten in den Hauptrollen keine kleine konditionelle Herausforderung und muss bei der kritischen Würdigung des Abends jedenfalls im Hinterkopf behalten werden.
  2. Vorbemerkung: man staunt über sich selbst nach etwas mehr als einem Monat der neuen Direktion am Haus … denn als langgedienter Opernbesucher ist man ja zunächst einmal alarmiert, wenn eine neue Mannschaft u.a. die szenische Erneuerung des Repertoires als ihr vordringliches Ziel proklamiert. Man fragt sich bang: geht es nun den altbewährten Produktionen wie etwa dem legendären Schenk’schen Fidelio (den bedrohlichen Eindruck, wie eine zeitgemäße Fassung aussehen könnte, hat man noch von der unsäglichen „Leonore“ aus dem Spätwinter des Jahres in Erinnerung) oder der Wallmann-Tosca an den Kragen? Nun aber, drei Vorstellungen im ersten Monat der neuen Ära später, hat man sich ein Bild machen können davon, wie nach dem Sinn von Rośčič/Jordan eine solche Erneuerung aussehen könnte: anlässlich der Übernahme einer für die Staatsoper neuen Inszenierung (Butterfly/Antony Minghella) und zwei Wiederaufnahmen aus dem lokalen Repertoire, beide dem „klassischen Regietheater“ zuzuordnen (Elektra/Kupfer, Don Carlos/Konwitschny) … Und siehe da: man ertappt sich während der vielgesehenen, auch selbst viel gelobten Salome von Boleslaw Balog aus dem Jahre 1972 mit einem Mal bei dem Gedanken, dass sie im Vergleich zu dem, was gegenwärtige Sehgewohnheiten betrifft, doch schon ziemlich in die Jahre gekommen ist und durchaus ein Kandidat für eine Erneuerung sein könnte (die archaischen Bilder, die man von der Castellucci Salome aus Salzburg noch im Kopf hat, werden auch das ihre zu diesem Sinneswandel beigetragen haben).

Womit, um nun endlich zum eigentlichen Thema zu kommen, nicht gesagt sein soll, dass „unsere“ gute alte Salome nicht nach wie vor ihre Repertoire-Tauglichkeit unter Beweis stellt. Jedenfalls erzeugen die dem Jugendstil nachempfundene Dekoration und die ähnlich gestalteten, geschmackvollen Kostüme ineins mit der geschickten Licht-Regie optisch für die nötige „Schwüle“, womit die angemessene Stimmung herrscht, um auf der Grundlage der Musik von Richard Strauss die biblische Geschichte aus dem 6. Kapitel des Markus-Evangeliums in der genial-dekadenten Textfassung von Oskar Wilde plausibel auf die Bühne zu bringen. Und in diesem Ambiente eröffnet der über die Jahre durch den langsamen Verlust von Details der Personenführung entstandene Freiraum immer neuen Konstellationen von Sängerinnen und Sängern die Möglichkeit, diesen mit ihrer je eigenen Persönlichkeit zu füllen. Wenn sich auch andererseits die Erinnerung an große Interpretinnen und Interpreten über die Zeit hin kaum ganz beiseiteschieben lässt und sich somit als unmerklich wachsendes Hindernis vor eine unbefangene Aufnahme des Geschehens hier und jetzt aufbaut. 

Ein stimmgewaltiger Jochanaan wie Tomasz Konieczny hat freilich keine Schwierigkeiten, sich mit seiner Interpretation des sogenannten letzten biblischen Propheten in die Reihe der klingenden Namen seiner Rollenvorgänger als wohl der bedeutendsten einer einzuordnen. Von der letzten Direktion gewissermaßen auf den germanischen Göttervater abonniert, beeindruckt der polnische Heldenbariton nun, quasi im Monotheismus angekommen, weiterhin als religiöser Gewaltmensch mit seinen schier unerschöpflichen Reserven, von denen er sich freilich nicht zu einem bloßen Durch-die-Partie-Gröhlen verleiten lässt. Wenn man ihm auch das Vergnügen anmerkt, so es gilt, über das volle Strauss’sche Orchester zu orgeln… Doch legt er seinen Jochanaan in selten gehörter Differenziertheit an, es gibt Crescendi und Decrescendi, und auch seine Artikulation, die gelegentlich als zu knarrend kritisiert wurde, hat sich verbessert. So steht er, nicht nur aufgrund der vom Bühnenbild vorgegebenen Lage seines Kerkers, zweifellos in der Mitte des Geschehens.


Vida Miknevičiute. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Als Salome war die litauische Sopranistin Vida Miknevičiute zu erleben, welcher der Rezensent 2019 anlässlich einer Aufführung der inzwischen auch schon legendären Elektra von Patrice Chereau in Berlin Unter den Linden als Chrysothemis begegnet ist, für die sie dazumal zurecht frenetisch gefeiert wurde. Die Erwartungen, die daher nun mit ihrem Wien-Debut verbunden waren, konnte sie als judäische Prinzessin allerdings nur zum Teil erfüllen. Nun entspricht die eher zierliche Miknevičiute ohne Zweifel der Vorstellung, die sich der Komponist von seiner Salome gemacht hat, der ja keine donnernde hochdramatische Matrone vor Augen hatte. Auch ist ihr heller, deutlich jugendlich-dramatischer Sopran auf natürliche Weise groß genug – ja, mehr als das – um ohne zu Forcieren auch an den exponiertesten Stellen mühelos den Raum zu füllen: solche Stimmen sind selten geworden. Ebenso ist ihr über weite Strecken gute Wortverständlichkeit zu attestieren, sowie das Bemühen um differenzierte Phrasierung. Ebenfalls verfügt sie über eine sichere Höhe und ebensolche obere Mittellage.

Darunter wird es aber leider dann zunehmend (eigentlich müsste man sagen: abnehmend) dünn, zu einem guten Viertel am unteren Ende der Tessitura kommt nur noch dünner Sprechgesang. Das betrifft nicht nur die „Grooooft“, in welcher Salome den Propheten zu erspähen versucht: der Auseinandersetzung mit Herodes nach Tanz fehlt es an jeglicher Vehemenz usw. Schließlich, und das ist in vokaler Hinsicht das Hauptproblem, neigt die Sängerin leider fast durchgehend, teilweise sogar heftig zu flackernder Tongebung, was auf ein grundlegendes technisches Problem hindeutet. Darstellerisch ist Miknevičiute konsequent das junge, ein wenig trotzige Mädchen, der Backfisch sozusagen. Doch muss in Salome irgendwann ein Bruch stattfinden: wenn aus der vielleicht verzogenen, vielleicht in ihrer verderbten Umgebung desorientierten Jugendlichen das Pathologische zum Vorschein kommt, wo sie zur Personifikation der Gier wird, die auch nicht davor zurückschreckt, in der Erfüllung ihrer Lust selbst in den Abgrund zu stürzen. Dieser Umbruch kann bereits in der Szene mit Jochanaan stattfinden, oder während des Streits mit Herodes um den Kopf des Täufers: an diesem Abend hat er überhaupt nicht stattgefunden. So fehlte auf seltsame Weise auch dem Schlussgesang, den Miknevičiute in eindrucksvoller Mühelosigkeit absolvierte, das Ekstatische, irgendwie hatte man sogar den Eindruck, diese Salome wisse auch mit dem Kopf des Jochanaan gar nichts Rechtes anzufangen. (Über den dem entsprechend gestalteten „Tanz“ der sieben Schleier sei taktvoll geschwiegen.) Hier bräuchte es dringend eine erfahrene Hand, um das zweifellos vorhandene Potential „in Form“ zu bringen.

Vincent Wolfsteiner gab einen Tetrarchen, der bis auf wenige Momente der Panik nicht aus seiner königlichen Rolle fiel, somit natürlich alles Groteske oder Verkommene eines dekadenten Lustmolches aussparte. Auch war der deutsche Heldentenor bestrebt, den Herodes nicht bloß zu deklamieren, sondern zu „singen“, wofür Thomas Moser oder James King als historische Beispiele genannt werden können. Man hörte somit immer wieder ungewohnten Wohlklang (wie z.B. beim Tötungsbefehl am Ende), daneben konnte er aber, wie etwa in der heiklen Beschreibung der versteckten Juwelen, gelegentlich die Spuren seiner Beschäftigung mit den großen Wagner-Brocken nicht verbergen. Die russische Mezzosopranistin Marina Prudenskaya gestaltete an seiner Seite eine vollmundige, in der Höhe nicht unbeschränkte, recht aktive Herodias. Die eine oder andere Geste mit dem Fächer oder den zornigen „Hupfer“ am Rand der Zisterne hätte sie vielleicht besser unterlassen – ist sie doch, bei aller harschen Kritik des Täufers, doch immerhin „von königlichem“ Geblüt und die Gattin zweier Vierfürsten.

Als stimmlich sehr präsenter erster Soldat kontrollierte Wolfgang Bankl die Vorgänge rund um das Verlies des Jochanaan, sekundiert vom ebenfalls verlässlichen Clemens Unterreiner, der den zweiten Soldaten gab. Dass sie beide unter dem Befehl des Hauptmanns Narraboth stehen sollten, ließ sich angesichts des stimmlich völlig überforderten und darstellerisch unbeholfenen Carlos Osuna nur schwerlich vorstellen. Dafür agierte Margareth Plummer, eine der wenigen, dafür aber ganz zu Recht „Überlebenden“ des früheren Damen-Ensembles, als Page stimmlich prägnant, wenngleich im Erscheinungsbild vielleicht etwas feminin. Das Judenquintett, angeführt von Thomas Ebenstein, trug seine unterschiedlichen theologischen Auffassungen leider so wenig wortdeutlich vor, dass man nur an den unterschiedlichen Akzenten den hohen Anteil an Diaspora erkennen konnte – obwohl es auf eine präzise Artikulation bei dieser Szene eigentlich ankommen würde.

Der bedeutendste Teil des Dramas fand freilich diesmal ohnehin nicht auf der Bühne, sondern im Graben statt, wo die Neuentdeckung Alexander Soddy mit dem Orchester der Wiener Staatsoper, aber auch mit einzelnen Instrumental-Solisten, einen wahren Opernkrimi entwickelte. Es mag zur Illustration des Gemeinten helfen, dass der Rezensent sowohl beim Schleiertanz als auch während des Schlussgesangs seine Augen ganz unwillkürlich von der Bühne weg in den Graben schweifen ließ, um dort zu verweilen.

Valentino Hribernig-Körber     

 

Diese Seite drucken