WIEN / Staatsoper: SALOME
10. Aufführung in dieser Inszenierung
5. Juni 2024
Von Manfred A. Schmid
Die Premiere von Cyril Testes Neuinszenierung Anfang des Vorjahres an der Staatsoper hatte vor allem wegen ihrer Duftmarke Schlagzeilen gemacht. War es doch das erste Mal, dass bei einer Opernaufführung ein Meisterparfümeur zum Einsatz kam, um von ihm gemixte erotische Düfte versprühen zu lassen. Allerdings hatte ihr Rezensent auf dem Online-Merker-Stammplatz auf der Galerie links davon nichts verspürt und konnte sich so unabgelenkt und halbwegs klaren Sinnes der Musik und darstellerischen Gestaltung widmen. Nur der Stink Tank der Staatsoper wurde davon offenbar so nachhaltig eingenebelt, dass sogar bei der 10. Aufführung auf dem Besetzungszettel neben dem Regisseur erneut auch der Herr der Düfte mit Porträtfoto und 25 Zeilen Biographie gewürdigt wird, was in beiden Fällen unüblich ist, weil bei Folgeaufführungen in der Regel nur der Dirigent und die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne angeführt werden. Ob es da nicht sinnvoller gewesen wäre, stattdessen von den insgesamt 21 Beteiligten ein paar weitere mit Foto und Kurzbeschreibung hervorzuheben?
Nun aber zu dem, worauf es bei einer Aufführung, abseits von mehr oder weniger betörenden Düften, wirklich ankommt: Camilla Nylund, in der schön längst ablösereifen Vorgängerinszenierung von Boleslaw Barlog mehrmals in der Titelrolle gefeiert, macht auch in der weit weniger geschmäcklerischen, dafür aber umso verstörenderen und damit den Intentionen von Richard Strauss weit mehr entsprechenden neuen Salome gute Figur und bewältigt die geradezu mörderische Partie der Titelheldin mit Bravour. Die hier deutlich als Opfer einer Missbrauchserfahrung gezeichnete Salome, eine junge Frau mit traumatischen Symptomen und erschütternd perversen Neigungen, singt sich in gut eindreiviertel Stunden tatsächlich die verstörte Seele aus dem Leib. Es ist kaum zu fassen, wie eine Sängerin das stimmlich durchstehen kann. Unerhörte Tonsprünge, die die labile Verfassung Salomes widerspiegeln, gehören ebenso dazu wie erschreckend tiefe Passagen, in denen die finnische Sopranistin allerdings schon an die Grenzen ihrer stimmlichen Möglichkeiten stößt und mit gepresstem Sprechgesang die extreme Erregungszustände beschwört, in denen sich in Wahnsinnsphantasien hineinsteigernde Salome befindet. Die Szene, als ihr vom Henker das Haupt Jochanaans auf einer Silberplatte überreicht wird – in dieser Inszenierung ist es nur der maskenartige Skalp des Propheten, mit der der Gesichtspartie, ohne Schädel – ist an Intensität fast nicht auszuhalten. Um die Vorgeschichte des Missbrauchs der Salome aufzuzeigen, stellt ihr Regisseur Cyril Teste zwei weitere „kleine Salomes“ zur Seite, eine davon eine Tänzerin (Anna Chesnova), was dem Schleiertanz rund um den wie auchauf dem gedeckte Tisch zusätzlichen Reiz verleiht und böse Erfahrungen andeutungsweise sichtbar macht. Hier ist auch der Einsatz einer Livekamera, die die tänzerischen Schritte, Sprünge und hilferufenden Bewegungen der Arme, aber auch den Gesichtsausdruck einfängt und riesengroß auf der Hinterwand projiziert, durchaus sinnvoll.
Der von Salome hartnäckig umworbene Jochanaan, der alle ihre körperlichen Annäherungen letztendlich zurückweist, wird hier als ein Mann gezeigt, der einer zudringlichen erotischen Verführung ausgesetzt wird. Für kurze Augenblicke, wenn sie sich an seine Seite setzt und ihre Wange an die seine drückt, wirkt er zunächst leicht verunsichert und empfänglich, bleibt dann doch standhaft, erliegt ihr nicht und weist sie ab. Iain Paterson, ein international geschätzter Heldenbariton, der bereits bei der Premiere als Jochanaan auf der Bühne stand, wirkt diesmal stimmlich nicht ganz so mächtig dunkelschwarz, wie man es von ihm kennt und wie man es für dieser Rolle eigentlich erwartet. Als er zum ersten Mal mit prophetischen Warnungen aus dem Brunnen meldet, ist er kaum zu hören, was hier z.T. auch daran liegen, dass er von den zu starken Klängen aus dem Orchestergraben zugedeckt wird. Aber auch nachdem er, auf nachdrücklichem Wunsch der Prinzessin, aus dem Gefängnis hervorkriecht, bleibt er stimmlich zu hintergründig, aber immerhin dennoch stets wortdeutlich und auch spielerisch präsent.
Gerhard Siegel ist ein geschwätziger Herodes, auf den aber niemand – außer seine Diener – hört und den niemand ernst nimmt. Er fürchtet sich offenbar vor einem jederzeit drohenden bösen Ereignis und hat Angst vor dem gefangenen Mann Gottes, als den er Jochanaan nicht ohne Ehrfurcht bezeichnet. Dass er Salome lüstern anschaut, was ihm seine Frau vorwirft, die vermutlich mehr über seine Beziehung zu seiner Stieftochter weiß, als ihm lieb ist, und von ihr Ablenkung durch einen Tanz fordert, lässt ebenso eine tiefe Verstrickung erahnen wie sein Bekenntnis: „Sieh, ich habe dich immer lieb gehabt. Kann sein, ich habe dich zu lieb gehabt.“
Auch seine Frau Herodias, trefflich bissig, von ihm genervt und ihn verachtend gespielt von Michaela Schuster, hat Angst vor dem Propheten. Allerdings weil er ihren sündigen Lebenswandel öffentlich kritisiert und diesen ihr vorwirft. Daher unterstützt sie Salomes Wunsch nach dessen Kopf. Angesichts dessen, wie sich die Erfüllung dieses Begehrens entwickelt, verstummt sie aber zusehends. Die feine Charakterstudie einer Frau mit schlechtem Gewissen.
In allen weiteren Rollen kommen Hausbestzungen zum Zug. Der Tenor Daniel Jenz ist ein markanter Narraboth, der seine starke Zuneigung zur Salome nicht verbergen kann und daran zugrunde geht. Patricia Nolz als Page bestätigt einmal mehr ihre Fähigkeit, aus jeder noch so kleinen Rolle das Maximum herauszuholen und ihr ihren stimmlichen, persönlichen Stempel aufzudrücken.
Für die Riege der in theologischen Fragen über Jochanaans Status streitenden fünf Juden werden neben bewährten Ensemblekräften wie Norbert Ernst, Carlos Osuna und Evgeny Solodovnikov diesmal mit Ted Black und Lukas Schmidt zwei gute Debütanten aus dem Opernstudio aufgeboten.
Warum die beiden Nazarener (Attila Mokus und Clemens Unterreiner) in glänzenden Militäruniformen auftreten, weiß man nicht, was aber nicht weiter ins Gewicht fällt, weil sie zum Glück auch stimmlichen Glanz ausstrahlen.
Interessant besetzt ist das Paar der beiden Soldaten. An der Seite des langjährigen, in vielen Bassrollen vom Messner in Tosca bis zum Ochs im Rosenkavalier begeisternden Sänger/Darstellers Wolfgang Bankl kann Stephano Park, ein weiteres Mitglied aus dem Opernstudio, gewiss Wertvolles lernen und mitnehmen.
Das Orchester kennt seinen Strauss in und auswendig und lässt es, unter der Leitung von Philippe Jordan, wie immer schon beim Betreten des Orchestergrabens mit auffallend freudigem, erwartungsvollem Applaus begrüßt, ordentlich krachen, wenn es am Platz ist, was in der Salome oft genug der Fall ist. Leider aber kracht es des Öfteren auch dann, wenn es aus Rücksicht auf die Stimmen nicht so ratsam wäre, wie etwa in der oben erwähnten ersten Szene mit Jochanaan, aber auch Camilla Nylund hat gegen Schluss zu damit zu kämpfen.
Viel Applaus und Jubel im nicht ganz ausgelasteten Haus sind aber dennoch am Platz und auch durchaus nachvollziehbar. Das auf der Galerie während der Vorstellung mehr als sonst gequatscht wurde, steht auf einem anderen Blatt und hat wohl damit zu tun, dass sich manche Touristen leichtere Kost erwartet hätten als diese unerhörten neuen Töne aus dem Jahr 1905. Übrigens: Von der erneut angekündigte Duftnote des HerrnFrancis Kurkdjian habe ich auch diesmal nichts wahrgenommen.