WIEN / Staatsoper: RUSALKA
23. Aufführung in dieser Inszenierung
31. März 2024
Von Manfred A. Schmid
Seit der Premiere 2014 hat es die Inszenierung von Antonín Dvoráks Rusalka gerade einmal auf 23 Aufführung gebracht. Das liegt in erster Linie an der Regie von Sven-Eric Bechtolf, die – in der düsteren Bühne von Rolf Glittenberg, in der weder Wasser, das Lebenselement der Nixe, noch der Mond, den Rusalka sehnsuchtsvoll besingen wird, Platz finden – aus dem „Lyrischen Märchen“ einen Albtraum gemacht hat: Einer der Dauerschäden, die der überschätzte und mit viel zu vielen Aufträgen bedachte Schauspieler und Regisseur im Repertoire des Hauses hinterlassen hat.
Der erste und der zweite Akt findet in einer schmutzig-trüben Schneelandschaft statt, was den Eindruck erweckt, dass Rusalka nur wegen der abstoßenden Hässlichkeit und Kälte aus ihrer gewohnten Umgebung flüchten und in der Welt der Menschen einen Platz finden will: Was man als Betrachter des Bühnenbilds durchaus nachvollziehen könnte. Das stimmt allerdings nicht. Einmal schwärmt Rusalka wehmütig von Sommernächten, die sie, in Kelchen von Lotosblüten liegend, erlebt hat: Durchaus idyllische, beglückende Erlebnisse in einer herrlichen, wunderschönen Natur. Außerdem ist sie in ihrer Welt durchaus von Liebe und Fürsorge ihres Vaters, des Wassermanns, und der schwesterlichen Zuneigung der anderen Nixen umgeben. Was sie antreibt, ist vielmehr eine tiefe, unerklärliche, von vornherein zum Scheitern verurteilte Sehnsucht nach einem anderen Leben voll menschlicher Wärme und erotischer Liebe, die ihr, dem bestaunten und von der Umwelt als unheimlich empfundenen exotischen Wesen aus einer anderen Welt, auf Dauer verwehrt bleiben wird. Etwas besser gelungen ist der Regie der zweite Akt am Hofe des Prinzen, in den sie sich verliebt hat und der, von ihrem fremdartigen, ätherischen Wesen fasziniert, ihre Liebe erwidert, sie sogar heiraten will, dann aber doch den Reizen einer Fürstin erliegt. Wie der Wassermann, der Rusalka nachgefolgt ist, um zu sehen, wie es ihr ergeht, das mitverfolgen muss, mit ihr mitleidet und verzweifelt ihr Brautkleid zerrupft, geht unter die Haut. Enttäuscht kehrt sie in ihre Welt zurück, wohl wissend, dass sie ihr altes Leben nicht mehr aufnehmen wird können, sondern in einer Art Zwischenwelt dahinvegetieren müsste. Der Prinz erkennt zu spät, dass er ohne sie nicht leben kann, folgt ihr, obwohl sie ihn davor warnt, nach und muss sterben.
Wieder einmal findet der Opernbesucher angesichts einer nicht gerade überschwänglich freudemachenden Inszenierung Trost in der Musik. Eine Erfahrung, die man leider immer häufiger machen muss. Tomás Hanus ist ein Dirigent, der die böhmischen Weisen in Dvoráks romantischer Oper anmutig zum Klingen bringt. Die melodienseligen Volksweisen der Naturwesen, Feen und Waldgeister ebenso wie die ausgelassene Polka im Duett zwischen dem Küchenjungen und seinem Onkel, dem Heger. Die auch an Wagner geschulte, leitmotivisch geprägte Kompositionsweise des tschechischen Meisters, die mit ihren durchkomponierten Szenen und lyrischen Nummern und der Melodik aber durchaus eigenständige Züge aufzuweisen hat, ist bei ihm in den besten Händen. Das Blech und die Holzbläser präsentieren sich an diesem Abend in bester Feierlaune.
Das längst erwartete Hausdebüt der amerikanischen Sopranistin Corinne Winters, die an den großen Bühnen der Welt, bei den Salzburger Festspielen, aber auch am Theater an der Wien als Halka in der gleichnamigen polnischen Nationaloper von Stanisław Moniuszko bereits erfolgreich war, gelingt vorzüglich. Winters verfügt über eine ausdrucksstarke, schöne Stimme und ist eine hervorragende Darstellerin. Ihre Tanzschritte, voll Freude und Lust, aber auch in Momenten wachsender Verzweiflung, sind eine ganz eigene Fähigkeit, die ihr kaum jemand nachahmen wird können. Das Lied an den Mond, in dem Rusalka ihrer Sehnsucht nach einer menschlichen Seele Ausdruck verleiht, berührt ebenso wie das ihr auferlegte Schweigen, das beredt ist und im zweiten Akt ihr Umkippen von hoffender Erwartung in bodenlose Enttäuschung vermittelt. Nicht zu vergessen ihre Arie zu Beginn des dritten Akts, in der sie irrlichternd ihre Resignation und Entpersönlichung bekundet wie auch ihren Todeswunsch.
Pavel Cernoch kann als Prinz mit seinem baritonal gefärbten Tenor vor allem in der Traumarie punkten, gestaltet aber auch seine vorübergehende Entfremdung von Rusalka, die er zugunsten der standesgemäßeren Fürstin verstößt, und seine Rückkehr zu ihr in packender Weise. Er ist fasziniert von ihr, gesteht ihre seine Liebe und zeigt sich doch irritiert über ihre Stummheit und Kühle.
Einen starken Auftritt hat Eliska Weissova als Fremde Fürstin. Gerade als der Prinz Rusalka in einer Arie seine Liebe offenbart, platzt sie hinein, gehässig, eifersüchtig und neidisch, und hindert ihm am Abschluss seiner Offenbarung. Die tschechische Sopranistin, die unter der Leitung von Tomás Hanus schon bei ihrem Hausdebüt als Kostelnicka in Jenufa auf sich aufmerksam gemacht hat, kann ihre kraftvolle Stimme wie auch ihr schauspielerisches Talent erneut überzeugend ausspielen. Höchst dramatisch gestaltet Adam Palka seine Rolle als Wassermann. Ein mächtiger, tiefer Bass, der als besorgter Übervater auch enorm viel Wärme, Liebe und Anteilnahme ausstrahlen kann und miterleben muss, wie Rusalka seine Warnungen in den Wind schlägt und dann das eintritt, was er vorhergesagt hat.
Sichtlich ungerührt von Rusalkas tragischem Schicksal hingegen zeigt sich die Hexe Jezibaba, die mit ihrer Zauberkraft Rusalka den Weg in die Welt der Menschen ermöglicht hat. Okka von der Damerau verkörpert diese Inkarnation des Bösen mit einschüchternder Autorität, einem bedrohlich wirkenden, wallenden schwarzen Kleid und einem farbenreichen Mezzosopran. Dass sie am Schluss den verschreckten Küchenjungen – ein erfreuliches Wiedersehen mit dem langjährigen Ensemblemitglied Margaret Plummer – mit Messerstichen tötet und die drei Elfen wie Vampire dessen Blut aus den Wunden saugen, ist ein ärgerlich unsinniger Einfall des Regisseurs, der mit seiner Inszenierung nicht verzaubert, sondern nur verstört. Die gesangliche Qualität des Terzetts (Anna Voshege, Juliette Mars und Daria Suskhova) zeigt sich diesem Missgriff aber zum Glück unbeeinflusst und singt so frohgemut und gefällig, wie man es von Waldgeistern erwarten darf.
Wie Sushkova stammt auch Nikita Ivasechko bei seinem Rollendebüt als Jäger aus dem Opernstudio, dem auch der Tenor Stefan Astakhov angehörte, der inzwischen aber zum Ensemblemitglied aufgestiegen ist und einen spiel- und singfreudigen Heger (Förster) abgibt.
Das Publikum zeigt sich vom Dargebotenen sehr angetan und spendet nach mehr als drei Stunden gute sieben Minuten Applaus, mit dem wohl auch dem wie immer guten Chor ein verdientes Lob ausgesprochen wird.