WIEN / Staatsoper: ROMÉO ET JULIETTE
63. Aufführung in dieser Inszenierung
14. September 2024
Von Manfred A. Schmid
Die Bühne für Charles Gounod Oper besteht in der Inszenierung von Jürgen Flimm aus dem Jahr 2001 vor allem aus Lichtdesign, auf dem Programmzettel auch „Lichtarchitektur“ genannt. Patrick Woodroffe verwendet neben Kerzen und Spotlights auch leuchtende Würfel, die wie einsame Nachtkästchen auf der Bühne platziert sind. Ganz vorne, in der Mitte, gibt es, für die Treffen Roméos mit Juliette, eine halbkreisförmige, hell leuchtende Plattform, die später auch als Bett fugiert und später auch einmal hochgeklappt wird. Alle Aktionen spielen im Dunkel der Nacht, der schwarzblaue Himmel ist von roten Sternchen (Röschen?) übersät. Etwas kitschig, bei dieser Oper aber durchaus okay. Für Emotionen ist in erster Linie ohnehin die Musik zuständig. Bertrand de Billys Dirigat ist einfühlsam und fein ausbalanciert: Gefährlich brodelnd und dunkel die Ouvertüre, ausgelassen und dennoch irgendwie gehetzt die folgende Ballszene. Ereignishaft das kurze Vorspiel zum zweiten Akt mit der anmutig durchschimmernden Harfe. Hochdramatisch und doch gut abgestimmt auf die intimeren Intentionen in Gounods manchmal etwas zu manieriert daherkommender Partitur. Von Behäbigkeit, wie sie bei der ersten Aufführung der Wiederaufnahme vereinzelt moniert worden war, jedenfalls keine Spur.
Saimuir Pirgu ist ein famoser, höhensicherer und auch darstellerisch guter Roméo. Der aus Albanien stammende Tenor stellt einen zunächst etwas verhaltenen Typen dar, der aber bei der ersten Begegnung mit Juliette voll aufblüht und in „Ange adorable“, dem ersten der vier Liebesduette, mit seiner helle, ungekünstelten Stimme im oberen Register punktet. Er weiß aber auch in den zärtlichen Passagen, wie etwa in „Ah! Leve-toi soleil“, mit seiner Gestaltungskraft gut umzugehen. Wenn man ihm zuhört, denkt man unwillkürlich an Roberto Alagna, sein großes Vorbild. Nur an Benjamin Bernheim, dem derzeit wohl weltbesten Romeo, kommt er nicht ganz heran.
Nadine Sierra ist als Juliette ideal besetzt. Die amerikanische lyrische Sopranistin überzeugt in den strahlenden oberen Lagen ebenso wie in der Mittellage, in der sie mit vollem, cremigem Ton ihr technisches Können und ihre Stimmstärke dokumentiert. Charmant und leichtfüßig ihre Darbietung des Walzers „Je veux vivre“, innig und unverstellt in der Balkonszene, die in dieser Inszenierung allerdings ohne Balkon auskommen muss, wie auch in den Liebesduetten. Den unbestrittenen Höhepunkt des Abends liefert Sierra in der hochdramatisch gestalteten Gift-Arie „Amour, ranime mon courage“, schwankend zwischen Angst und Entschlossenheit und einmündend in eine für ein so junges Geschöpf – Shakespeares Julia ist dreizehn – unfassbare Entscheidung. Bei einer Vorstellung in Bilbao erhielt Sierra für ihre Darbietung dieser Arie jüngst so stürmischen Applaus, dass es zu einem Da capo kommen musste. Das hätte auch diesmal in Wien durchaus der Fall sein können. So begeistert fällt auch hier die Reaktion des Publikums aus.Nadine Sierra und Saimur sind ein ansprechendes Paar. Die Chemie zwischen ihnen scheint jedenfals bestens zu klappen. Die Duette fallen fabelhaft aus, besonders das überschwängliche „Nuit d‘hyménée“.
Die folgenschwere Fehde der beiden Veroneser Familien Capulet und Montague wird von zwei Streithähnen personifiziert. Der Bariton Stefan Astakhov hat als Mercutio einen starken Auftritt mit der scherzhaften Arie „Mab, la reine des mensonges“, Daniel Jenz, wie Astakhov Ensemblemitglied, ist ein feuriger, draufgängerischer Tybalt.
Patricia Nolz liefert mit ihrer Gestaltung der Rolle des Pagem Stephano und der lässig dargebotenen „Que fais-tu, blanche tourterelle“ ein weiteres Beispiel ihrer vielseitigen Einsetzbarkeit. Das gilt auch für ihren Kollegen, den Bassbariton Peter Kellner. Er ist der hilfsbereite Frère Laurent, normalerweise ein einfacher Mönch, in Jürgen Flimms Inszenierung aber mit roter Kappe wohl schon längst zum Prior avanciert. Allzeit präsent und stets geschäftig.
Anita Monserrat als Gertrude ist als skurril auftretende Gertrude, Juliettes Amme, eine sehr kurzfristige Einspringerin für Stephanie Houtzeel, kommt aus dem Opernstudio und macht ein tadelloses Debüt.
Wolfgang Bankl, ein Bass für so gut wie alle Fälle, ist ein markanter Capulet, der um Tybalt aufrichtig trauert, seiner Tochter aber fatalerweise mit Graf Paris (geziert und geckenhaft Andrei Maksimov aus dem Opernstudio) zwangsverheiraten will. Für Komik sorgen die fein ausgearbeiteten Auftritte von Marcus Pelz als Grégorio, Dan Paul Dumitrescu ist ein imponierend in Erscheinung tretender Herzog, der schon fast so dröhnt, als ob er sich als Großinquisitor in die falsche Oper verirrt hätte.
Der Chor und die Ballettakademie tragen das Ihre zum Gelingen eones Abends bei, der heftig applaudiert wird. Der Wiener Staatsoper ist zur Saisoneröffnung mit Carmen, La Traviata und Roméo et Juliette etwas gelungen, das man im Fußball einen Hattrick nennen würde. Chapeau und weiter so!