„RIGOLETTO“ an der Wiener Staatsoper am 4.10.2022
Simon Keenlyside. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Hofnarr und Gilda in Premierenbesetzung: Die Wiener Staatsoper spielt wieder „Rigoletto“. Leider nach wie vor in der Inszenierung von Pierre Audi aus dem Jahr 2014.
Für den Anblick dieses schäbigen Bühnenbilds (garniert mit schwarzen („Regie-“)Müllsäcken als abrundendem „dekorativem“ Element) und für Pierre Audis düstere, eindimensionale Regie, würde man keinen Cent ausgeben wollen, verlockte einen nicht Verdis geniales Werk und die Hoffnung auf eine musikalisch fesselnde Aufführung zu einem Besuch. Wie hat es nicht Philippe Jordan, (noch) Musikdirektor der Wiener Staatsoper, unlängst in einem Interview zusammengefasst? Ein großer Teil des Publikums gehe inzwischen trotz und nicht wegen der Inszenierungen in die Oper.
Dieser Befund wird auch durch eine wie immer geartete Motivation, die Jordans Interview in der Tageszeitung „Kurier“ vom 2. Oktober angeregt haben mag, nicht (!) in Frage gestellt – und die Staatsoperndirektion würde sich wundern, wie viel Zustimmung Jordan mit seinen Aussagen unter dem Stammpublikum ausgelöst hat. Geht man nicht selbst viel zu oft unter schweigendem Protest in eine Opernaufführung, weil einem die szenischen, von Dramaturgen, Regisseuren und Intendanten weitschweifig begründeten „Verschwurbelungen“ einfachster Opernhandlungen nur mehr auf die Nerven gehen?
Aber zurück zu dieser Vorstellung, der zweiten der aktuellen Aufführungsserie: Simon Keenlyside, während der Premiere aus gesundheitlichen Gründen zur Aufgabe gezwungen, konnte von misslichen äußeren Einflüssen ungetrübt dem Wiener Publikum jetzt endlich seine Rigoletto-Interpretation nahe bringen. Keenlysides Rigoletto ist vor allem eines: gequälte Kreatur. Den Hofnarren sucht man bei ihm vergeblich, Buckel hat er keinen, er hinkt dann und wann, er scheint vor allem psychisch deformiert. (Bei der Premiere hat Keenlyside mit nacktem Oberkörper gespielt und gesungen, das ist nicht mehr der Fall.)
Keenlysides Rigoletto leidet stark, sein Narrentum klingt wie Notwehr, selbst in seinen väterlichen Gefühlen findet er keinen Trost: Es ist ein Leben voller Angst und Schrecken, das diesen Mann beherrscht. Keenlysides darstellerischer „Existentialismus“ planiert die Doppelbödigkeit des Charakters, lässt nur mehr menschliche Ausbeutung gelten, wo man als Publikum in Rigolettos Wesen auch einen anpassungsgenährten Sadismus wittern könnte oder – im Gegensatz zur Mördergrube des Hofstaates – echt herzlich empfundene, überbordende väterliche Gefühle: Die Gefahr einer gewissen Eindimensionalität stellt sich ein.
Auch gesanglich vermag Keenlyside den Charakter kaum zu variieren. Seine Stimme klingt sehr trocken, hält zum Beispiel für die angesprochenen väterlichen Gefühle keinen Schmelz mehr bereit, besitzt kaum Reserven, um mit dem packenden Fortschreiten der Handlung noch zulegen zu können. Natürlich fasziniert, wie schonungslos sich der Sänger seine Rollen aneignet, wie kompromisslos er sie auf die Bühne stellt, aber ein wenig schert er sie dann doch alle über einen Kamm: Und wo sein Rigoletto vorübergeht, steht bereits der Wozzeck hinter der nächsten Mauerecke.
Erin Morley, Simon Keenlyside. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
An Tochter Gilda, gesungen von Erin Morley, sind die acht Jahre seit der Premiere relativ spurlos vorübergegangen. Ihr Sopran ist nach wie vor hell und leicht, manchmal ein wenig unstet, in der Höhe ein wenig ungeschmeidig. Ihre Gilda erwies sich im Wesentlichen als das hübsch-naive, unspektakuläre Opfer all dieser Umtriebe. Benjamin Bernheim sang einen stimmkräftigen Herzog. Seine Tenor hat Metall und Volumen, strebt über die Partie bereits hinaus. Seine Verführungskünste versteckten sich demgemäß weniger hinter lyrischer Erotik, sondern zeigten bereits deutlich das triebhafte Begehren. Der „Student“, der sich bei Gilda einschmeichelt, ging stimmlich „brunftig“ zur Sache, eroberte ihr Herz mehr mit unnachgiebigen Drängen als über die Mitleidsmasche. Gegenüber Keenlysides aufopfernder Rollengestaltung wirkte er blass, dafür überstrahlte er mit seinem Tenor alle anderen auf der Bühne (wobei er sicheren Pfaden folgte und auf „extravagante“ Spitzentöne verzichtete).
Evgeny Solodovnikov war mir als Sparafucile zu wenig nachdrücklich und unheimlich, Monica Bohinec auch in stimmlicher Hinsicht der interessantere Teil dieses Geschwisterpaares. Attila Mokus sandte Rigoletto eine soliden Fluch, und als weitere Mitglieder des Ensembles seien genannt – Daria Sushkova (Giovanna), Michael Arivony (Marullo), Agustín Gomez (Borsa), Jusung Gabriel Park (Graf von Ceprano), Jenni Hietala (Gräfin von Ceprano) Ileana Tonca (Page), Michael Wilder (Huissier). Dazu gesellte sich noch der, den Fürstenhof mit Gesangeslust erweiternde Staatsopernchor. Pier Giorgo Morandi sorgte im Orchestergraben für einen Verdi in bester „kapellmeisterlicher“ Aufmachung, mit Schwung und gutem Gespür für emotionale und dramatische Höhepunkte. Der Schlussapplaus dauerte rund sieben Minuten lang. Es gab reichlich Bravorufe für die wichtigsten Protagonisten und den Dirigenten.
Dominik Troger/ www.operinwien.at