Wiener Staatsoper 08.10.2022: Giuseppe Verdi RIGOLETTO
Erin Morley, Simon Keenlyside. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Die aktuelle Rigoletto-Serie an der Wiener Staatsoper gibt den Besuchern die Gelegenheit nun endlich Simon Keenlyside mit seiner Interpretation der Titelrolle in der Pierre-Audi-Produktion zur Gänze sehen zu können. Als diese 2014 aus der Taufe gehoben wurde, zwangen Stimmprobleme den britischen Bariton die Premierenvorstellung nach dem zweiten Akt abzubrechen. Er konnte auch keine der Folgevorstellungen mehr übernehmen. Es sei angemerkt, dass das Wiener Opernpublikum Keenlyside natürlich schon im Jahre 2013 in der Vorgängerproduktion als Rigoletto erleben konnte.
Nun hat man mit Keenlyside die Möglichkeit die Rolle so zu sehen wie sie seinerzeit von Pierre Audi erdacht worden war.
Dieser Rigoletto ist nicht nur einfach ein Hofnarr mit körperlichen Einschränkungen, nein, bei Audi ist Rigoletto auch eine psychisch geschundene Figur, die – durch all die Hänseleien und Schikanen der Günstlinge am Hof des Herzogs – auch mit einem ausgeprägten seelischen Leid zu kämpfen hat.
Es fällt auf, dass Keenlyside’s Bariton zuletzt deutlich markanter, kräftiger und dramatischer geworden ist, was seiner vokalen Rollengestaltung natürlich zu Gute kommt. Rigoletto’s Ausbrüche erklingen imposant und verfügen über ausreichend dramatisches Volumen, wobei Keenlyside stimmlich gerade hier mit Fortdauer der Aufführung immer noch etwas nachlegen kann. Doch sind es die zärtlichen Momente die ihm ganz besonders gut gelingen. So beispielsweise das erste Duett mit seiner Tochter Gilda, bei dem er berührendsten Schmelz bei Piangi, fanciulla, piangi verströmt.
Darstellerisch ist der Rigoletto des österreichischen Kammersängers aber ein absolutes Meisterstück! Schon beim musikalischen Vorspiel zum ersten Akt steht er auf der Bühne und lässt als Rigoletto einen stummen, schmerzverzerrten Schrei erkennen.
Zum einen ist dieser Hofnarr ein verbitterter Zyniker, der vor lauter Angst um seine Tochter zum Psychotiker mutiert, aber er ist gleichzeitig auch der liebevollste und zärtlichste Vater.
Der von der britischen Monarchie zum Sir geadelte Bariton ist zudem wendig und gelenkig wie eh und je – das Älterwerden scheint ihm nichts anzuhaben – und so hat er kein Problem auf Leitern hochzuklettern und auf diesen zu hängen oder über Treppen zu springen.
Unglaublich berührend und ergreifend ist, als er die letzten Phrasen der Arie Cortigiani, vil razza dannata auf dem Boden liegend singt, spielt und „durchleidet“.
Als seine Tochter dann am Ende in seinen Armen stirbt gleitet er mit ihr seitlich zu Boden. Man hat das Gefühl Rigoletto legt sich zu ihr, um an ihrer Seite auch gleich zu sterben. Ähnlich wie man es von Quasimodo kennt, der sich zur toten Esmeralda legt und stirbt. Ein ergreifender Schluss!
Das Warten auf Keenlyside’s Rigoletto hat sich wahrlich gelohnt. Er erreicht eine darstellerische Tiefe die in dieser Rolle derzeit wohl konkurrenzlos ist.
Aber auch die anderen Hauptrollen sind erstklassig besetzt. Benjamin Bernheim ist nicht nur rein optisch ein attraktiver Herzog von Mantua, dem man sofort glaubt, dass er auf Frauen wirkt. Auch stimmlich beeindruckt er mit seinem lyrischen Tenor, der schon eine beachtliche Portion Metall mitbringt. Die Stimme springt in allen Lagen hervorragend an. Die Töne sitzen eindrucksvoll, egal in welcher Tonhöhe. Man hört erstaunt zu wie locker und leicht dem Franzosen das alles gelingt.
Ausgerechnet beim finalen Schlusston von La donna e mobile schleicht sich eine kleine Unsicherheit ein – oder ist es doch eine beginnende Indisposition, die sich dann abermals beim gleichen Ton beim finalen pensier hinter der Bühne wiederholt?
Die hervorragende Gesamtleistung von Bernheim schmälert das natürlich nicht im Geringsten.
Bernheim‘s Herzog ist kein selbstverliebter Macho, er legt die Rolle subtiler, feiner an, als so mancher andere Rolleninterpret. Das macht die Figur sympathischer und es ist nachvollziehbar, dass Gilda sich in diesen Mann verlieben kann, der doch in Wirklichkeit ein treuloser Frauenheld ist. Umso größer muss dann der Schock für sie gewesen sein, sein offensives Balzen um Maddalena zu beobachten.
Die Gilda dieser Aufführung ist Erin Morley, die die Partie bereits in der Premierenserie gesungen hat. Ihr glockenklarer Sopran verliert in den extremen Spitzentönen zwar etwas an Volumen, ist aber nach wie vor jugendlich leicht und zart, und macht aus ihr eine gute Rolleninterpretin, die besonders im Spiel mit ihrem Vater harmoniert.
Monika Bohinec ist eine ideale Besetzung für die Maddalena und wie immer ein Gewinn im Ensemble der Wiener Staatsoper. Der Sparafucile von Evgeny Solodovnikov ist mit einem schön timbrierten Bass ausgestattet, der sich aber (noch) zu wenig beängstigend anhört.
Viele junge Sänger – die neu im Ensemble der Staatsoper sind – machen einen guten Eindruck in den kleineren Rollen. Darunter seien Attila Mokus als stimmdeutlicher Monterone und Agustin Gomez als spielfreudiger Borsa genannt. Aber auch Jenni Hietala und Jusung Park als Grafenpaar Ceprano und vor allem auch die stimmlich sehr präsente Daria Sushkova als Giovanna machen in ihren kleinen Auftritten einen guten Eindruck.
Mit Pier Giorgio Morandi steht ein Kenner der Musik Verdi’s am Pult, da geht es zügig und spannend zur Sache. Für dieses Dirigat erhält Morandi nach der zweiten Pause einen stark bejubelten Auftrittsapplaus. Ein Jubel der sich auch beim Curtain Call wiederholt.
Ein extra Lob gebührt mal wieder dem Chor der Wiener Staatsoper, der sich einfach großartig disponiert präsentiert und erklingt.
Es gibt bereits während der Vorstellung immer wieder Szenenapplaus des zufriedenen Publikums und am Ende natürlich besonders viel Jubel für Keenlyside, Bernheim und Morley.
Eine Rigoletto-Vorstellung wie man sie sich nur wünschen kann!
Lukas Link