Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN / Staatsoper: RIGOLETTO

Unter dem Fluch leidet nunmehr- wie vorgesehen - nur noch der Narr

rigo2

Benjamin Bernheim (Herzog) und Erin Morley (Gilda). Alle Fotos: Wiener Staazsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: RIGOLETTO – der Bann ist endlich gebrochen

36. Aufführung in dieser Inszenierung

1. Oktober 2022

Von Manfred A. Schmid

La maledizione (Der Fluch) lautete der Arbeitstitel der Oper, als Verdi sich mit dem Stoff zu beschäftigen begann. Seit bei der Premiere der Rigoletto-Neuinszenierung 2014 Simon Keenlyside in der Titelrolle krankheitshalber derart indisponiert war, dass er am Ende des 2. Akts durch Paolo Rumetz ausgetauscht werden musste, hält sich das Gerücht, dass ein verhängnisvoller Fluch auch auf dieser Wiener Produktion liegen müsse. Erst im vergangenen März vermutete ein Online-Kritikerkollege scherzhaft, angesichts einer Unmenge von Umbesetzungen infolge von Corona, dass dieser Fluch wohl noch immer sein Unwesen treibe. Nun kann endlich Entwarnung gegeben werden: Der Bann ist gebrochen. Was in der jüngsten Aufführung geboten wird, ist von hohem Niveau, vor allem gesanglich. Nur die Inszenierung (von Pierre Audi) und das triste Bühnenbild (von Christof Hetzer) bleiben weiter ein Ärgernis, von das Wiener Publikum leider wohl noch lange gequält werden wird. Das ist aber keinem Fluch geschuldet, sondern einfach einer total misslungenen Umsetzung. Darstellerisch holen die Akteure das Maximum heraus, das unter den gegebenen Umständen möglich ist, und wissen auch so zu begeistern und zu berühren. Nicht auszudenken, zu welchen Leistungen sie in einer angemesseneren szenischen Umsetzung imstande wären.

Benjamin Bernheim kommen in seinem Wiener Rollendebüt als herzoglicher Verführer seine stimmlichen Qualitäten zugute. Sein lyrischer Tenor verströmt den nötigen Schmelz, hat aber auch einen starken metallischen Kern, so dass ihm stimmtechnisch ausgereifte Phrasierungen auch in den höchsten Spitzentönen schier mühelos gelingen. Ein südländischer Don Juan ist er in dieser Rolle freilich nicht, weiß aber mit seiner angenehm timbrierten Stimme in „La donna e mobile“ durchaus zu begeistern, auch wenn man diese Arie schon überzeugender gehört hat.

Als Gilda kommt Erin Morley zum Einsatz, die schon in der verhängnisvoll verlaufenen Premiere 2014 in dieser Rolle zu erleben war und der damals von der Kritik einen eher kleinen Sopran attestiert worden war. So klein aber ist ihre Stimme längst nicht mehr, auch wenn es ihr in der Höhe etwas an Fülle fehlen mag, was durch feines Vibrato aber geschickt kompensiert wird. Gerade damit gelingt es ihr, immerhin acht Jahre später, noch immer eine jugendliche, mädchenhafte, fast kindlich anmutende, naive Tochter darzustellen, die, von ihrem Vater von der Welt abgeschirmt, bei der ersten Begegnung mit dem (incognito als mittelloser Student daherkommenden) Herzog seinen schmeichelnden Verführungskünsten erliegt und sich für ihn in Liebe aufopfert, auch wenn sie sich von ihm verraten und betrogen fühlt. Wie in der Modewelt sind derzeit offenbar schlanke Stimmen durchaus angesagt. Nur der Scharfrichter unter den Wiener Online-Kritikern diagnostizierte, vor gar nicht so langer Zeit, dass Erin Morley nicht etwa nur eine kleine Stimme, sondern in Wahrheit gar keine haben solle, was allerdings auf ein schweres Ohrleiden hinweisen dürfte.

rigo3

Simon Keenlyside (Rigoletto).

Simon Keenlyside als buckelloser, nur dezent hinkender Rigoletto gestaltet die tragische, von innerer Zerrissenheit und sozialer Ausgegrenztheit geprägte Figur des unglückseligen Hofnarren mit viel Einfühlvermögen und hebt sich mit seiner schlanken Gestalt vom gewohnten Rigoletto-Bild wohltuend ab. Ein ungeliebter, zynischer Außenseiter, dem – von seiner Tochter abgesehen – kaum mit Sympathie begegnet wird, dessen hartes Schicksal dann aber doch berührt. Packend, hochdramatisch seine Reaktionen auf die Entführung und Schändung Gildas, seine verbitterte, verzweifelte Arie im zweiten Akt wird zu einem Höhepunkt der Oper. Der dritte Akt ist ganz auf ihn fokussiert. Keenlysides Rigoletto ist eine Bereicherung der derzeitigen Garde an Rigoletto-Darstellern, ganz an die imponierende Gestaltung etwa eines Ludovic Tezier kommt er aber nicht heran.

Ein Ereignis ist das Rollendebüt von Monika Bohinec. Im roten Kleid als Kontrast zur schwarzen Haarpracht, ist sie eine sinnliche, auch stimmlich üppige, magisch lockende Maddalena. Glücklich das Haus, das eine so vielseitig einsetzbare und wandlungsfähige Sängerin in seinen Reihen weiß.

Das gilt inzwischen auch für Evgeny Solodovnikov, der sich innerhalb kürzester Zeit – er ist erst seit der Saison 2020/21 Ensemblemitglied – in verschiedensten Rollen bewährt hat und mit seinem profunden Bass einen mehr als soliden, auf die Standesehre als Berufsverbrecher Wert legenden Auftragsmörder Sparafucile abgibt.

Als sich ungebrochen und mutig sich zur Wehr setzender Graf von Monterone, der das ausschweifende Leben des Herzogs nicht hinnimmt und deshalb hingerichtet wird, kommt Attila Mokus mit mächtig donnernder Stimme zum Einsatz. In kleineren Rollen machen frische Stimmen aus dem Opernstudio, darunter Daria Sushkova als Giovanna, Agustín Gómez als Matteo Borsa, Jusung Gabriel Park als Graf von Ceprano sowie Jenni Hietala als dessen Gemahlin auf sich aufmerksam. Schon auf mehr Erfahrung bauen kann Ensemblemitglied Michael Arivony als sich bei seinem Herrn einschleimender Höfling Marullo.

Pier Giorgio Morandi, in Wien gern gehört und gesehener Gast im italienischen Repertoire, führt kundig und mit guten Tempi durch die Aufführung. Schon im Vorspiel zeigt sich sein Gespür für dramatische Zuspitzungen. Hohes Lob verdient der Staatsopernchor, der sich in der erschütternden Fluchszene besonders bewährt und, trefflich einstudiert von Martin Schebesta, auch die tosende Gewitterstimmung beindruckend heraufbeschwört.

Viel und berechtigter Beifall und ebenso verdiente Bravi-Rufe schon während der Vorstellung und vor allem beim Schlussapplaus. Ziemlich ungetrübtes Vergnügen.

 

Diese Seite drucken