WIEN / Staatsoper: RHEINGOLD
20. Aufführung in dieser Inzenierung
4. Mai 2022
Von Manfred A. Schmid
Der Auftakt des im Mai zwei Mal aufgeführten Ring des Nibelungen in der Inzenierung von Sven-Eric Bechtolf kann mit einer Reihe von neuen Stimmen aufwarten. Nicht alle zeigen sich dafür so gut gerüstet, wie erhofft. Allen voran John Lundgren, der Wotan der Aufführungsserie, der an seine ansprechende Performance als Jochanaan in der Salome vor wenigen Wochen nicht anschließen kann. Von seinem kraftvollen Bariton ist an diesem Abend wenig zu vernehmen, eine Entwicklung, die sich seit seinem Bayreuth-Debüt 2016 allerdings schon des Öfteren angekündigt hat. Die stimmliche Durchschlagskraft des schwedischen Sängers ist offensichtlich einem Auf und Ab unterworfen, das dann auch seine Bühnenpräsenz beeinträchtigt. Jedenfalls agierte er diesmal nicht wie der selbstbewusste Wotan, der alle Warnungen ausschlägt und sich unbekümmert auf eine folgenschwere Untat einlässt, die letztendlich zu einer Katastrophe führen wird, sondern wirkt müde und resigniert. Es bleibt zu hoffen, dass sich Lundgren bis zur Walküre wieder einigermaßen stabilisiert.
Das dadurch entstehende Machtvakuum bietet allerdings Fricka, Wotans Frau, die Gelegenheit, die Zügel entschlossen in die Hand zu nehmen. Monika Bohinec ist bei ihrem ersten Einsatz als Fricka, mit ihrem ausdruckvollen, farbigen Mezzosopran und ihrer vielseitig erprobten Bühnenpersönlichkeit, eine durchsetzungsstarke Göttergattin. Es ist diesmal Fricka, die Hosen anhat.
Ein hinreißend imponierendes Rollendebüt gelingt auch Daniel Behle als umtriebiger, listenreicher Loge. Der hochgeschätzte Mozart-Tenor, der ein breitgefächertes Repertoire pflegt und an der Staatsoper zuletzt als souveräner Belmonte gefeiert wurde, zeigt, dass er auch das Zeug zu einem Charaktertenor erster Güte hat. Sein Loge ist das, was man heute einen spin doctor nennen würde. Ein aalglatter, skrupellose Medien-, Kommunikations-, Image- oder Politik-Berater, der Strategien entwickelt, um die nächste Wahl zu gewinnen, und sich um die nachhaltigen Folgen der von seinen Klienten getroffenen Entscheidungen nicht im Geringsten schert. Seit Heinz Zednik der vermutlich überzeugendste Loge.
Der eben vergleichsweise angeführte Heinz Zednik war auch ein hervorragend kauziger Mime. An diesen erinnert auch Jörg Schneider, der zum ersten Mal in dieser Rolle auf der Bühne steht. Nein, nicht steht, sondern unablässig in Bewegung ist und mit kläglich-quickendem Gezetter auf sich und sein Schicksal aufmerksam macht, dabei aber auch seine kriminelle Energie durchscheinen lässt. Dass dem versierten, wandlungsfähigen Ensemblemitglied auch diese komischen Rollen aus dem Charakterfach dienen, hat er jüngst als Hauptmann im Bergs Wozzeck schon gezeigt und diesmal erneut bestätigt. Ein Tenor für alle Jahreszeiten.
Mit Jochen Schmeckenbecher ist ein Routinier als Alberich angekündigt. Die Erfahrung in dieser Rolle kommt ihm zu Gute, doch wirkt er nicht in Routione erstarrt, sondern man spürt, dass er an der Gestaltung dieser tragischen Figur weiterarbeitet und ihr neue Facetten abgewinnt. Mit seinem wohltönenden Bariton zeichnet Schmeckenbecher eine dämonischen, körperlich und seelisch versehrten, gefährlichen Mann.
Regine Hangler ist eine stimmstarke Freia, in der Höhe etwas scharf. Als Erda wird mit Noa Beinart ein Mitglied des Opernstudios aufgeboten. Ihr Mezzo kling erstaunlich profund. Diese würdevolle, altersweise, elementare göttliche Ahnfrau mit einer so jungen Stimme zu besetzen, geht gerade noch gut, muss aber nicht zur Regel werden.
Mit jungen Kräften trefflich besetzt sind hingegen Donner und Froh. Ensemblemitglied Daniel Jenz (Tenor) als Froh und Opernstudiomitglied Erik Van Heyningen (Bariton) als Donner. Mit Spiellaune gestalten sie leichtgewichtige Götter, die sich wichtigmachen und wichtignehmen.
Die beiden imposanten Riesen (Kostüme Marianne Glittenberg) werden von Artyom Wasnetsov (Fasolt) und Dmitry Belosselskiy (Fafner) dargestellt. Tadellose Rollendebütanten. Mächtige Stimmen nehmen sich freilich anders aus.
Zauberhaft, überirdisch hell, aufeinander abgestimmt und damit fein ausgewogen klingt das Terzett der drei Rheintöchter Woglinde (Joanna Kedzior), Wellgunde (Patricia Nolz) und Flosshilde (Stephanie Maitland). Visitenkarten für das renommierte, von Direktor Roscic geförderte und geforderte, manchmal wohl auch überforderte Opernstudio.
Axel Kober, Generalmusikdirektor der Deutschen Oper am Rhein, ist eine gute Wahl für die musikalische Leitung des Ring. Das beginnt schon mit dem zarten, fast unhörbar beginnenden Vorspiel, das nach und nach anschwillt und das Gewoge des Rheins in Musik verwandelt und ankündigt, dass alles, was sich in weiterer Folge ereignet, wieder dort sein Ende finden wird. Blech und Holzbläser wie auch die Streicher zeigen sich in bester Verfassung. Nie zu laut.
Der begeisterte Applaus im vollen Haus gilt vor allem der Musik, dem Gesang und dem Orchester. Der innovationsfreudige Staatsoperndirektor täte gut daran, die schwache Inszenierung so bald wie möglich zu ersetzen.
Manfred A. Schmid