é Momnus
WIEN / Staatsoper: Giacomo Puccinis LA BOHÈME
444. Aufführung in dieser Inszenierung
6. Jänner 2022
Von Manfred A. Schmid
Saimir Pirgu, Nicole Car. Foto: Wiener Sataatsoper/Michael Pöhn
Zeffirellis klassische La Bohème-Inszenierung aus dem Jahr 1963 ist ein gut gepflegtes Museumsstück im Repertoire der Wiener Staatsoper. Vermutlich haben sich viele daran schon sattgesehen. Nur noch große Namen locken einen aus der Reserve. Von der ursprünglich angekündigten Besetzung für die eben angelaufenen Aufführungsserie ist zwar nicht mehr viel übriggeblieben, aber einige der Einspringer lassen dennoch auf einen gelungenen Opernabend hoffen. Die koreanischen Dirigentin Eun Sun Kim, die bereits eine beachtliche internationale Karriere vorzuweisen hat, beginnt ihr Staatsoperndebüt mit einem Patzer. Ganz zu Beginn der orchestralen Einleitung haben ein, zwei Bläser ihren Einsatz verpasst. Gab es Verständigungsprobleme? Im weiteren Verlauf sind aber keine weiteren Unstimmigkeiten zu registrieren, die Koordination zwischen Orchestergraben, Bühne und Bühnenmusik (in der Jahrmarktszene) funktioniert klaglos, und das Orchester liefert eine solide, unspektakuläre Leistung ab. Am besten gelingt der Dirigentin die Ensembleszenen im Café Momus im 2. Bild. Der sparsam und duftig instrumentierten Einleitung zum 3. Bild, die die winterliche Stadtlandschaft mit feinen Pinselstrichen markiert, fehlt es hingegen an Spannung.
Nicole Car, in Wien u.a. bereits als Tatjana und Margarete zu erleben, gibt als Mimi ihr bisher gelungenstes Staatsopern-Rollendebüt und bestätigt den guten Ruf, den sie sich in dieser Partie an der Royal Opera Covent Garden, Paris Opéra und an der MET erworben hat. Sie singt unaufdringlich und fein, trägt nicht groß auf, und passt so ausgezeichnet zur entzückend ehrlichen und rührend einfachen Näherin, die dennoch zu leidenschaftlichen Gefühlsausbrüchen in der Lage ist. Wenn sie etwa davon schwärmt, was die ersten Sonnenstrahlen an einem Frühlingsmorgen für sie bedeuten.
Schon erfolgreich in seiner Paraderolle als Rodolfo in Wien aufgetreten ist Saimir Pirgu. Sein lyrischer Tenor, in den tieferen Lagen baritonal gefärbt, macht ihn zu einem idealen Interpreten für diese Partie, die auch eine Lieblingsrolle seines Mentors und Lehrers Luciano Pavarotti war. Seine mit wunderbarem Legato geführte Stimme schwebt melodiös und in großen Bögen über dem satten Orchesterklang. Die Duette mit Mimi – insbesondere „O soave fanciulla“ und „Sono andati? Fingevo di dormire“ – sind fein abgestimmt. Pirgu kann auch mit seinen darstellerischen Fähigkeiten voll auftrumpfen.
Ensemblemitglied Slavka Zamecnikova verfügt über einen hellklaren, höhensicheren Sopran, der sich auch in den Koloraturen als sattelfest erweist. Ihrer Auftrittsarie – „Quando m’en vò“, auch Musetta-Walzer genannt – fehlt aber der elektrisierende Moment, der alle Aufmerksamkeit im Getümmel vor dem Café Momus mit einem Mal auf sich zieht. Besser gelingt ihr der flirtende Umgang mit Marcello und ihre wahrhaftige, sorgenvolle Beziehung zu Mimi.
Ètienne Dupuis, im Privatleben übrigens Ehemann von Nicole Car, hat man in Wien bereits als geschätzten Valentin in Faust wie auch als Figaro in der turbulenten Barbiere-Neuinszenierung von Herbert Fritsch kennen und schätzen gelernt. Als Maler Marcello tritt er als ausdrucksstarker, viriler, stets präsenter Kavalierbariton in Erscheinung.
Ryan Speedo Green, in seiner Zeit als vielfach eingesetztes Ensemblemitglied bei der Kritik nicht immer besonders geschätzt, ist jetzt als Gast zurückgekommen und überrascht mit einem gut gesungenen Colline. „Vecchia zimarra, senti“, die Mantelarie des Philosophen ,wird ebenso mit Applaus bedacht wie die Arie „Or vi diro…““ seines Musikerkollegen Schaunard. Der im Haus am Ring schon desöfteren eingesetzte Martin Häßler unterstreicht in dieser Rolle erneut seine Eignung als vielseitiger Charakterbariton im Ensemble der Staatsoper, dem er seit 2020 angehört.
Für komische Momente sorgt Marcus Pelz mit seinen liebevoll angelegten Auftritten als Zimmervermieter Benoit und als düpierter Kavalier Alcindor. Unterstützung bekommt er dabei von Wolfram Igor Derntl, der bei seinem Einmarsch als Spielzeugverkäufer Parpignol an der Spitze der ausgelassenen Kinderschar (Opernschule der Wiener Staatsoper) für Lacher sorgt.
Freundlicher Beifall im gut besuchten Opernhaus, der allerdings nicht allzu lang andauert. Möglicher Grund: Die verordnete Sperrstunde ist bereits überzogen.