WIEN /Staatsoper:
PIQUE DAME von P.I. Tschaikowski
23. Aufführung in dieser Inszenierung
19. Jänner 2013
Was die Besetzung dieser Vorstellung betrifft, so ist ja kein Stein auf dem anderen geblieben – mit Ausnahme des Brillanten, der im Grunde als einziger an diesem Abend wirklich Interesse erregte. Grace Bumbry (für mich persönlich die Eboli aller Ebolis, so sinnlich, gefährlich und faszinierend wie keine ihrer auch großen, grandiosen Kolleginnen), Bayreuths „schwarze Venus“, Karajans Carmen, bei uns außerdem auch noch Amneris, Acuzena, Santuzza (als Lady Macbeth habe ich sie nur in London neben Sherrill Milnes gehört). Sie ist dann unter den kritischen Augen ihrer Fans zum Sopran mutiert und als Norma, Salome und Tosca an der Staatsoper aufgetreten, zuletzt war sie hier 1990 zu hören.
1997 hat sie sich von der Bühne zurückgezogen – vor zwei Jahren kam sie wieder. Nun auch nach Wien – mit einer idealen Rolle: der Gräfin in „Pique Dame“. Die könnte man ja auch (Anja Silja hat es vorgemacht) mit wenig Stimme singen. Aber die Bumbry, die vor wenigen Tagen – am 4. Jänner – ihren 76. Geburtstag gefeiert hat, verfügt durchaus noch über Material und außerdem über die Technik, es ohne Gewalt einzusetzen. Leider erlaubt ihr die tödliche Wiener Nemirova-Inszenierung gar keine darstellerische Wirkung in der Rolle, sie muss sich im Pelzmantel herumschleppen, und auch der „Walk“ durch den Zuschauerraum im Gewand Katharinas der Großen macht nicht wirklich Effekt. Die Schäbigkeit der Szenerie und Deutung schadet allen Beteiligten, aber die Bumbry – die ja auch im Einheitsbühnenbild kein eigenes Zimmer hat, wo sie in Ruhe nachsinnen und dann von Hermann wirklich „überfallen“ werden könnte – macht zumindest ihre französisch gesungene Arie, in der sie die Vergangenheit beschwört, zu einem Erlebnis. So stilsicher, elegant und besinnlich gestaltet wie nur möglich, ist es ein kurzes Highlight, das sie sich im Inszenierungsjammer des Abends sichert, aber ein unvergessliches.
Neben ihr gab es fünf weitere Rollendebutanten in dieser Vorstellung, die wichtigste war sicherlich Hasmik Papian. Dafür, dass diese attraktive Armenierin in Wien lebt, ist sie in der Staatsoper ein rarer Gast – freilich, einspringen darf sie, wenn man Glück hat, ist sie ohnedies zuhause und kostet nicht einmal Reisespesen. Denkt man an die bisherigen Lisas dieser Neuinszenierung, Serafin, Ushakova und Denoke, so hat sich jede dieser Damen mit der Rolle geplagt. Die Papian, die eine ausgewiesene Hochdramatische ist und über eine breite slawische Stimme verfügt, tut sich vergleichsweise noch am leichtesten – wenn auch bei ihr am Ende, wenn es ans Sterben (in die selbstverständlich weit und breit nicht einmal angedeutete Newa) geht, die hohen Töne scharf werden. Man hätte sich gerade für diese Jung-Mädchen-Rolle vielleicht eine weniger weiblich-reife Künstlerin vorgestellt, aber Spiel, Gesang und Ausstrahlung fügten sich zu einer sehr schönen Leistung.
Bleiben wir bei den Damen: Nadia Krasteva ist von ihren internationalen Auftritten wieder einmal kurz an ihr ehemaliges Stammhaus zurück gekehrt, allerdings nicht zu einer großen Aufgabe, sondern für jenes Nebenrollen-Repertoire, vor dem sie eigentlich geflohen ist. Ihre Qualitäten – die tiefdunkle Stimme, die sexy Ausstrahlung – sind ungeschmälert. In der Szene der „Pastorale“, wo die Krasteva mit rotem Cowboyhut und ganz tiefem Ausschnitt prunkt, darf dann auch Caroline Wenborne (nebenbei die Dienerin) dann rundlich-hübsches Äußeres und einen schönen Sopran hören lassen. Juliette Mars sang erstmals die Gouvernante, in einer kurzen Szene als strenge Herrin zankend.
Marian Talaba rettete den Abend, denn einen Hermann zaubert man nicht so schnell aus dem Hut. Er hat die Rolle vor vier, fünf Jahren schon ein paar Mal gesungen, musste also nicht gänzlich ins kalte Wasser springen, er wusste schon, welches Konzept („Halb-Irrer im schwarzen Ruderleiberl“) die Regisseurin für Shicoff ausgedacht (bzw. ihm auf den Leib seiner neurotischen Persönlichkeit geschneidert) hat. Natürlich ist der Hermann für Talaba gesanglich ein paar Nummern zu groß, was sich vor allem zu Beginn in einer engen, gepressten Höhe und kaum hörbaren Passagen äußerte, aber im Laufe des langen Abends spielte und sang er sich quasi in die Rolle hinein, dass er vor allem im letzten Bild sich selbst und dem Abend ein beeindruckendes Finale verschaffte.
Eijiro Kai als Jeletzki hingegen hat die Absage von Boaz Daniel wohl ins kalte Wasser geworfen. Die Rolle ist glücklicherweise nicht viel mehr als die große Arie, die er mit markiger Stimme wacker sang (ein paar Hände rührten sich dafür), und irgendwann muss der Japaner wohl von der Staatsoper weg, um anderswo die wirklich großen Partien zu singen.
Tómas Tómasson gab Tomski, der bis dato fest bei Albert Dohmen ruhte, und leider kam die Stimme des Isländers an diesem Abend ziemlich hart und trocken über die Rampe, wenngleich er als Persönlichkeit fesselte. Herwig Pecoraro (Tschekalinski) und Sorin Coliban (Surin) sind von der Regie wie ein Dodel-Komikerpaar geführt, Benedikt Kobel und Dan Paul Dumitrescu tauchen im letzten Akt auf, Marcus Pelz kann man glatt übersehen.
Dass dieser Abend, der zweifellos viele Untiefen zu umschiffen hatte, im Endeffekt doch noch so erfolgreich ausgefallen ist, dankte man nicht zuletzt dem Dirigenten Marko Letonja, der mit dieser Tschaikowski-Oper einen überzeugenden Einstand an der Staatsoper lieferte. Von Anfang an spürte man eine feste Hand, die für einen nie schleppenden Ablauf sorgte, aber auch nie über Schweres oder Lyrisches hinwegeilte. Da war sehr viel Instinkt für Tschaikowski zu spüren, für das Gefühlstiefe ebenso wie für das prächtig Opernhafte.
Renate Wagner