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WIEN/ Staatsoper: PIQUE DAME – letzte Vorstellung der Serie

WIEN / Staatsoper: „PIQUE DAME“ –   30.01.2022 (letzte Vorstellung)

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Boris Pinkhasovich, Elena Guseva. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

 Völlig unerwartet gerieten die vier Aufführungen von Tschaikowskys „Pique Dame“ (die dritte Aufführung sah ich allerdings nur via Stream) zu den besten Aufführungen der ersten Halbzeit der laufenden Staatsopernsaison. Das hatte vor allem zwei Gründe:

Erstens die szenische Neueinstudierung, die die Regisseurin Vera Nemirova selbst vorgenommen hat. Sie hat ja die Handlung in die postkommunistische Zeit in Russland verlegt. Alles spielt sich in einem heruntergekommenen Palais ab, das die Kommunisten scheinbar als Kinderheim benutzt haben. Neureiche Oligarchen vertreiben die Kinder aus diesem Haus und bauen es zu einem Vergnügungstempel und am Schluss zu einem Kasino um. Vera Nemirova hat bei der Neueinstudierung jetzt auch szenische Änderungen vorgenommen, angepasst an die neue Besetzung. In der Premiere 2007 starb die alte Gräfin während des Geschlechtsverkehrs mit Hermann. Das war aber natürlich nur mit so großartigen Singschauspielern wie Anja Silja und Neil Shicoff möglich. Nunmehr stirbt die Gräfin noch in Vorfreude auf den Liebesakt, zu dem sich Hermann aber nicht hinreißen lässt. Nachdem er sie kurz gewürgt hat, weil sie ihm die drei gewinnbringenden Karten nicht verraten will, stirbt sie (einen Herztod?). Ob man diese Inszenierung nun mag oder nicht, eines kann man ihr jedoch nicht absprechen: Sie ist ungemein spannend von Anfang bis zum Schluss.

Zweitens die musikalische Einstudierung durch Valery Gergiev. Es ist direkt unglaublich, aber Gergiev hat 68 Jahre alt werden müssen, bevor er erstmals an der Wiener Staatsoper eine russische Oper dirigieren durfte. Aber was holte er aus dem Orchester heraus! So schön spielte das Staatsopernorchester schon lange nicht mehr, warm und homogen die Streicher, brillant die Holzbläser, strahlend das Blech, und alles dynamisch perfekt abgestuft. Wundervoll, wie Gergiev viele Passagen genüsslich auskostet und dieses Gefühl des Genusses auch auf das Publikum überspringt. Gergiev kann es mitunter auch ordentlich krachen lassen, aber dann hebt er wieder Soli aus dem Orchester eindrucksvoll hervor und unterstützt – wenn es notwendig ist – die Sänger auf der Bühne. Ein eindrucksvoller Beweis, dass man sängerfreundlich dirigieren kann ohne dass sich das Abdämpfen der Lautstärke des Orchesters negativ auf den Gesamteindruck des Dirigats auswirkt. Von Gergiev könnten sämtliche an der Staatsoper tätigen Dirigenten lernen!

Und dazu kam noch eine Besetzung beinahe ohne Schwachstelle. An erster Stelle muss hier Olga Borodina als alte Gräfin genannt werden. Im deutschen Sprachraum hat sich ja die Tradition entwickelt, diese Rolle mit großen Persönlichkeiten im Spätherbst ihrer Karriere zu besetzen, wobei die Sängerinnen dann oft nur noch über einige Stimmreste verfügen. Wenn man natürlich Sängerinnen vom Format einer Martha Mödl zur Hand hat, dann ist das ja auch durchaus verständlich und eindrucksvoll. In Russland gibt es diese Tradition jedoch nicht, da legt man mehr Wert auf die stimmliche Gestaltung, was dann durchaus dazu führen kann, dass die alte Gräfin auch mal von einer jüngeren Sängerin interpretiert wird. Wenn man dann jedoch eine Sängerin wie Olga Borodina zur Verfügung hat, die nicht nur über eine starke Persönlichkeit, sondern auch noch über eine völlig intakte Stimme verfügt, dann kann man nur noch von einem Glücksfall sprechen. Sie besitzt einen großen, wohltönenden Mezzosopran ohne Registerbrüche mit breiter Mittellage und gut fundierter Tiefe, sie kann daher auch die tiefer liegenden Passagen ohne Druck frei strömen lassen. Es ist schön diese Partie auch einmal wirklich schön gesungen hören zu können. Es ist ohnehin eine Riesenschande, dass diese großartige Sängerin (Wer erinnert sich nicht an ihre sensationelle Eboli bei den Salzburger Festspielen? Und ich habe nach ihr nie wieder eine bessere Dalila erlebt.) vor der nunmehrigen Aufführungsserie der „Pique Dame“ an der Wiener Staatsoper nur die Amneris in acht Vorstellungen von Verdis „Aida“ im Jahr 2013 in der Ära von Dominique Meyer gesungen hat. Dessen Vorgänger hat ja erfolgreich viele Jahre lang verhindert, dass Olga Borodina an der Wiener Staatsoper auftreten konnte. Wenn ich zum Vergleich nachlesen kann, dass diese große russische Sängerin an der Metropolitan Opera in bisher 161 Vorstellungen gesungen hat, dann ist die Anzahl ihrer Auftritte an der Staatsoper geradezu lächerlich gering dagegen. Ich hoffe aber, dass die derzeitige Direktion diese großartige Künstlerin wieder einmal an die Staatsoper holen wird.

An zweiter Stelle möchte ich Boris Pinkhasovich nennen. Seit den besten Tagen eines Dmitry Hvorostovsky hat kein Bariton mehr so stimmschön, so nobel den Fürsten Jeletzki gesungen.

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Dmitry Golovnin. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Die große Überraschung an diesem Abend war der Tenor Dmitry Golovnin, der in dieser vierten und letzten Vorstellung über sich hinausgewachsen ist. Hatte er in den ersten drei Vorstellungen immer wieder mit den Höhen Probleme, weil sich seine hell timbrierte Stimme nach oben hin verengte, so strotzte er an diesem Abend vor Kraft und erreichte alle Höhen mühelos. In der Darstellung des immer wahnsinniger werdenden Hermann war er ohnehin überzeugend. Eine starke Leistung, die am Ende auch mit viel Jubel quittiert wurde.

Elene Guseva, die erst vor Kurzem eine ausgezeichnete Tatjana in Wien gesungen hat, war mit ihrem leuchtenden, dunkel timbrierten Sopran auch als Lisa sehr gut. Einige scharfe Höhen haben den positiven Gesamteindruck kaum beeinträchtigt.

Auch Monika Bohinec ließ als Polina ihre Stimme schön strömen, im Duett mit Lisa und dann vor allem in ihrem kleinen Lied, wobei sie von der Korrepetitorin Kristin Okerlund auf der Bühne am Klavier begleitet wurde.

Sehr gut auch Alexey Markov, der die beiden Lieder Tomskys, die Erzählung über die drei gewinnbringenden Karten und das frivole Lied im Schlussbild, mit kraftvollem und höhensicherem Bariton eindrucksvoll gestaltete.

Positiv fielen auch Robert Bartneck als Tschekalinski, Evgeny Solodovnikov als Surin (wegen Erkrankung von Dan Paul Dumitrescu musste er auch die Partie des Narumow übernehmen) und die schöne Stimme von Angelo Pollak als Tschaplitzki auf. Ergänzt wurde die Besetzung durch Hans Peter Kammerer als Festordner, Stephanie Houtzeel als Gouvernante und Anna Nekhames als Mascha. Auch der Chor der Wiener Staatsoper war ausgezeichnet (wundervoll homogen der Männerchor im Schlussbild) und die Kinder der Opernschule waren mit Begeisterung und Einsatzfreude bei der Sache.   

Nachdem die ersten drei Vorstellungen leider vor halbleerem Haus stattgefunden haben, war diese letzte Aufführung ganz gut besucht. Jeder Opernliebhaber, der keine der vier Aufführungen besucht hat, hat was versäumt!

Und noch eine Bitte an die Direktion: Bitte mehr Aufführungen von dieser Qualität und mehr Abende mit Valery Gergiev am Pult!

Walter Nowotny

 

 

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