PÉLLEAS ET MÉLISANDE – Premiere Staatsoper am 18.6.2017
(Heinrich Schramm-Schiessl)
Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Es war ohne Zweifel – neben dem „Trovatore“, der endlich wieder ins Repertoire zurückgekehrt ist – die wichtigste Premiere dieser Saison. Zugegeben, „Pélleas et Mélisande“ ist kein „Publikumsrenner“ – seit der Wiener Erstaufführung 1911 gab es gerade einmal 47 Aufführungen, davon 4 in Form von Gastspielen – aber es ist eines der wichtigsten Werke des musikalischen Impressionismus und sollte eigentlich einen Fixplatz im Spielplan haben. Seit der Wiedereröffnung des Hauses ist das nun die dritte Inszenierung des Werkes und sie muss sich in jedem Fall an der Produktion des Jahres 1962 messen lassen. Es war damals die erste Zusammenarbeit zwischen Herbert von Karajan und Günther Schneider-Siemssen und die beiden schufen damals eine der schönsten und stimmungsvollsten Inszenierungen die man in diesem Haus je gesehen hat. Hätte Rudolf Gamsjäger, einer der schwächsten Direktoren, die dieses Haus je hatte, diese Inszenierung nicht mutwillig aus dem Repertoire gekippt, könnten wir sie vielleicht heute noch sehen und sie hätte ähnlichen Kultstatus wie die „Tosca“.
Was macht nun die Besonderheit dieses Werkes, das gerne auch als „Gegen – Tristan“ bezeichnet wird und das zu den bedeutensten Seelendramen der Opernliteratur gehört, aus? Es ist die vollkommene Verschmelzung von Wort und Musik, wobei letztere nicht wirklich die Handlung illustriert, sondern in erster Linie die verschiedenen Stimmungen wiedergibt. Die Musik ist über weite Strecken lyrisch und ohne große dramatische Effekte. Nur an ganz wenigen Stellen – in erster Linie in den Momenten der Eifersucht Golauds – schwillt sie an und setzt die entsprechenden Akzente. Ansonsten schimmert das Orchester größtenteils in den verschiedensten Pastellfarben und konzentriert sich in erster Linie auf die sensible Darstellung des unglücklichen Paares.
In den letzten Tagen vor dieser Premiere gingen die Wogen etwas hoch, allerdings nicht wegen der 12.000 Liter Wasser, die auf der Bühne sein sollen, sondern weil einige Oberschlaue herausgefunden haben, dass diese Inszenierung vor ca. 13-14 Jahren bereits in Berlin und dann später in Helsinki gezeigt wurde und man alterierte sich darüber, dass die Staatsoper nicht darauf hinweist. Ich halte diese Diskussion für völlig überflüssig, denn seit über 60 Jahren ist es üblich, dass Regisseure ein einmal erprobtes Konzept immer wieder verwenden. Auch im Wiener Repertoire gibt es solche Produktionen. Ich möchte zwei Beispiele nennen, die gegensätzlicher nicht sein können: Unsere Fledermaus-Inszenierung von 1979 gleicht bis auf den letzten Blumentopf jener, die Otto Schenk einige Jahre davor in München auf die Bühne gestellt hat und der ach so viel gerühmte „Don Carlos“ von Peter Konwitschny wurde vorher auch anderswo gezeigt, in beiden Fällen findet sich auf keinem der Abendzettel ein entsprechender Hinweis. Da die Besetzung des „Pelleas“ gegenüber den früheren Produktionen neu war, ist davon auszugehen, dass der Regisseur sein Konzept mit diesen Sängern neu erarbeitet und möglicherweise in manchen Bereichen auch abgeändert hat. Im übrigen wurde, zumindest lt. dem Abendzettel, die Ausstattung für Wien neu hergestellt.
Mit dieser Inszenierung von Marco Arturo Marelli, der wie immer auch für die Bühnenbilder verantwortlich ist, kann man leben. Er erzählt die Geschichte und verzichtet weitgehend auf Mätzchen des zeitaktuellen Regietheaters. Einiges aus dessen „Pflichtenheft“, wie der Koffer von Melisande, die Dialysehalterung von Arkel oder die Erfindung einer zusätzlichen Figur (Pelleas’ Vater) ist trotzdem vorhanden. Schloss Allemonde ist offenbar ein Wasserschloss, denn das Wasser reicht bis in den Burghof hinein. Bis auf die 1. Szene spielt alles in einem Einheitsbild, schwere Steinmauern mit Stiegen und Stegen, das für die einzelnen Szenen jeweils geringfügig verändert wird. Insgesamt ist die Inszenierung sehr realistisch bis zu dem im Vorfeld schon diskutierten Wasser auf der Bühne. Was fehlt, ist die Poesie, die eindeutig aus der Musik herauszuhören ist und dadurch geht viel Stimmung verloren. Nur wenige Szenen entfalten eine solche Wirkung, wie z.B. jene in der Grotte. Dazu kommen noch einige völlig falsche Ansätze. Die Szene, wo sich Pelleas im Haar Melisandes verfängt, findet praktisch nicht statt, denn Melisande ist nicht in ihrem Schlafgemach im Turm des Schlosses und lässt ihr Haar durch das Fenster heruntergleiten sondern die beiden tändeln am Rumpf des allgegenwärtigen Ruderbootes. In der Szene im unterirdischen Gewölbe ängstigt sich Pelleas nicht vor der Dunkelheit und der stickigen Luft, sondern vor Golauds Schlägertrupp. Weiters erfolgt der Todesstoss für Pelleas durch Golaud zu früh, er ist nämlich präzis in den letzten Akkord des 4. Aktes hineinkomponiert.Warum zuletzt Melisande im schon erwähnten Boot sterben muss, lässt sich bestenfalls mit der effektvollen Abfahrt des Bootes in den Sonnenuntergang erklären. Der Zwischenvorhang für die Verwandlungen ist der Blende einer Kamera nachempfunden. In der Verwandlung von der 2. zur 3. Szene des 3. Aktes verwickelten sich die drei Vorhänge und konnten nicht hochgezogen werden, sodass die Vorstellung für einige Minuten unterbrochen werden musste. Hier sei ein Kompliment an das Publikum gemacht, dass sich außer Einigen, die glaubten, es ginge bereits in die Pause, sehr dizipliniert verhielt. Die Kostüme von Dagmar Niefind waren zeitlos modisch und störten nicht besonders.
Musikalisch muss man die Aufführung bis auf einige wenige Einschränkungen als positiv bezeichnen. Die beste Leistung bot Simon Keenlyside als Golaud, wo bei ihm die Anlage der Rolle entgegen kam. Marelli sieht in Golaud einen Mann in in den besten Jahren, der allerdings von Selbstzweifeln geplagt ist und zu Jähzorn und Brutalität neigt. Zudem dürfte er dem Alkohol nicht abgeneigt sein. Hier war Keenlyside mit seiner Rollengestaltung in seinem Element. Auch stimmlich blieb kein Wunsch offen. Sein schöner Bariton strömte wunderbar und konnte zudem in den dramatischen Stellen, wie dem Schluss des 3. Aktes, auftrumpfen. Adrian Eröd sang den Pelleas, diese zwischen der Tenor-und der Baritonlage komponierten Rolle, ausgezeichnet, doch es blieben einige Wünsche offen. Er wirkte die ganze Zeit über zu intellektuell. Die Wandlung vom Grübler über den lockeren Begleiter Melisandes bis zum leidenschaftllich Liebenden kam nicht so recht über die Rampe.
Die oben erwähnte Einschränkung betrifft in erster Linie die Sängerin der Melisande, Olga Beszmertna. Sie hat ohne Zweifel eine schöne Stimme, der allerdings etwas die Tiefe fehlt, aber sie weiss damit nichts anzufangen. Sie wirkt weder geheimnisvoll noch vermag sie die wechselnden Gefühle darzulegen. Sie lässt in der Gesamtsicht kalt.
Franz-Josef Selig sang mit schöner Stimme den Arkel, darstellerisch bleibt noch Luft nach oben. Maria Nazarova war ein quicklebendiger Yniold mit glockenreine Stimme. Bernarda Fink blieb als Genevieve stimmlich und darstellerisch etwas blass. Marcus Pelz ergänzte als Arzt.
Alain Antinoglu hat das sehr schön spielende Orchester sicher hervorragend einstudiert, war aber viel zu zupackend. Der Klang war eher spätromantisch denn impresionistisch, es fehlte jegliche Poesie und die vielen Farbschattierungen der Musik kamen nicht zur Geltung. Der Chor, einstudiert von Martin Schebesta, entledigte sich seiner kleinen Aufgabe ordentlich.
Am Ende gab es zwar Bravos für alle, am meisten verdienterweise für Keenlyside, aber eine richtige Premierenstimmung wollte nicht aufkommen.
Heinrich Schramm-Schiessl