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WIEN/ Staatsoper: PEER GYNT – Ballett von Edward Clug – eine Lebensreise mit düsterem Abgesang. Premiere

22.01.2018 | Ballett/Performance

Ballettpremiere in der Wiener Staatsoper:: 21.1.2018: „PEER GYNT“ – eine Lebensreise mit düsterem Abgesang

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Zsolt Törok. Copyright: Ashley Taylor/Wiener Staatsballett

Opernfreunde, Ballettfans, Vorsicht! Peer Gynt, der unbedarfte Junge, der Naturbursche, ein getriebener Phantast, der all seine Jahre nach seinem Lebensglück sucht, geht um. Nicht immer so ganz verständlich, doch scharf und direkt und mit prägnantem Gestaltungswillen und ohne zuckriges Beiwerk im Stil zeitgemäßen Tanztheaters konturiert. Zeitweise mehr stummes Spiel als Tanz. Das mag gewöhnungsbedürftig sein, fordert Anteilnahme heraus. Doch der aufmerksam mitgehende, mitdenkende Betrachter wird belohnt: Ein Abend ist zu erleben, welcher in vielen Momenten eine berührende, den Nerv treffende theatralische Substanz zu vermitteln vermag.

Henrik Ibsens Schauspiel „Peer Gynt“ (richtiger: ein Versdrama, ‚Ein dramatisches Gedicht in fünf Akten‘), mit der Bühnenmusik von Edvard Grieg 1874 in Kristiania (heute Oslo) uraufgeführt, diente als Vorlage für den rumänischen Choreographen Eward Clug um das Thema des durch die Welt irrenden, vergeblich seine Ziel suchenden Menschen in einer aktuellen Tanzsprache zu interpretieren. Dieses zweiteilige Ballett wurde 2015 mit dem von Clug geleiteten Ballett des Slowenischen Nationaltheaters Maribor erarbeitet, ist bereits von anderen Kompanien übernommen worden und wurde nun auch in der Wiener Staatsoper am Premierenabend sehr positiv angenommen. Gewöhnungsbedürftig für deren Publikum? Wohl ja, doch sehenswert wegen der Tiefenwirkung der künstlerischen Aussagequalitäten wie der Intensität des Spieles in der in jeder Hinsicht perfekten Interpretation durch das Wiener Staatsballett.

Griegs Musik bietet zu Clugs herber Szenenfolge in edler Verklärung einen wunderschönen Klangteppich: Romantisch beseelter Wohlklang, wiederholt ein ergreifender, mit Ausschnitten aus der Bühnenmusik – bekannt sind etwa die bunt rauschenden Nummern wie ‚In der Halle des Bergkönigs‘ oder ‚Anitras Tanz‘ – ,  weiters mit zwei Sätzen des a-Moll-Klavierkonzertes, lyrischen Klavierstücken, Auszügen aus anderen Kompositionen. Unter Simon Hewitts Leitung spielten das Orchester wie Pianistin Shino Takizawa in Bestform dramatisch zupackend wie klangschön auf.

In einem Einheitsbühnenbild, einem kahlen, dämmerigen, mit einem niedrigen Laufsteg im Rund und einer düsteren Grotte am Rande, ist es Jakob Feyferlik, der als groß gewachsener, schlaksiger Junge mit gleichsam unbeteiligter Miene zur lebenslangen Irrfahrt des Peer antritt. Anfangs wie unbeteiligt wirkend, frech aber auch verunsichert, später wünschend, heftig aufbegehrend. Doch immer wieder ist er ein Unterlegener. Ganz und gar kein Siegertyp, so geprägt durch die disziplinierende Strenge seiner Mutter Ase (Franziska Wallner-Holinek).

Zwei Begleiter hat der Choreograph Peer mitgegeben: Am Beginn lockt ihn ein weißer Hirsch (Zsolt Török), hehr, unnahbar  wirkend, stets kerzengerade aufrecht. Doch dessen immer wieder mahnend eine gewisse Richtung vorgebenden Vorderbeine sind Krücken. Und es gesellt sich, mehr und mehr mit zynischer Gebärde sich aufdrängend, ein fahler, psychopathisch gezeichneter Mann in schwarzem Priesterkleid zu ihm – das ist der personifizierte Tod (Andrey Kaydanovsky). Im tänzerisch bewegten Spiel wie pantomimisch wird sämtlichen Solisten ruhige, strenge Stilisierung abverlangt. Die wenigen, doch stets dynamischen Gruppentänze werden meist sehr linear, in gleichförmigem Bewegungsduktus ausgeführt. Eindringliche, aber auch weniger originelle, etwas ratlos machende Sequenzen wechseln ab, gelegentlich tritt auch ein Stillstand ein – zur Meditation einladende Momente.

Und so führt Peers Reise, frei Henrik Ibsen und nordischer Mythologie folgend, nach seinen turbulenten Konflikten auf heimatlichem Boden von der von ihm verlassenen Solveig (Alice Firenze) in das Reich der Trolle. Gleichsam Lemuren, hässlich aufgedunsene Untote sind diese hier, bedrohlich und doch kraftlos. Im zweiten Teil, in späteren Jahren nun, mit Episoden in der marokkanischen Wüste  oder in einem skurrilen Irrenhaus, wird Peer ein gebeugter, schwer Gezeichneter. Der Tod gesellt sich mehr und mehr zu ihm. Als Gebrochener heimgekehrt klimmt Peer die Grotte mit letzter Kraft empor, um der oben starr verharrenden Solveig wieder nahe zu kommen …. Clug erlaubt keine Beglückung mehr, „Peer Gynt“ ist für ihn ein zeitnahes Lebensbild mit düsterem Abgesang.

Meinhard Rüdenauer

 

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